Ratlos vor dem Türsteher

Eine Bar, in die man nur mit Codewort kommt? Als Jugendlicher fand unser Autor so etwas noch neu und aufregend. 25 Jahre später erscheint es ihm vor allem: albern. 

Foto Erli Grünzweil

Diejenigen, die kurz nach der Wende gekommen waren, meinten zwar, die grandiosen Zeiten seien vorbei, früher sei alles aufregender gewesen, aber ich fand es auch ein paar Jahre danach noch ziemlich gut. Es muss daran liegen, dass der Club meiner Jugend »Moonlight« geheißen hatte und gar kein Club, sondern eine Großraumdisco gewesen war, davor ein Parkplatz, so groß wie das Saarland. Und auf einmal stand ich angeschickert in verwinkelten Kellern, verfallenen Mietshäusern, stählernen Industriebrachen und dachte: Aha, so kann man also auch ausgehen. Wir sprechen natürlich von Berlin.

Um in die Clubs und Bars zu gelangen, die es oft nur einen Sommer lang gab, brauchte man nicht immer, aber manchmal ein Codewort. Und es war jedes Mal wieder ein Rätsel, wie es funktionierte, aber irgendwann hatte man es: eine SMS von einer unbekannten Nummer, der beste Kumpel der Cousine einer Freundin, irgendein Typ im Netzhemd auf irgendeiner Party, es gab nicht den richtigen Weg, man musste locker bleiben und hoffen, dass die Dinge sich positiv entwickelten, selbstverständlich half es, ein paar coole Leute zu kennen. Es war ein grandioses Gefühl, im Besitz des Codeworts zu sein. Jetzt konnte einem nichts mehr passieren. Oder: nur noch Gutes. Zum Beispiel konnte man es großmütig an andere weiter­geben. Und vielleicht war dieser andere eine gut aussehende Person, die man schon lange näher kennenlernen wollte.

Warum ich das erzähle? 25 Jahre später stehe ich mit einer gut aussehenden Person, die ich schon lange näher kennenlernen will, vor einer Bar in Rom, zumindest glaube ich, dass es sich um eine Bar handelt, da sind nämlich nur eine verschlossene Tür und eine Klingel. Ich habe sie mir ergoogelt – »Rom AND Bar«. Die Auswahl war wegen der vielen Treffer knifflig: Tripadvisor, Mixology, Falstaff Travel, Loving Travel – unzählige Seiten schlugen mir unzählige Bars vor, die angeblich alle irgendwie »besonders« seien.

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Am Ende entschied ich mich für »The Jerry Thomas Project«. Und ja, eine Bar mit »Projekt« im Namen hätte mich stutzig machen müssen, aber das Foto gefiel mir, ­karmesinrote Wände, grünliches Licht, ein Meer aus Flaschen, außerdem stand da dieser Satz, der mich an meine Jahre in Berlin erinnerte: »Das Jerry Thomas Project ist ein Speakeasy, dessen Geheimnis ungefähr so gut behütet ist wie das der Kinder von Papst Innozenz VIII.«

Ich drücke auf die Klingel. Es dauert ein paar Sekunden, dann geht die Tür auf, und heraus schaut eine Art GQ-Model, gepflegter Schnauzer, polierte Schuhe, Tweed-Hose, Tweed-Gilet: »Willkommen im Jerry Thomas Project. Wie lautet das Codewort?« – »Codewort?«, lüge ich. Davon wisse ich nichts, ich sei neu in der Stadt, nur ein Drink, dann sei man auch schon wieder weg. Aber das gefällt dem Tweed-Mann gar nicht. Das Codewort sei wichtig. Es sei nun mal das Prinzip der Bar, ein Club nur für Mitglieder, auch sei man heute ausreserviert.

»Tja«, sage ich.

»Okay«, sagt er. Eine Möglichkeit gebe es. »Ich schließe jetzt die Tür und komme in fünf ­Minuten wieder. In der Zwischenzeit können Sie auf unsere Homepage gehen, dort steht das Codewort, und wenn ich zurückkomme, sagen Sie es mir.«

»Ich habe aber kein Handy dabei«, sage ich, diesmal wahrheitsgemäß.

»Dann«, sagt er, »gibt es noch eine Möglichkeit. Sie zahlen fünf Euro pro Person. Danach sind Sie Mitglied und können so viele Drinks bestellen, wie Sie wollen.«

Natürlich wurden wir an diesem Abend beide Mitglieder. ­Natürlich war die Bar halb leer. Natürlich wird auf unserer Welt vieles besser, aber manches ist echt ein bisschen albern.