Kennen Sie das? Man arbeitet auf dem Laptop, auf einmal saust von rechts oben, wie aus dem Nichts, eine Information auf den Bildschirm, die man gar nicht haben wollte. Das Gleiche beim Fernsehen und auf dem Handy: Ständig bekommt man Meldungen, die einen nicht interessieren, dauernd wird irgendwas angezeigt oder eingeblendet, und wäre ich ein IT-Experte, könnte ich das vielleicht abstellen, aber ich bin Getränkekolumnist.
Neulich habe ich mitgeschrieben: Campino hält erste Vorlesung an der Uni Düsseldorf. Der Schauspieler Daniel Morgenroth und seine Frau planen seit mehr als 20 Jahren ihre Heirat. Taylor Swift ist jetzt Milliardärin. Die Eltern von Prinzessin Kate haben horrende Schulden. Diane Kruger verrät, wie sie ihre Sexszenen dreht. Eine Kultkneipe in Erlangen gibt den Betrieb auf. Das Trendgetränk des Jahres 2024 ist der Pomello Spritz – hoppla, dachte ich, dafür sollte ich mich interessieren, und las weiter: Der Pomello Spritz schmecke nach Grapefruit, Holunderblüte und Prosecco, aber eigentlich »nach Sommer pur«. Er sei der »richtige Drink« zu Sonne, Strand und Meer. Man könne den Aperol Spritz getrost vergessen, der Pomello Spritz versprühe gute Laune, versüße den Tag und habe echtes Trendsetter-Potenzial.
Ein Trendgetränk, das den Aperol Spritz ablösen soll? Das kam mir bekannt vor. Ich googelte »Trendcocktail« und »Sommerdrink« und förderte Erstaunliches zutage: »Hugo und Aperol Spritz? Schnee von gestern!« (2019). »Vergiss Aperol Spritz: Diese Alternativen sind gerade viel angesagter« (2021). »Aperol Spritz ist out: Basil Spritz ist der Sommer-Drink«(2022). »Vergiss Aperol! Amaretto Spritz ist das leckerste Trend-Getränk im Sommer« (2023). »Während die einen noch ihren Aperol Spritz genießen, sind Trendsetter auf den neuen Pomello-Spritz gestoßen, der einfach himmlisch schmeckt!« (2024).
Ich finde Aperol Spritz schrecklich, zu süß, zu klebrig, aber dass er sich seit Jahren tapfer gegen seine Ablösung wehrt, gefällt mir irgendwie
Es gibt Menschen, die werden ganz wuschig, wenn sie was von Trends lesen, und wollen alles ausprobieren, weil sie sonst das Gefühl haben, nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein. Ich bin das Gegenteil. Früher habe ich gern den japanischen Modedesigner Yohji Yamamoto zitiert: »Ich kenne die Trends, aber sie interessieren mich nicht.« Inzwischen kenne ich nicht mal mehr die Trends, wenn sie mir nicht gerade als Push-Meldung aufgezwungen werden. Ehrlich gesagt hat mich das Neue noch nie interessiert, weil es doch egal ist, ob etwas alt oder neu ist, solange es gut oder wahr oder schön ist – das gilt auch für Menschen. Ich weiß schon, dass es im Kapitalismus ständig neue Dinge geben muss, die alle unbedingt haben wollen, weil sonst alles zusammenbricht, ein bisschen deprimierend ist es trotzdem, weil es sich so unfrei anfühlt.
An diesem Tag breitete sich jedenfalls eine diebische Freude darüber aus, dass seit Jahren jeder Versuch, den Aperol Spritz alt aussehen zu lassen, zu scheitern scheint. Denn ich weiß nicht, wie es in Kiel oder Wuppertal zugeht, aber München ist, sobald die Sonne hervorblinzelt, übersät mit Sonnenbrille tragenden Aperol-Spritz-Trinkern. Ich finde den Drink schrecklich, zu süß, zu klebrig, aber dass er sich seit Jahren tapfer gegen seine Ablösung wehrt, gefällt mir irgendwie. Ein bisschen wie ein 38-jähriger Fußballer, den alle abgeschrieben haben, und dann schießt er im Pokalfinale das entscheidende Tor. Die Vorstellung, dass sämtliche Marketingfachleute der Welt Trends ausrufen, die nicht so richtig zünden, tröstet mich irgendwie.
Am Abend ging ich in meine Stammbar und bestellte einen Pomello Spritz, aber man hatte nie von ihm gehört. Vielleicht liegt es daran, dass noch nicht Sommer ist, dass ich zu früh dran war. Vielleicht ist aber auch der Pomello Spritz nur ein vielversprechendes Talent, das sich am Meister aller Klassen die Zähne ausbeißen wird.