»Des Öfteren sehe ich, wie Passanten Zigarettenschachteln, Kippen oder Essensverpackungen mit großer Selbstverständlichkeit auf den Boden schmeißen oder auf der Parkbank liegen lassen. Mein höfliches Bitten, den Müll aufzuheben und in einem Papierkorb zu entsorgen, wird immer heftig abgelehnt. Wie soll ich reagieren? Den Müll danach selbst aufheben und wegschmeißen? Oder nichts sagen und das Verhalten still akzeptieren, obwohl es gegen meine Natur geht? Eine Einsicht der Umweltverschmutzer ist nie da.« Isabella N., München
Der Mensch ist ein merkwürdiges Wesen, und nach allem, was man bisher über ihn festgestellt hat, reagiert er auf Vorwürfe oder Zurechtweisungen so gut wie niemals mit Einsicht. Also, er muss am Vormittag schon sehr lange meditiert haben und grundsätzlich ein verträglicher Typ sein und idealerweise soeben auch noch von einer überraschenden Steuerrückzahlung erfahren haben, um auf den Hinweis einer fremden Person, er möge seinen Müll bitte aufheben und entsorgen, mit der angemessenen Demut und Dankbarkeit zu reagieren. Und: mit der gewünschten Aktion. Normalerweise aber wird er hier bockig. Und bleibt für immer das fünfjährige Kind, das sich der Aufforderung der Mutter verweigert, endlich aufzuräumen.
Man kann Ihnen deshalb nur dazu raten, selbstständig zur Tat zu schreiten. Das kann sogar befriedigend sein. Der Schriftsteller David Sedaris zum Beispiel zieht nachts in West Sussex, wo er lebt, los und sammelt Müll von der Straße. Stundenlang. Mit Stirnlampe. Weil es ihn ärgert, dass die Leute alles Mögliche zum Autofenster hinauswerfen, und ihm persönlich West Sussex eben besser sauber gefällt. Außerdem kommt er so an die frische Luft und ist in Bewegung. Es ist also genau genommen sogar eine Win-win-win-Situation.
Die andere Möglichkeit, die Sie haben, wäre, unter Umständen etwas an Ihrem Tonfall zu ändern. Was man am Menschen nämlich auch beobachtet hat, ist, dass er dazu neigt, auf Freundlichkeit ebenfalls mit Freundlichkeit zu reagieren. Es kann sehr entwaffnend sein, wenn einen jemand wahnsinnig nett darauf hinweist, dass man sein Taschentuch verloren hat. Bestimmt sind Sie eh sehr um Höflichkeit bemüht. Aber vielleicht mischt sich doch etwas Wut mit hinein, subtil, aber unüberhörbar. Man darf nicht vergessen: Jeder Mensch hat es schwer. Und jeder sehnt sich nach Liebe.