Sie kennen die Quengelzone im Supermarkt? Diesen Bereich mit kleinen Süßigkeiten auf Kindergriffelhöhe? Neulich entdeckte ich die Winter-22/23-Variante davon. Nicht so tief unten, mehr im Erwachsenenblickfeld, auch kurz vor der Kasse, die Panikzone: Streichhölzer, Feuerzeuge, Grillanzünder, Spiritus. Klar, man könnte auch denken, es wurde bloß die Grillecke nach dem Sommer nicht rechtzeitig weggepackt, aber es war anders: Hier standen neben den vermeintlichen Grillsachen auch Lebensmitteldosen. Und wer grillt Kichererbsen oder Erbsen mit Möhrchen? Und wieso mit Kerzen? Und warum Schwarzbrot statt Kräuterbaguette? Es wirkte auf mich eindeutig wie die Ecke für den Blackout.
Da kann man schon mal kurz tief durchatmen. Alle Menschen, die ich bekoche, nehmen meine Gerichte gerade so an, wenn sie schön warm sind. Die Vorstellung, sie mit Pumpernickel und kalten Kichererbsen durchzubringen, ist sehr unangenehm. Und dann noch all die anderen Fragen: Ist das überhaupt wahrscheinlich? Wie viel brauche ich denn an Vorräten? Wie schaffe ich das ohne Auto nach Hause? Wie kochen? Woher Licht? Was ist eigentlich alles betroffen, wenn der Strom weg ist? Wieso muss so ein Mist ausgerechnet dann drohen, wenn ich in Bayern lebe? Und was wird passiert sein, wenn es zum Blackout kommt, und ist diese bösartige Intention dahinter nicht viel gefährlicher als das Ergebnis »kein Strom«?
So stehe ich also im Supermarkt und nehme gleich mit, was ich noch tragen kann. Einen Rotwein und zwei dicke Kerzen – in deren mildem Schimmer ich am Abend allen Fragen im Internet nachgehe. Ist das überhaupt wahrscheinlich? Die Einschätzungen gehen auseinander: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt vor flächendeckenden Stromausfällen. Der Bundeskanzler sagte im Sommer, »dass das nach allem menschlichen Ermessen nicht passiert«. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hält Sabotage für möglich. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser rief im Mai zur Vorsorge für den Krisenfall auf. »Denken Sie zum Beispiel an Cyberattacken auf kritische Infrastruktur«, sagte sie dem Handelsblatt. »Wenn tatsächlich mal länger der Strom ausfällt oder das tägliche Leben auf andere Art und Weise eingeschränkt wird, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, einen Notvorrat zu Hause zu haben.«
Gut, dass ich kein Auto habe, sonst hätte ich jetzt die Bude voller Kichererbsen in Dosen
Wie viel brauche ich an Vorräten? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt einen Zehn-Tage-Vorrat. Üblich rechnet man 2200 Kalorien und zwei Liter Wasser pro Person und Tag. Interessante Stichwörter aus der Beschaffungsliste: Nüsse, Volleipulver, Dosenobst. Wie schaffe ich das ohne Auto nach Hause? Gut, mein Problem. Wie kochen? Gaskocher auf dem Balkon oder hinter dem Haus. Woher Licht? Kerzen und Taschenlampe. Was ist betroffen, wenn der Strom weg ist? Einiges: das Mobilfunknetz, das Gasnetz, Kühlungssysteme, der elektronische Zahlungsverkehr.
Wieso muss so ein Mist ausgerechnet dann drohen, wenn ich in Bayern lebe? Diesem einen Bundesland, dem man nach dem Parkbank-Lese-Verbot in der Pandemie und der Prophylaxe-Verhaftung von Klimaprotestierenden durchaus panikhafte Freiheitsbeschränkungen zutrauen darf? Gut, unser Problem. Und was wird passiert sein, wenn es zum Blackout kommt – und ist diese bösartige Intention dahinter nicht viel gefährlicher als das Ergebnis »kein Strom«? Wenn man von einem Putin-induzierten Hackerangriff auf das Stromnetz ausgeht, ja. Wahrscheinlicher ist aber, dass zu viele Menschen auf strombetriebene Heizgeräte umsteigen, um Gas zu sparen, und so die Spannung im Stromnetz zu stark schwankt. Und selbst das ist in Deutschland sehr unwahrscheinlich.
Gut, dass ich kein Auto habe, sonst hätte ich jetzt die Bude voller Kichererbsen in Dosen.