Ist es radikal, optimistisch zu sein?

Nach der Debatte über das WDR-Lied »Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau« fragt sich unsere Kolumnistin, wie eine gemeinsame Gesprächskultur der Generationen aussehen könnte. Ein Plädoyer für praktische Hoffnung.

Foto: Paula Winkler

Haben Sie zum Jahreswechsel mehr hoffnungsvolle oder mehr pessimistische Gespräche geführt? Wie blicken Sie gerade nach vorn? Diese Fragen waren für mich zum Jahresende Anlass, weniger Zeit im Internet zu verbringen, denn die Gedankenfetzen in den sozialen Medien wurden mit jeden Dezembertag düsterer, die Diskussionen ruppiger. Sicherlich hatte das auch mit den kurzen Tagen zu tun, der Kälte, den komplizierten Gefühlen gegenüber den Feiertagen mit Familientreffen und den Themen rund um Weihnachten, die in Medien und sozialen Netzwerken rund um Weihnachten diskutiert wurden, weil sonst kaum etwas passierte. Diskussionen über die Klimakatastrophe und ein Tempolimit auf deutschen Straßen machen keine gute Laune. Sie laden nicht zu versöhnlichen Gesprächen ein und nicht zu Optimismus. Wieso eigentlich nicht?

Hätte es nicht auch andere Möglichkeiten gegeben, mit dem satirischen Lied des WDR-Kinderchors über die Oma als »Umweltsau« umzugehen, als sich davon beleidigt zu fühlen, das Video feige zurückzuziehen und davon zu sprechen, die Kluft zwischen den jungen und den alten Generationen würde durch ein Lied vertieft? Ist es nicht gut, dass so viele politische Themen gerade auf dem Tisch liegen und Menschen über sie diskutieren? Ich kenne das aus meiner Familie anders. Als ich jünger war, wurde auf Familienfesten nicht über Politik gesprochen, es war nicht erwünscht. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mir vor einem Geburtstag meines Großvaters sagte, ich solle nicht die Ehe für alle mit an den Kaffeetisch bringen. Ich hätte dieser Anweisung zufolge die Stimmung damit ruinieren können, dass ich mich für eine diskriminierte Minderheit einsetze. Sollte das nicht gerade in einer katholischen Familie ein Widerspruch sein?, fragte ich mich und hörte Gesprächen zu, an die ich mich nicht mehr erinnere.

Ich glaube nicht, dass Gespräche über Politik tatsächlich Familienmitglieder voneinander entfremden können. Wenn wir über Politik sprechen, sprechen wir über Menschen, über das Zusammenleben, über die Vergangenheit und Zukunft. Wir sprechen über uns. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns auch die schwierigen Gespräche über Politik, ganz besonders im Rahmen unserer Familien, näher zusammenbringen könnten. Dass wir beginnen, einander besser zu verstehen und näher kennenzulernen über die eigene Verletzlichkeit, über Wünsche und Träume, über das Offenlegen von Ängsten. Mich hat die Verbannung politischer Themen von familiären Zusammenkünften eher von meiner Familie entfremdet, weil die Dinge, die mir wichtig sind, die mich bewegen und über die ich permanent nachdenke, dort nicht stattfinden durften. So wie die Anstrengung, nach außen eine Bilderbuchfamilie abzugeben, die Mitglieder einer Familie eher belastet, so ist auch der Versuch, so zu tun, als wäre politisch in einer Gesellschaft alles in Ordnung und als gäbe es nichts zu diskutieren, für den Zusammenhalt von Menschen nicht förderlich. Denn Politik betrifft uns jeden Tag. Wenn wir darüber nicht sprechen können, bleibt ein Teil unseres Lebens verdeckt. Die Menschen, denen ich heute vertraue und die ich anrufe, wenn ich Rat brauche, sind diejenigen, mit denen ich auch über Politisches nachdenken kann und bei denen ich diesen Teil meiner Persönlichkeit nicht ausklammern muss. Es sind Menschen, die mir auch widersprechen und durch deren Sichtweisen meine eigene sich erweitern oder verändern kann. Wenn wir gar nicht sprechen, bewegt sich auch nichts. Wie viel Höflichkeit, wie viel Provokation brauchen Gespräche mit anderen, gerade mit denen, mit denen man seltener spricht, um in Gang zu kommen? Wie viel Ironie? Was steht am Ende eines solchen Gespräches, wenn wir vor allem die Zukunft schwarz malen?

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Wenn Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sein sollen, müssen wir zuerst unsere Gespräche mit ihnen und dann unser Handeln in ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis bringen. Ihre Interessen müssen jetzt Gewicht haben, nicht erst dann, wenn sie selbst erwachsen sind.

Rückblickend auf das vergangene Jahr und die »Fridays for Future«-Proteste frage ich mich gerade ganz besonders, wie eine gemeinsame Gesprächskultur zwischen den Generationen aussehen könnte, denn wir brauchen diese Gespräche. Dass ein gesellschaftskritisches Kinderlied direkt gelöscht wird und der Intendant sich entschuldigt, zeigt für mich jedoch, dass das Kräfteverhältnis in diesen Gesprächen nicht stimmt. Denn was ist schon ein Lied, das bewusst provokant ist, aber erst einmal nichts verändert, im Vergleich dazu, welche Formen der Macht gerade von der Eltern- und Großelterngeneration der jetzigen Schulkinder ausgeübt werden und die Zukunft dieser Kinder beeinflussen? Ein freches Lied kann man abschütteln oder sich ein paar Minuten darüber ärgern. Doch die Erderwärmung? Die kann ein Kind nicht von seinem Smartphone löschen, sie bleibt. Wenn Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sein sollen, müssen wir zuerst unsere Gespräche mit ihnen und dann unser Handeln in ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis bringen. Ihre Interessen müssen jetzt Gewicht haben, nicht erst dann, wenn sie selbst erwachsen sind. Nach der Veröffentlichung des Liedes wurde vielfach um Respekt gegenüber älteren Menschen gebeten – aber wie viel Respekt bringen wir Kindern konkret entgegen? Es reicht nicht, für sie Spaghetti zu kochen, Kitas zu bauen und Schulen zu digitalisieren. Respekt vor Kindern zu haben bedeutet, Verantwortung über unsere eigene Lebensdauer hinaus zu übernehmen und weit in die Zukunft zu blicken, wenn diese Kinder alt sein werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob man selbst Kinder hat oder nicht, so wie es keine Rolle spielen sollte, ob die eigene Oma noch lebt oder nicht, wenn man alten Menschen wünscht, dass sie möglichst lange, gesund und nicht in Altersarmut leben. Auch der Opa, der SUV gefahren ist, soll in Würde altern. Wir dürfen ihn aber daran erinnern, dass junge Menschen ebenso berechtigte Interessen haben.

Das Menschsein macht aus, dass wir für andere Verantwortung übernehmen, und zwar auch dann, wenn es keinen Spaß macht, mit keinem Vorteil verbunden ist und wir nicht mit diesen Menschen verwandt sind. Dieses Bild vom Menschsein stellt enorme Anforderungen an Politik, weil es kein Schlupfloch offen lässt, um zu sagen: »Ich bin nicht verantwortlich«, und Politik als grundsätzlich global definiert, als ressortübergreifend und generationenübergreifend. Wie würde sich unser Blick auf Wirtschaftspolitik verändern, wenn wir sie auch als Politik für Kinder begreifen würden und diese Kinder dabei mehr sind als Wesen, die vom Gehalt ihrer Eltern ernährt werden?

Menschsein als Verantwortung für andere zu betrachten, ist aber auch etwas, aus dem wir Hoffnung schöpfen können, weil wir niemals machtlos sind. Hoffnungslosigkeit, Pessimismus, Wut und Angst entstehen dann und werden verstärkt, wenn Menschen glauben, machtlos zu sein. Ich habe diese Gefühle in den vergangenen Monaten auch oft in meinem Freundeskreis beobachtet. Menschen in ihren Dreißigern fühlen sich gerade besonders in der Zwickmühle. Vielleicht haben sie schon kleine Kinder, um deren Zukunft sie sich nun sorgen, erwarten ein Baby und denken darüber nach, ob dieses Kind geboren werden sollte, oder hadern gerade mit der Entscheidung, ob sie überhaupt Nachkommen auf den wärmer werdenden Planeten setzen wollen. Diese Verantwortung kann sich erdrückend anfühlen, sodass man sich gegen sie entscheiden oder sie mühsam verdrängen kann. Zu der vom Winter ausgelösten Trübsal, in die manche Menschen in den dunklen Monaten fallen, gesellen sich nun auch psychische Probleme, die in Verbindung zum täglichen Wetter stehen. In den USA hat sich die »Climate Psychology Alliance« gegründet, in der sich Psycholog*innen mit den Zusammenhängen der seelischen Verfassung von Menschen und dem Zustand der Erde befassen. Dabei geht es den Mitgliedern nicht nur darum, Menschen zu helfen, die aufgrund einer »Eco Anxiety« den Lebensmut verlieren, sondern auch darum, darüber aufzuklären, wie psychologische Reaktionen wie Angst, Schuldgefühle und Scham dabei im Weg stehen könnten, konstruktiv mit der Klimakrise umzugehen.

Wie gehen wir in der Klimadebatte mit unserer eigenen Schuld um? Hat das Kinderlied über die Klima-Ignoranz einiger Erwachsenen einen wunden Punkt berührt?

Angst kann lähmen und Menschen glauben lassen, dass sie keinen Einfluss hätten. Und auch Schuldgefühle motivieren Menschen nicht nachhaltig dazu, ihr Verhalten zu ändern, da sie zunächst versuchen, diese negativen Gefühle abzuwehren. Sie versuchen, diese Gefühle umzudeuten als Ergebnis von Entscheidungen, die man bewusst in Kauf nimmt. Ob Affären, Essen, Umweltverschmutzung – es ist immer leichter, das eigene Verhalten als etwas zu beschreiben, das gut tut, unausweichlich ist, mit dessen Konsequenzen wir bereit sind zu leben oder für das schlussendlich andere verantwortlich sind, nicht wir selbst. Mühsamer ist es, Schuldgefühle bewusst auszuhalten und sich zu fragen, welche Alternativen es zur Resignation oder zur Wut geben könnte. Vertreter*innen der »Climate Psychology Alliance« werfen unter anderen diesen Punkt auf: Wie gehen wir in der Klimadebatte mit unserer eigenen Schuld um? Sie ist ein legitimes Gefühl. Hat das Kinderlied über die Klima-Ignoranz einiger Erwachsenen einen wunden Punkt berührt?

Psychologisch kann es sinnvoll sein, sich nicht selbst anzuklagen und stattdessen großzügig zu sein mit sich selbst oder belastende Dinge einfach mal auszublenden. Doch es gibt Dinge, die die Dimension der Gefühle sprengen, die man individuell aushalten kann. »Eine zerbrochene Beziehung ist kein Weltuntergang«, das lernen viele Menschen im Laufe ihres Lebens, aber wie sieht es aus mit einer glühenden Erde? Bei Morddrohungen oder Anschlägen? Bei diesen Szenarien bleiben auch die gemütlichen Weinrunden mit Freund*innen ratlos. »Im neuen Jahr wirst du mehr Glück haben« passt bei großen politischen Fragen wie dem Klimawandel, bei Furcht vor rechter und antisemitischer Gewalt oder bei Armut nicht.

Menschen fühlen sich vor allem dann machtlos, wenn sie gesagt bekommen, ihr Schicksal liege allein in ihrer Hand. Kein Kind zu bekommen, weil es besser fürs Klima sein soll, reißt vielleicht ein Loch in die Idee fürs eigene Leben, und wer so entscheidet, weiß ohnehin, dass damit nur wenig getan sein wird. Wenn eine muslimische Frau im Internet terrorisiert wird und die Polizei ihr rät, soziale Netzwerke nicht mehr zu nutzen, schneidet sie das von Kontakten ab, und sie weiß ohnehin, dass der Hass davon nicht weg gehen und ihr außerdem auf der Straße begegnen wird. Und auch der klassische Neujahrsvorsatz wird über kurz oder lang etwas sein, das pessimistisch stimmt, weil die Person, die sich vornahm, von nun an jeden Tag zu joggen, es als ihr eigenes Versagen sehen wird, dass es nicht so gekommen ist. Der Tipp, sich für Vorsätze noch mindestens eine weitere Person zu suchen, die mitzieht, ist nicht nur bei sportlichen Zielen wirklich gut.

»Wo man Angst hat, da wird man auch hoffen«, schreibt die US-Philosophin Martha Nussbaum in ihrem Buch »Königreich der Angst«, an dem sie zu arbeiten begann, nachdem Donald Trump im November 2016 zum Präsidenten der USA gewählt worden war. Diese Schicht Hoffnung unter der Angst legen Aktivist*innen frei, wenn sie beginnen, sich für etwas zu engagieren, oder auch die Autorin, als sie anfing zu schreiben.

Greta Thunberg war allein als sie mit ihrem Schulstreik begann und erklärte in ihrer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum 2019, jeden Tag Angst zu haben. Ihr Aktivismus hat aber auch etwas Hoffnungsvolles. Martha Nussbaum nennt das eine »praktische Hoffnung«: eine Hoffnung, »die mit dem Handeln fest verbunden ist und die der Verpflichtung zum Handeln Kraft verleiht«. Sie folgt auf die zunächst »untätige Hoffnung«, die mit Bildern von dem, was auf ein Engagement folgen kann, die Basis für ein späteres Handeln legt. Laut Nussbaum ist auch schon das untätige Hoffen wichtig, da so eine Entscheidung über die Gedanken getroffen werde, mit denen man sich beschäftigt. Gedanken, die unsere Hoffnung stärken oder sie zerstören.

»Man hat immer die Wahl: Auf welche Bilder soll ich mich konzentrieren?«, diesen Gedanken von Nussbaum hatte ich noch bevor ich ihr Buch las ganz ähnlich von der Autorin Kübra Gümüşay gehört, die sich zuletzt mit der Frage beschäftigte, warum ihr aktivistisches Engagement sie so erschöpfte und wie sie daraus wieder Kraft ziehen könnte. Sie erzählte mir, sie habe irgendwann erkannt, dass es wichtig sei, nicht mehr vor allem auf das zu reagieren, was an Themen von anderen gesetzt wird, sondern sich zu fragen, womit man sich selbst beschäftigen will. Was die eigenen Themen sind, über die man mit anderen sprechen will. Auch das kann aus einer empfundenen Ohnmacht befreien: wenn man sich aus fremdbestimmten Diskursen befreit und versucht, mit anderen Gespräche zu beginnen über Dinge, die einem persönlich wichtig sind. Über Dinge, die optimistisch stimmen, statt über das Schlechte in der Welt zu klagen. Manchmal braucht man Mut, um die ganz eigenen Themen anzusprechen, weil man die Reaktionen darauf nicht kennen kann und sich vielleicht vor Desinteresse fürchtet. Es ist einfacher, über das zu reden, über das gerade alle reden. Aber macht es auch froh?

Fragen Sie doch einmal Ihre Familie oder die Freundin, mit der Sie sonst oft zusammensitzen und den Zustand der Welt beklagen, was sie optimistisch macht.

»Es ist schwer, auch nur bei irgendetwas optimistisch zu sein«, sagt Ore Ogunbiyi, Co-Autorin des Buches »Taking Up Space: The Black Girl’s Manifesto for Change« im Dezember der Londoner Zeitung »The Guardian«: »Hoffnung ist das, was man trotzdem tut. Optimistisch zu bleiben in einer Welt, die sich von Verzweiflung gelähmt fühlt, ist an sich radikal.« Die Formen der Hoffnung – zunächst in Zukunftsbildern zu denken und später auch zu handeln – helfen vor allem dann gegen den pessimistischen Blick auf die Welt, wenn sie gemeinsam praktiziert werden. Wege aus der Machtlosigkeit können das Sich-Verbünden mit anderen sein, die Übernahme von Verantwortung, ein Sich-Kümmern um andere. Was meinen Sie, warum die Schüler*innen, die zu den Fridays-for-Future-Protesten gehen, schon so lange durchhalten und optimistisch bleiben? Sie machen das nicht allein.

Das Internet ist in der dunklen Jahreszeit nicht immer der beste Ort dafür, nach anderen Optimist*innen zu suchen. In einem Tweet lässt sich – so mache ich es selbst oft – schnell ein wenig Frust abladen. Das Negative bekommt im Netz oft mehr Resonanz, und dieses Feedback kann uns dazu verleiten zu denken, dass Optimismus weniger interessant sei als Verzweiflung. Eine Studie der Rutgers University in New Jersey, die im November 2019 veröffentlicht wurde, besagte in der Tat, dass »zynische Stimmen« in sozialen Medien größeren Einfluss hätten als andere, jedoch nicht in Gesprächen außerhalb des Netzes.

Wenn wir den Mut aufbringen, optimistisch zu sein, wird daraus die praktische Hoffnung werden, die uns mit anderen zusammenbringt. Fragen Sie doch einmal Ihre Familie oder die Freundin, mit der Sie sonst oft zusammensitzen und den Zustand der Welt beklagen, was sie optimistisch macht. Fragen Sie noch einmal, wenn der Person nichts einfallen will oder sie ausweicht. Fragen Sie so lange nach oder erzählen Sie von den Bildern der Zukunft, die Ihre eigene Hoffnung mit Leben füllen, bis die andere Person Ihnen sagt: »Diese Zukunft interessiert mich. Was können wir tun?«