Das Skinny-Bitch-Prinzip

Wodka Soda ist der perfekte Drink zum Durchzechen ohne Kater und Mundgeruch. Und damit leider auch der perfekte Drink für die nach Selbstoptimierung strebende Frau. 

Foto: Maurizio Di Iorio

Es gibt einen Drink, der macht mich leicht aggressiv, und das schon bevor ich ihn überhaupt intus habe. Wodka Soda. Das liegt natürlich am Geschmack. Wodka allein schmeckt schon nach nicht viel, und aufgespritzt dann eben nach nicht viel mit Sprudelwasser. Vor allem aber liegt es daran, was mit dem Drink assoziiert wird. Wodka Soda gilt als Drink, in dem keine überflüssige Kalorie ist und der keinen Kater und keinen Mundgeruch hinterlässt. Wodka Soda ist der Drink zur Selbstoptimierung, geschaffen für ein Leben, in dem man erst die Nacht durchfeiert und dann im Büro funktioniert.

Beim Stichwort Funktionierenmüssen ist man schnell bei Frauen und bei dem Blick, den die Gesellschaft auf sie hat. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Wodka Soda auch unter dem sexistischen Namen »Skinny Bitch« bekannt ist, also »dünne Schlampe«. Die Namen von Cocktails und Longdrinks ­geben die Vorstellungen der Zeit, in der sie getrunken werden, ja oft erstaunlich korrekt wieder. Und Skinny Bitch gehört in eine Zeit, in der Frauen zwar Außen­ministerin, Vorstands­vorsitzende oder Theaterintendantin sein können, aber noch immer daran gemessen werden, wie dünn und sexuell attraktiv sie sind.

Ich warte auf die Welt, in der es eine Art Vereinbarkeit von Nüchternheit und Rausch gibt, alles zu seiner Zeit und zu den Bedingungen, die jede Frau für sich festlegt

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In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Frauen zu Wort gemeldet und erzählt, wozu der Druck, alles erreichen zu können und müssen, bei ihnen geführt hat. Dazu nämlich, dass sie sich ein Ventil gesucht haben: Alkohol. Die Autorin Eva Biringer zum Beispiel. Biringer hatte so ziemlich alles, was man mit Ende 20 haben kann, einen guten Job als Food-Journalistin, viele Freunde, sie war auf der ganzen Welt unterwegs. Und sie war dabei fast immer angetrunken. Weil es cool war, ganz in Schwarz gekleidet und mit rotem Lippenstift in Berliner Bars zu sitzen und Champagner zu trinken. Weil es ihr gefiel zu saufen wie die Männer um sie herum. »Trinken war für mich Freiheit, Rebellion, Grandezza«, schreibt sie. Vor allem aber trank Biringer, weil sich mit Alkohol die Erwartungen leichter aushalten ließen, die an junge Frauen gestellt werden oder die sie an sich selbst stellen. »Perfektionszwang ist etwas zutiefst Weibliches«, meint Biringer. Der Rausch sei für sie »eine Miniauszeit vom Über-Ich« gewesen.

Inzwischen trinkt Biringer nicht mehr, über ihr Leben mit und ohne Alkohol hat sie ein Buch geschrieben. Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen ist nicht der erste Text seiner Art, es gibt inzwischen so viele Bücher von Frauen, die aufgehört haben zu trinken, dass das Genre einen eigenen Namen bekommen hat: »Quit Lit«. Die Bücher erzählen nicht nur Geschichten von Frauen, die es geschafft haben, sie handeln auch davon, wie man gut schläft, gesund isst, Yoga macht und durch all das ein besseres Leben und einen besseren Körper bekommt. In gewisser Weise bedient die Quit Lit das umgekehrte Skinny-Bitch-Prinzip. Einmal mehr geht es um weibliche Selbst­optimierung, nur dass die jetzt darin besteht, wie man als Frau komplett ohne Alkohol funktioniert.

Ich warte ja noch auf die Welt, in der es eine Art Vereinbarkeit von Nüchternheit und Rausch gibt, alles zu seiner Zeit und zu den Bedingungen, die jede Frau für sich festlegt. In der Trinken nur eines der vielen Dinge ist, die Frauen tun oder lassen können, wie sie wollen.