So bitter schmeckt Corona

Espressoreste vom Vortag, Milch und ein Schuss kaltes Wasser – in bestimmten Situationen trinkt man sogar eine solche Brühe mit einer gewissen Dankbarkeit.

Foto: Maurizio Di Iorio

Fast jeder Mensch mit Kolumne und Corona hat irgendwann in den vergangenen zweieinhalb Jahren darüber geschrieben. Natürlich wandelten sich die journalistischen Aufarbeitungen ein wenig. Anfangs war es noch eine Symptombeschreibung, die genügte, um das Interesse der Leser und Leserinnen zu wecken. Alles war neu, da schien es legitim, mal aus erster Hand zu berichten, wie sich diese Seuche eigentlich anfühlt. Ich erfuhr in einer dieser Kolumnen zum Beispiel die Sache mit dem verlorenen Geschmackssinn. Gruselig, fand ich. Gelungene Kolumne, fand ich.

Dann wurde der pure Corona-Erfahrungsbericht abgelöst. Es kamen andere Aspekte hinzu, es reichte keine Tatsachenbeschreibung mehr wie vom ersten Menschen am Nordpol, dafür waren inzwischen zu viele dort gewesen. Nun schrieb man über die Maßnahmen, die sogenannte Corona-Politik.

Ich selbst muss zugeben, dass ich das ziemlich simple Problem, das die ganze Kommunikation als Fehler durchzogen hat, lange nicht kapiert habe. Die Bundesregierung wollte keinen Kollaps, ihre Warnungen und Vorkehrungen waren so ernsthaft und hart, um ein Gesamtziel zu erreichen: keine Überlastung im Krankenhaus, keine Ausfälle an diversen systemrelevanten Arbeitsplätzen, Reibungslosigkeit im Ablauf. Sie sprach den Einzelnen an, hatte aber das Ganze im Blick. Die ganzen kleinen Rädchen sollten halt mitmachen. Dazu der Druck. Ich will das gar nicht verulken. Ist ja nicht inhaltlich falsch, aber kommunikativ ging es schief. Ich finde, irgendwann hätte man den Sensiblen und Ängstlicheren mal sagen müssen, dass eine Infektion kein Todesurteil ist. Ich habe erwachsene Menschen vor Schreck weinen sehen, als sie einen positiven Test hatten.

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Und noch etwas: Der Druck hat diejenigen viel zu stark getroffen, die es sich nicht leisten können, gegen Regeln zu verstoßen, weil sie angreifbar sind. Diese Menschen haben monatelang nach den geltenden Corona-Beschränkungen gelebt – und nicht nach großzügig angepassten Modifikationen, weil die für sie halt besser umsetzbar und eh »logischer« waren.

Dann kam Long Covid.

So, und jetzt komm ich. Ich fand meine Corona-Erkrankung regelrecht heilsam. Keine der Maßnahmen, die ich innerhalb der zweieinhalb Jahre befolgt hatte, hätte mich davor bewahrt, mich zu infizieren. Und alles, was ich wusste, war dann auch gleich nutzlos. Es war fast komisch: Corona überfiel mich wie ein Äffchen von hinten. Von jetzt auf gleich lag ich schnaufend und absolut bewegungsplatt im Bett – war dabei aber immer schön negativ. Als es besser wurde, war ich noch zwei weitere Tage negativ und dachte schon fast an eine Sommergrippe. Als ich endlich positiv wurde, war ich symptomfrei. Die offizielle Quarantänezeit verlebte ich genesen. Nach 16 Tagen kam der Brief vom Amt, ich hätte Corona und solle mich isolieren.

Mein Kind, das allein noch nicht an den Herd darf, brachte mir an einem schlimmen Morgen ein Getränk aus den Espressokannenresten vom Vortag, kalter Milch und einem Schuss sehr kalten Wassers. (Es kriegt das Eisfach nicht auf.)

Und das sah so aus, wie sich dieser unkaputtbare Mist seit zweieinhalb Jahren immer wieder anfühlt. In Ermangelung von Alternativen, eingedenk meines Bewegungsradius und aus Dankbarkeit über die Geste habe ich das dann auch noch runtergekippt. Geschmackssinn war leider nicht ausgefallen.