Da ist eine Bar in meiner Straße, die »Walrus Bar«, und die durch die Bank sehr jungen Barleute verstehen viel von guten Cocktails. Die Karte ist so flexibel wie das Publikum, alle paar Wochen wird nonchalant neu komponiert, je nach Jahreszeit und allgemeiner politischer Wetterlage. Weil ich aber recht häufig zu Gast bin, habe ich ein paar Favoriten, und wenn ich nett frage und die Zutaten da sind, werde ich auch abseits der Karte mit Mixgetränken versorgt.
Einer meiner Lieblingsdrinks heißt Will you still love me tomorrow, die Drinks tragen sehr gefühlvolle Namen. Will you still love me tomorrow setzt sich zusammen aus Gin, Mirabellenbrand und Rosmarinsirup, aufgefüllt wird mit Citra Ale, einem Bier aus amerikanischem Citra-Hopfen, frisch und fruchtig. Es gibt noch eine geheime Zutat, das muss irgendwas mit Walnuss sein, aber da hielt sich die Barkeeperin bedeckt, als ich versuchte, es aus ihr rauszulächeln. Wer mich einmal hat lächeln sehen, weiß, dass auch das eine große Kunst ist.
Als ich den Cocktail zum ersten Mal trank, war ich melancholisch unterwegs, und er tickte all meine Boxen – das Gefühl des Älterwerdens (Gin), der vergangenen Liebesgeschichten (Rosmarinsirup) und der falschen Abfahrten (Mirabellenbrand), die zitronige Frische des Citra Ales spiegelte die immer noch glitzernde Verheißung des Aufbruchs, die nussige, geheime Zutat die Möglichkeit der Zauberei als Ausweg – manchmal passiert ja einfach etwas Magisches, und dann geht alles wieder von vorne los. In meinem Kopf nannte ich den Drink »Schmerz ist für alle da«, während ich mit einer Freundin am Tresen saß und wir uns alles erzählten, was in diesem Kontext eine Rolle spielte.
Beim nächsten Mal kam ich mit einem komplett anderen Geist an die Theke. Ich war wütend, ich war wie so oft morgens schon wütend aufgewacht, dann hat irgendjemand – ich glaube, ich erwähnte so was schon mal in einer dieser Kolumnen – noch mal ein bisschen Patriarchat draufgestreut, und meine auch im Gesicht zur Schau getragene Ansage an die Welt war: Mir doch egal, ob ihr mich liebt, ihr könnt mich mal. Der Cocktail schmeckte destruktiv und nach Revolte, der Gin brannte, der Marillenbrand sowieso, der Rosmarinsirup war ein lautes Lachen, das Ale ging einfach glatt runter. Die geheime Zutat symbolisierte das Feuerzeug, das ich einfach nur an das explosive Gemisch halten musste. Es war ein guter Abend, den ich von Anfang bis Ende alleine verbrachte, war vielleicht auch besser so.
Beim dritten und letzten Mal riss Will you still love me tomorrow eine Kinoleinwand der Erinnerungen auf. Es war einer dieser auch in Hamburg existierenden warmen Abende, das Vorabendprogramm hatte ich mit meinem verliebten Teenager verbracht, der in Liebesdingen schon jetzt sehr viel beständiger ist, als ich es jemals war. Er ist seit fast einem Jahr in das Mädchen mit den langen, dunklen Locken verliebt, und einerseits beneide ich ihn darum, andererseits ist mein Mutterherz auch ängstlich. Was, wenn sie ihn eines Tages verlässt? Wenn sie ihm sagt, morgen werde ich dich nicht mehr lieben, was dann, wie wird er das überstehen?
Ich saß mit einem alten Freund am Tresen und dachte an all die Ferienlieben, von denen ich mich leichten Schrittes verabschiedet hatte, während die jeweiligen Jungs mit den Tränen kämpften, und ich schämte mich für die riesigen Körbe, die ich rücksichtslos verteilt hatte. Ein anderer Freund sagte vor Jahren mal den Satz: »Es war die große Liebe, aber dann ging der Flieger.«
Das, und Will you still love me tomorrow, fasst mein Leben eigentlich ziemlich gut zusammen.