14. August 2015, zwei Wochen vor „Wir schaffen das“: Ein kühler, klarer Morgen auf der griechischen Insel Kos. Noch ist es dunkel. Am Strand spielen sich absurde Szenen ab. Dutzende Fotografen drängen sich um jedes ankommende Flüchtlingsboot und kämpfen um die gleichen Bilder. Der deutsche Fotograf Daniel Etter, der im Auftrag der New York Times die Situation auf Kos dokumentiert, hat sich darum einen Abschnitt gesucht, wo er der einzige Reporter ist.
An diesem Morgen schießt Etter das Foto, das bald zum Symbol der Flüchtlingskrise wird: Ein Vater weint vor Erleichterung darüber, dass seine Familie die lebensgefährliche Flucht überlebt hat. Gleichzeitig ist sein Gesicht noch verzerrt von der Angst der Überfahrt. Er hält seine Tochter auf dem Arm, den Sohn drückt er mit seiner kräftigen Hand an sich. Seine Frau lehnt sich erschöpft an ihn. In dem Bild spiegeln sich Erleichterung und Angst, Hoffnung und Liebe.
In seiner Laufbahn, in seinem Leben war Etter noch nie so berührt in diesem Moment. Das Foto bewegt die Welt: Wochenlang bekommt der Fotograf Nachrichten über Facebook und Twitter, das Bild wird geteilt, geliket und retweetet. „Der Schmerz eines ganzen Landes im Gesicht eines Vaters“, schreibt eine Reporterin. Anfang 2016 bekommt Etter für das Bild den Pulitzerpreis, die renommierteste Auszeichnung im internationalen Journalismus.
Das Foto entwickelt ein Eigenleben. Asylgegner wie –befürworter nutzen es für ihre Argumentation, im Internet zirkulieren Gerüchte.
Etter begleitet die sechsköpfige irakische Flüchtlingsfamilie unterdessen weiter: Die Euphorie über die Ankunft in Europa und die Hoffnung auf ein neues Leben in Deutschland sind schnell verflogen. Das Asylverfahren in Berlin zieht sich, die Zukunft bleibt ungewiss. Fünf Monate nach ihrer Flucht nach Deutschland, für die sie ihre gesamten Ersparnisse eingesetzt hat, nimmt ihre Geschichte eine unerwartete Wendung.
Für das SZ-Magazin schildert Daniel Etter, warum die Familie heute wieder ganz am Anfang steht.
Foto: Daniel Etter