Auf ein Bier mit Kubicki

Unsere Autorin setzt sich für eine Parlamentspoetin ein. Und fantasiert seitdem von einem Kneipenabend mit einem gewissen FDP-Politiker.

Foto: Maurizio Di Iorio

Eine der großen Merkwürdigkeiten dieser Pandemie ist, dass ich bizarre Fantasien entwickelt habe, und zwar ausschließlich im Zusammenhang mit Leuten, die ich nicht kenne. Vollkommen außer Kontrolle ist inzwischen zum Beispiel der Wunsch, von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher persönlich geimpft zu werden, am liebsten in den Kammerspielen, und zwar im Backstagebereich. Ich weiß, dass es mindestens noch einem Menschen in diesem Land genauso geht wie mir, im Hintergrund schmieden wir eifrig Pläne, wie wir unsere Fantasie bei der vierten Impfung wahr werden lassen können. Und da ist natürlich die Sache mit dem RKI-Präsidenten Lothar Wieler: Sobald die Infektionszahlen in die Höhe schießen, wenn die Lage also bedrohlich zu werden scheint, finde ich den Mann absurd attraktiv, ich möchte alles Mögliche mit ihm veranstalten. Entspannt sich die Lage wieder, ist der Anfall vorbei.

Mein dritter Kink entflammte, als der Berliner Politikzirkus schnell und heftig auf die Idee einer Parlamentspoetin reagierte, die eine Kollegin, ein Kollege und ich gleichermaßen blauäugig (»Ach, es ist nur Literatur, wird niemanden interessieren«) wie hellsichtig (»Unsere Dialogkultur ist dermaßen am Arsch, wir brauchen eigentlich noch viel mehr als Poesie, wir brauchen Tantra-Seminare«) in die Runde geworfen hatten. Seitdem möchte ich mit Wolfgang ­Kubicki Bier trinken gehen. Ich will seine Seele berühren, mit ­Alkohol und einer Charme-Offensive, und ihn so zum Kämpfer für die Parlamentspoetin machen.

»Vergiss es«, sagte eine Freundin, die für den NDR aus Kiel berichtet. »Du wirst nie mit ihm Bier trinken gehen, er trinkt nur Wein.«

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Also sitzen wir an einer Theke in Düsternbrook, mit Blick auf die Förde, vor uns steht das dritte Bier.

»Wolfgang«, sage ich, und suche nach der Sehnsucht in seinen Augen, »ich darf Sie doch Wolfgang nennen?«
In seinem Innern höre ich etwas zerbrechen, es könnte ein Gefühl sein, oder eine Gewissheit.
»Na ja«, sagt er, und ich sage: »Noch mal wegen der Parlaments­poetin, wovor habt ihr Liberalen so große Angst?«
»Kunst soll ein Stachel im Fleisch der Herrschenden sein!«
»Mein lieber Wolfgang, wir Künstler*innen leben den FDP-Traum, wild, frei und unabhängig, ohne jede staatliche Unterstützung, glauben Sie im Ernst, dieses Feeling würden wir wegen eines popeligen Jahres in einem Amt aufgeben?«
»Haben Sie eben gegendert?«
»Ja«, hauche ich, mit Sternchen in den Augen.
Wir bestellen mehr Bier.

»Aber die Steuermilliarden«, sagt er.
»Aber das Kunstbudget des Bundestages«, sage ich, »es ist alles schon da, nur die Poesie fehlt noch.«
»Ich weiß nicht, wer soll so was denn machen, Ulf Poschardt hat da doch gar keine Zeit für.«
»Aykut Anhan«, sage ich, »Haftbefehl.«
»Sie meinen: Chabos wissen, wer der Babo ist?«
Ich lege ihm die Hand auf den Unterarm, ganz manipulatives Weib.
»Wie ist das denn bei Ihnen in der Partei?«

Er denkt nach. Wir schütten Bier drauf. Er denkt mehr nach. Wir schütten mehr Bier drauf. Unsere Herzen schlagen im Takt.