Die beiden Freunde hatten sich in ihrer billigen Bude verkrochen, in Monterrey, draußen lärmte Mexiko, doch sie nahmen keinen Anteil, wollten nur noch allein sein. War wirklich alles am Ende, zerplatzt? Ihr großer Plan, ihr Gründertraum, ihr gemeinsamer Weg? Vier Jahre zuvor haben sie sich kennengelernt, am ersten Studientag, David wird nie vergessen, wie sich dieser Typ neben ihm aufregte. Robert hasste diesen Aufnahmeritus an der Universität: sich auf dem Marktplatz nackt ausziehen, mit Aldi-Tüten behangen in den Brunnen springen! Bescheuert, schimpfte Robert. Er mache sich doch nicht zum Affen. David gefiel das. Er mochte den Ritus auch nicht, aber war zu ruhig, um sich zu widersetzen.
Durch Zufall waren sie in diesen ersten Tagen an der Otto Beisheim School of Mangement, Elite-Hochschule bei Koblenz, Zimmergenossen geworden. Und sie waren grundverschieden: der eine Städter, der andere vom Land, der eine ruhig, der andere polternd, der eine Kopf, der andere Bauch. Aber irgendwas schien sie zu verbinden, vielleicht war es, dass es dem Lernen nützt, sich zu ergänzen, eine Zweckfreundschaft, aber über die Arbeit rückten sie zusammen und nach zwei Jahren waren sie aneinandergekettet: Sie gingen in dieselben Kneipen, reisten in dieselben Länder und zogen schließlich zusammen, David das Zimmer aufgeräumt, Robert in seiner Rumpelkammer, die Kisten nie ausgepackt. Am Ende der Unizeit beschlossen sie, ihren Weg weiter gemeinsam zu gehen. Und das war erst mal keine so gute Idee, stellten sie im Sommer 2007 fest.
Beschissene Monate lagen hinter ihnen! Sie waren ausgezogen, die Welt zu erobern. Viel mutiger wähnten sie sich als ihre Studienfreunde, David und Robert hatten sich nicht lukrativ als Banker oder Berater anstellen lassen; Ha!, sie waren Unternehmerseelen, wollten etwas schaffen. Für sie war, wie Robert immer sagte, kein Berg zu hoch. Und so wagten sie sich ins Geschäftsleben Lateinamerikas, gründeten ihre Firma in Mexiko, Argentinien und Chile zugleich: Unibicate, ihre Facebook-Kopie. Den Mutigen gehört die Welt. Es war die Zeit des Goldrauschs für soziale Netzwerke.
Nun war ihre Idee aber, wie Robert Gentz und David Schneider bald feststellten, nicht mutig, sondern ausgesprochen dumm. »Das war völlig Banane«, sagt Gentz. Ein Geschäft aufbauen auf einem fremden Kontinent; in einem Zweig, der erst mal keine Erträge verspricht – mit einem sozialen Netzwerk lässt sich anfangs nur Reichweite gewinnen, du setzt Geld ein, um Bekanntheit, Teilnehmer zu gewinnen. Wer das wagt, sollte ein Pionier wie Marc Zuckerberg sein oder viel Geld mitbringen. David und Robert hatten nur den Rest ihres Studienkredits. Offenbar hatten sie in der Stunde gefehlt, als an ihrer Elite-Hochschule der Grundwortschatz des Unternehmertums an die Tafel geschrieben wurde:
--> Risiko, das. Ri|si|ko. möglicher negativer Ausgang bei einer Unternehmung, mit dem Nachteile, Verlust, Schäden verbunden sind.
Wer es scheut, wird nie Unternehmer, er wird Angestellter. Und wer es belächelt, wird Pleitier.
Nach sechs Monaten hatten Robert und David nicht mal mehr Geld für den Heimflug. Und so verkrochen sie sich in ihrer Bude. Sie dachten an die Studienfreunde, die gerade als Angestellte sechsstellig verdienten, und sie schämten sich. »Da zu sitzen, und nicht mal Geld zu haben, um nach Deutschland zurückzukommen!«, sagt Gentz. »Wenn du vorher mit so einem Selbstbewusstsein da rüber fährst, fragst du natürlich nicht: ›Hey, kann mir mal jemand Geld leihen?‹«
Aber es half ja nichts. Und da sie nicht ihre Mamas anrufen wollten, meldeten sie sich in Berlin, bei Oliver Samwer, sie kannten ihn von ihrer Uni, er war ein paar Jahrgänge über ihnen, hatte erreicht, wovon sie träumten, er war Unternehmer, offenbar ein guter, zumindest hatte er ihnen von dem Wagnis in Lateinamerika abgeraten. Zum Abschied sagte er: »Meldet euch, wenn ihr zurück seid.« Nun meldeten sie sich eben etwas früher: Du, äh, wir haben da ein Problem …
Ihr könnt doch gut Spanisch, sagte Samwer. Er buchte ihnen einen Flug nach Madrid. Dort baute er gerade eine Firma auf, die Versicherungstarife verglich. Und so wurden Robert und David doch Angestellte, arbeiteten die Kosten für den Flug ab; es war wie Spülen in der Restaurantküche, wenn man die Zeche nicht zahlen kann.
Was nun? Das Diplom ihrer Uni öffnete ja Türen, gerade bei Beraterfirmen wie Roland Berger, McKinsey. Robert und David müssten nur im Vorstellungsgespräch ihre Pleite ein wenig schönreden und schon fänden sie einen guten Job. Keine Schulden mehr, raus aus dem WG-Zimmer, Geld für Reisen, ja, sie waren fast weichgekocht.
»Wir waren in einem Loch«, sagt Schneider. »Und wäre in dieser Zeit jeder für sich gewesen, ich bin sicher, wir wären einen anderen Weg gegangen. Hätten uns anstellen lassen. Aber wir waren halt zusammen.«
Es war die wichtigste Zeit ihrer Freundschaft. Alles sprach dafür, das Gründen zu lassen, den Weg zu beenden. Und hätten sich die beiden nacheinander auf ihr Sofa in Madrid gesetzt, David am Dienstag und Robert am Mittwoch, hätten darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll, das Ergebnis auf einen Zettel geschrieben und in eine Box geworfen, so wären sie zu einem einstimmigen Ergebnis gekommen: Lassen wir’s.
Sie saßen aber nicht allein, sondern gemeinsam auf dem Sofa. Sie kamen auch so zu einem einstimmigen Ergebnis; es bestand im Gegenteil: »Wir haben gesagt: Lass es uns noch mal neu angehen.« Erklären kann das niemand. Vielleicht ist das einfach Freundschaft.
Es heißt ja, Freundschaft hat in der Wirtschaft keinen Platz. Im Geschäftsleben zählen Kalkül und Kampf. Bei Geld hört die Freundschaft auf.
Wäre das so, stünde hier nicht die Geschichte von Zalando, einem Schuhladen, der sich in drei Jahren zu einem Milliardengeschäft aufgeschwungen hat, zu Europas größtem Modehändler mit 9000 Mitarbeitern und 16 Millionen Kunden. Kein Konzern in Europa ist je schneller gewachsen. Und kein Händler auf diesem Kontinent hat die Möglichkeit, so unser Einkaufen zu verändern. Zalando könnte werden, was einst Otto und Quelle waren: deutsche Wirtschaftsgeschichte.
Robert und David hatten also auf dem Sofa beschlossen weiterzumachen. Aber was? Etwas im Internet musste es sein. Ein soziales Netzwerk sicher nicht. Etwas erfinden, herstellen? Leider waren sie keine Programmierer. Blieb der Handel: ein Geschäft, das keine Grenzen kennt, sich skalieren lässt, sich also ohne Aufwand von einem Markt auf den nächsten übertragen, von München auf Berlin, von Deutschland auf Frankreich. »Lass uns Schuhe verkaufen«, sagte David. – »Schuhe? Warum Schuhe?«
Roberts Wissen über das Schuhgeschäft beschränkte sich darauf, dass er, wenn das alte Paar ein Loch hatte, ein neues kaufte. David verteidigte die Idee: ein Produkt zum Anfassen, das hatte nach Unibicate was Beruhigendes. Außerdem: Was sonst verkaufen? CDs und Bücher handelte bereits eine Firma, mit der sie sich nicht an-legen wollten. Und der Klamotten-Markt, der in den frühen Jahren des E-Commerce Erfolge versprach, war schwer zu verstehen, allein die vielen Größen und Retouren, keiner hatte bisher gezeigt, dass sich damit Geld verdienen lässt. Im Schuh-Geschäft gab es einen Beweis: Zappos aus den USA.
Warum etwas wagen, wenn es sichere Wege gibt? Die beiden hatten in Lateinamerika ihre Lektion gelernt: an das Risiko zu denken. Meister darin war Oliver Samwer. Identify and build proven business models ist der Managerspruch dazu, verfolge Geschäftsmodelle, die sich bewährt haben, und bringe sie in neue Märkte. Europa war ein neuer Markt: Zappos weit weg, Görtz oder Otto im Netz eher hilflos.
Sie meldeten sich bei Samwer. Was er von der Idee halte? Und der machte sich nicht wie andere lustig, sagte nicht süffisant: Aha, ihr werdet jetzt Schuhverkäufer. Die Samwer-Brüder gaben 50 000 Euro, und ihre Programmierer halfen den beiden, die Webseite zu entwickeln. Robert und David nutzten die Zeit zum Üben: mit einer Seite für Flipflops. Sie kauften die Latschen im Laden, verkauften sie übers Netz weiter, Geld brachte das keins, aber sie lernten etwas über das Geschäft, den Markt. Große Freude, als nach wenigen Tagen 25 Flipflops bestellt wurden. Robert hüpfte mit den Paketen durchs Büro. Mit den Füßen blieb er in einem Kabel hängen und legte die Rechner lahm.
Am 28. September 2008 ging die Seite ins Netz – kurz nach der Pleite der Lehman-Bank, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Es würde schwer werden, weitere Geldgeber zu finden, und keiner wusste, ob die Leute kaufen werden. Auf einmal steckt doch wieder ein übergroßes Risiko im Geschäft. Taugte ihr proven concept?
Eine Sache aber können sie nicht wegreden: Die Arbeitsbedingungen in den Versandzentren, die ein ZDF-Team aufdeckte.
Gentz und Schneider hören oft den Vorwurf, sie seien Nachahmer, Copycats, Gründer, die eine Idee geklaut haben, bei Zappos. Es klingt schlüssig, allein schon die Ähnlichkeit des Namens. Wo ist da die Leistung? Tatsächlich schaffen die größten Unternehmer etwas Neues, verändern die Gesellschaft, den Alltag der Menschen, Leute wie Rockefeller, Benz, Jobs oder Page.
Aber ist das die Messlatte für einen Schuhhändler? Jeder Händler auf der Welt ist erst mal ein Nachahmer, der Erfinder des Handels lässt sich nicht mehr ausmachen, auch nicht, ob er mit Feuerstein oder Mammutzähnen handelte, es soll aber ein Homo sapiens gewesen sein, der Neandertaler kannte keinen Transport von Waren über mehr als fünfzig Kilometer hinweg, keine Feuersteinstraßen und Gewürzschiffe. Vielleicht ein Grund, warum nichts aus ihm wurde.
Aber auch ein Händler kann Neues schaffen, das Geschäft verändern, und das, sagen Gentz und Schneider, haben sie getan. Kostenloser Versand, kostenlose Retouren, viele Bezahlmöglichkeiten, das gab es vorher nicht in der deutschen Schuh- und Kleiderbranche. Dazu eine andere Auswahl als die Arrivierten, Modelle für Teenies und Hipster. Und so hat Zalando nicht nur abgekupfert, in Deutschland hat es etwas verändert. Allein deshalb hatte das Geschäft eine Chance, trotz Finanzkrise. Diese half ihnen sogar, sie schwächte die Konkurrenz, Quelle ging pleite, Otto und Görtz hielten sich zurück mit Investitionen im Netz.
Im dritten Monat schon verkauften Gentz und Schneider Schuhe für 50 000 Euro, und so ging es voran. Die Sorgen aber blieben: Wer wächst, braucht Geld, und das war knapp, auch wenn Samwer half. Nach einem Jahr aber stieg Erivan Haub ein, Tengelmann-Milliardär, mit zwanzig Millionen Euro. Das Geld ging in die Werbung, sie trauten sich ins Kleidergeschäft, Zalando flog. Umsatz im Februar 2010: zwei Millionen. Im Mai: dreißig Millionen. Im Oktober: siebzig Millionen. Die beiden Freunde saßen sich gegenüber, an ihren kleinen Schreibtischen, und schauten sich an. Wie sollen sie das bewältigen?!
Was macht ein Unternehmen zu einem Gewinner? Was haben die besten Firmen gemein? Über zehn Jahre hinweg hat Jim Collins, Professor an der kalifornischen Universität Stanford, diesen Fragen nachgeforscht. Er sah sich die Firmen in den USA an, deren Wert sich über lange Zeiten besser entwickelte als der Aktienindex. Ja, was machen sie anders? Eine erstaunliche Erkenntnis: Vergiss die Strategie, suche dir erst das richtige Team. Die erfolgreichsten Firmen schauten, wenn es darum ging, Spitzenposten zu vergeben, weniger auf Fachwissen und Diplome; die entscheidende Frage war: Passt die Person? Können wir ihr vertrauen?
Wenig bremst Firmen so wie Intrigen und Eitelkeiten, Arcandor, Zalandos einstiger Konkurrent, ist da ein gutes Beispiel. Wer dort mal bei einer Vorstandssitzung zuschauen konnte, 2010, im selben Jahr, als Zalando zum Flug ansetzte, verstand gut, warum Arcandor kurz drauf endgültig pleiteging. In solchen Sitzungen kann sich in nur zwei Stunden die Arbeit eines ganzen Monats in Luft auflösen – weil die eine Fraktion gelangweilt auf dem Stuhl lümmelt oder sich mal eben ein Brötchen holt, während die andere versucht, Ideen vorzutragen. Es ging kaum mehr um die Firma, es ging um Macht. Und die Frage, wie man selbst gut aus dieser Pleite rauskommt. Deutsche Konzerne, sagte mal der frühere Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger, sind eine Schule der Intrigen.
Zalando schwebte zur selben Zeit wie Arcandor in Gefahr: Die Neulinge wuchsen zu schnell, wurden zu groß, Schneider und Gentz hatten Angst, daran zu zerbrechen, verloren die Kontrolle. Nach Werbespots brach die Webseite zusammen, Kunden warteten auf ihre Ware. Ein neuer, guter Service war ihre Innovation im Markt, nun konnten sie das kaum mehr einlösen.
Wie das Chaos befrieden? Ohne es zu wissen, befolgten Gentz und Schneider Jim Collins Rat: Sie umgaben sich mit Leuten, denen sie vertrauen konnten – mit Bekannten, Freunden. Ihre Kumpels von der Uni: Leif, Jan, Andreas, zehn Prozent des Jahrgangs kamen zu ihnen, darunter die beiden Überflieger, die sie immer ein wenig bewundert hatten, David Schröder und Rubin Ritter, David sollte die Logistik aufbauen, Rubin zu ihnen in die Geschäftsführung, sich um die Finanzen kümmern. »Rubin hatte einen super Job bei McKinsey«, sagt Gentz. »Dass der gekommen ist, war ein superwichtiges Zeichen für uns.« Es machte Mut. Egal war, dass Rubin kein erprobter Finanzexperte war: Erst die richtigen Leute, dann die Strategie.
»Wir kannten uns lange«, sagt Gentz. »Das war wichtig, Vertrauen auf den ersten Metern. Man wusste, wie die Leute ticken, wie die arbeiten, dass das funktioniert.«
Ein wenig mussten sie sich aber schon zusammenraufen. Als David Schröder mit dem ersten Papier ins Büro kam, ganz Berater mit zwei ausgearbeiteten Lösungen, A oder B, pflaumte Robert ihn an: Und? Was soll ich damit? Sag mir, was ich tun soll! Dafür war Schröder ja eingestellt worden, um Zeit zu gewinnen.
»Man muss sich mal vorstellen, der Umsatz stieg in kurzer Zeit von zwei Millionen im Monat auf siebzig Millionen. Da hat man nicht die Zeit, sich zu sortieren, man muss sofort loslassen. Das war sehr sehr wichtig. Heute noch ist das sehr wichtig. Weil wir uns viel mehr auf das Geschäft fokussieren können und weniger auf: Was macht der eigentlich? Ich kenn das von Erzählungen von anderen Unternehmen, wo das immer ein Thema ist: Politik zwischen Vorständen.«
Und so nahm Zalando an der Spitze Tempo auf. Es hat sie gerettet, erst zu dem gemacht, was sie sind. Und es hat sogar Oliver Samwer beeindruckt: »We should all become Zalandos«, schrieb er seinen Führungskräften. Sein Rat: »Eine Struktur schaffen mit acht Brüdern oder zwölf oder 25 oder wie bei Ali Babas Räubertruppe.«
Nach unten setzte sich Roberts und Davids Prinzip fort. Sie brauchten Leute, Leute, Leute. Das Wachstum blieb über Jahre hinweg enorm, die Schritte des Unternehmens ungeheuer, sechs Jahre nach dem Start geht Zalando an die Börse, erst in den SDax, dann der Aufstieg in den MDax, in eine Liga mit Evonik, Metro und Airbus. Große Investitionen stehen nun bevor, ein weiteres Logistikzentrum und in Berlin, wo sie schon an vier Standorten sitzen, weitere 13 000 Quadratmeter Büros. In diesem Jahr wird Zalando dreißig Prozent wachsen, im ersten Halbjahr hat die Firma 1500 Leute eingestellt.
Jeder soll beim Suchen mithelfen, für Zalando werben, sagen Gentz und Schneider den Mitarbeitern. Und wen fragen die? Freunde und Bekannte. Und so hat sich Zalando zu einem Unternehmen entwickelt, das interessant für Soziologen sein könnte: Europas größter Arbeitgeber der Generation Y, Durchschnittsalter Mitte zwanzig, für viele der erste Job. Das perfekte Milieu für eine neue Gattung, die unsere Zeit hervorgebracht hat: ein Mix aus Freund und Kollege, im Fachjargon Frollege genannt.
Hat man am Arbeitsplatz Freunde, sagen Studien, arbeitet man mehr, bringt bis zu vierzig Prozent mehr Leistung. Auch deshalb gibt es bei Firmen wie Twitter Zapfanlagen mit Freibier, DJ-Pulte und eine Küchenzeile voller Frühstücksflocken.
»Das hat sich bei uns automatisch entwickelt«, sagt Robert Gentz. »Fast alle Mitarbeiter haben den gleichen Hintergrund. Da verschwimmen Grenzen. Hier kommt keiner rein und zieht seine Arbeitsmaske auf.«
Läuft man durchs Haus, so sprechen viele Englisch, auf den Schreibtischen Fähnchen, Norwegen, Finnland, Großbritannien, die Mitarbeiter reden viel über Ziele, Strategien, Leistung, über ihren Mix aus Arbeit und Freizeit, dass sie in Berlin überall auf Zalandos treffen, sie zeigen Videos vom Sommerfest, 3000 Leute tanzen auf dem Flugfeld Tempelhof.
Sie reden auch darüber, dass die oft doof angequatscht werden, auf Partys nicht immer sagen, dass sie bei Zalando sind, weil sie keine Lust haben, sich rechtfertigen zu müssen. Der Ruf Zalandos ist nicht gut. Die Vorwürfe:
Zalando ist schuld, dass kleine Läden sterben und Innenstädte veröden.
Zalando bläst mit seinem Versand CO2 in die Welt.
Zalando ist kein Erfolg, die Retouren fressen die Gewinne.
Schließlich: Zalando beutet Mitarbeiter aus.
»Das schweißt zusammen«, sagt einer über die ewige Kritik. Auch so kann Wir-Gefühl entstehen. Und es hat sie im Antworten geschult:
Zalando tötet die Boutiquen in der Innenstadt? Ja, so wie die Boutiquen den Schuster und Kolonialwarenladen.
Zalando belastet die Umwelt? Schlimmer wäre, sie würden ihre 1500 Marken in Läden mit Licht und Heizung anbieten. Solche Ketten schickten übrigens je nach Wetterlage Kleider zwischen Städten hin und her.
Die Retouren fressen die Gewinne? Die Marge liegt bei 4,5 Prozent.
Eine Sache aber können sie nicht wegreden: Die Arbeitsbedingungen in den Versandzentren, die ein ZDF-Team aufdeckte: Hitze, verdreckte Toilettencontainer, kaum Sitzplätze für die Arbeitskräfte. »Wir haben Fehler gemacht«, sagen Schneider und Gentz. Vor lauter Wachstum hätten sie sich nicht um die Arbeitsbedingungen gekümmert. Sie rüsteten gelenkschonende Bodenmatten nach, Temperaturregler, Toiletten. Aber es gibt weiter Kritik, auf die sie dann wieder reagieren: Zuletzt wurde eine Prämie abgeschafft für Mitarbeiter, die andere beim Diebstahl ertappen und melden.
Hier muss sich Zalando noch bewähren. Zumal sich das Tempo weiter erhöht. Gerade bauen Gentz und Schneider das Unternehmen zur Tech-Firma um. Es geht darum, die Ware in zwei Stunden zu den Kunden zu bringen, sie wie ein Stylist einzukleiden. Das geht nur über Technik. Und die ist schnell. Als die beiden vor sieben Jahren starteten, kam gerade das erste iPhone raus und Nokia war die größte Handyfirma. In sieben Jahren wird Zalando nicht mehr sein, was es ist. Was genau, weiß noch keiner. Alles ändert sich.
Eines eher nicht, sagt Robert Gentz: »David ist der einzige Mensch, der das Gleiche durchlebt hat wie ich: Er ist aus NRW, ist in einem normalen Haus aufgewachsen, hat das Unternehmerische in sich, die Uni, Südamerika, die harte Zeit, Spanien, Zalando, sich hochgearbeitet zu den jüngsten MDax-Vorständen. Dadurch teilt man sehr, sehr viel. Ist nicht alleine.«
Fotos: Andy Kania