Goldrausch in Kalifornien

Wie fühlt es sich an, in Hollywood auf einen Oscar zu warten? Mathias Forberg erlebt das gerade zum ersten Mal. Sein Film Revanche gehört zu den fünf Kandidaten für den Auslands-Oscar. Für uns schreibt er aus Hollywood. (Folge 4, Sonntag: Spottende Konkurrenten, eine Grippe und letzte Hoffnung)

Sonntag, 22.12.

Nach einer guten, tief durchschlafenen Nacht heute Früh in guter Verfassung. Zunächst mal habe ich den Gesetzestext der Academy für Teilnehmer an der Oscar-Gala durchgeackert. Welche Security Kontrollen da stattfinden, mit welchen Papieren die Limousine ausgestattet sein muss, welche Ausweise und Tickets wir bei uns haben müssen, was wir dürfen und was nicht. Die Hausordnung ist strenger als jede andere, die ich kenne. Ich sehe schon, ich muss noch ein genaues Briefing veranstalten.

Am Samstag, am Tag davor, stieg das Oscar-Fieber. Eigentlich hatte ich erwartet, dass es ein Kampf gegen die Nervosität werden wird, nun ist es ein viel realeres Fieber. Die Klimaanlagen haben ganze Arbeit geleistet, mit Vitaminen und dem ganzen sonstigen Drugstore-Sortiment kämpfe ich erbittert gegen die Grippe. Aber sie wird mich nicht kleinkriegen. Diesmal nicht.

Vormittags dann das Symposium für die Nominierten des besten ausländischen Films. Alle stellen sich und ihre Filme vor. Ich bin der Produzent und ziemlich nervös: Wie wird sich Götz Spielmann, unser Regisseur, präsentieren? Wie wirkt er im Vergleich zu den Anderen? Mitten in der Veranstaltung dämmert mir dann, wie bescheuert diese Überlegungen sind. Die Abstimmungen sind ja schon am Montag abgeschlossen worden, wozu also die ganze Aufregung.

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Götz erzählt über jene langen Zeiten, in denen er vergeblich auf eine Idee für einen Film wartet, bis sie dann plötzlich unvermutet irgendwo auftaucht. Gegen Ende der Veranstaltung muss er dann ganz dringend austreten und verlässt das Podium unauffällig. Als der Moderator dann seine abschließende Frage an Götz richten will und überrascht feststellt, dass er nicht mehr da ist, meint Laurent Cantet, der Regisseur des französischen Beitrags „La classe": „Ich glaube, er hat eben eine Idee gehabt!" Der Saal zerkugelt sich vor Lachen. Das ist Teamwork unter Konkurrenten. Friendly competition.

Nachmittags dann der Empfang im deutschen Konsulat. Schöne Villa, unendlich viele Leute, unendlich lange Reden. Kein Wunder, dass „Wes Herz voll ist, dem geht der Mund über" ein deutsches Zitat ist. Am Abend Verzicht auf weitere Partys. Irgendwie haben wir einfach das Bedürfnis, zur Ruhe zu kommen, bevor es morgen losgeht. Meine Frau, mein Sohn und ich sitzen mit Götz gemütlich auf der Terrasse unseres Hotels, verdrücken ein herrliches Steak und plaudern über die Erlebnisse und die Erwartungen an morgen. Es tut gut, für einen Moment wieder zu sich selbst zu finden…

Und jetzt: noch ein gemeinsamer Brunch, dann rein in den Smoking und los geht’s. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung steht heute, wenn es sowas wie Gerechtigkeit in Hollywood gäbe, dann müsste unser Film, müsste „Revanche" den Oscar kriegen. Auch wenn danach nüchtern konstatiert wird, dass es die nicht gibt, so ist es doch schön, als Sieger der Herzen in den Kampf zu ziehen…

Drücken Sie mir die Daumen, gleich ist es soweit. Ich melde mich, vorausgesetzt ich darf mein Handy mitnehmen.

Freitag 18.2.

Ursula Strauß, unsere Hauptdarstellerin, strahlte am Sonntag noch, als wir vom Wiener Kulturstadtrat verabschiedet wurden und eine Schneekugel mit dem Wiener Rathaus und dem Stephansdom als Glücksbringer geschenkt bekommen haben. Heute ist Ursula ein schniefendes Häufchen Elend und sieht gar nicht wie jemand aus, der morgen früh, von vielen Kameras begleitet, als Repräsentantin des österreichischen Films ins Flugzeug steigen wird. Mein Sohn liegt mit Fieber und geschwollenen Mandeln im Bett und lässt die Sorgenfalten auf der Stirn meiner Frau erblühen, die ihrerseits von Magenkrämpfen geplagt wird. „Das ist das Oscar-Fieber", so der lakonische Kommentar eines befreundeten Regisseurs.

Als ich bei der Schule meines Sohnes anrief, dachte ich, ich könnte die Direktorin mit meiner Begründung in Erstaunen versetzen: „Gnädige Frau, ich würde meinen Sohn gern nach Los Angeles mitnehmen, weil unser Film für den Oscar nominiert ist." Aber sie wunderte sich gar nicht, fast schien es so, als hätte sie damit gerechnet.

Es hat sich also rumgesprochen - mindestens in Österreich. Jetzt muss morgen nur noch der Sicherheitsbeamte mit dem Schmuck für unsere Hauptdarstellerin - gesponsert von einem amerikanischen Juwelier und locker seine 50.000 Euro wert - trotz Schneechaos zum Flughafen eilen, um ihn ihr zu übergeben. Hoffentlich können wir bei dem Wetter hier überhaupt starten.

Der Schmuck macht mich ganz schön nervös: Ist der versichert oder läuft das so wie in den Hotels in L.A., wo du dir am Tag der Oscar-Verleihung Schmuck ausborgen kannst und dann erfährst, dass die Devise gilt: you loose it, you bought it. Ist einer Bekannten von mir passiert, die voriges Jahr dabei war. Die hat dann den ganzen Abend ihr Geschmeide umklammert, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her.

Erst als ich schwarz auf weiß vor mir sehe, dass der Sponsor die volle Versicherung trägt, kann ich mich einigermaßen entspannen, wobei die Frage bleibt: Warum machen die das alles? Was haben sie eigentlich davon, ihre Klunker um die halbe Welt zu schicken? Vielleicht finde ich die Antwort ja in Hollywood. Sie hören von mir.

Rückblick: 22. Januar.

Heute Nachmittag werden die Nominierungen auf CNN bekannt gegeben. Es wäre ein Wunder, wenn wir dabei wären, also mache ich mich nicht verrückt. Das Team und die Schauspieler habe ich jedenfalls am Abend in ein Lokal eingeladen, wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Wenn es nix wird, dann trinken wir halt gemütlich einen und freuen uns über das, was wir erreicht haben.

Aber als um 15 Uhr die Pressekonferenz von CNN übertragen wird, wo die Nominierten kurz und schmerzlos bekannt gegeben werden, da liegen meine Nerven schon ziemlich blank. Und dann kommen die Nominierten für den besten nicht-englischsprachigen Film: Der Baader-Meinhof-Komplex zuerst, dann Entre les murs, der Cannes-Gewinner, dann Departures, der hoch gelobte japanische Beitrag, und dann sind es noch zwei, wovon einer sicher Waltz with Bashir, der israelische Golden-Globe-Gewinner, sein wird.

Und in dem Moment passiert's: Austria, Revanche, sagt Forrest Whitaker mit freundlichem Lächeln und dann kommt noch der Israeli und dann geht's zur nächsten Kategorie. So einfach ist das. Fünf Minuten später gleicht mein Büro der New Yorker Börse und die Handys benehmen sich wie ausgebrochene Vulkane. Und als ich am Abend leicht betäubt in unser Stammlokal zum Team komme, blitzen uns die Kameras entgegen, dass man glauben könnte, der Jüngste Tag sei gekommen.

Und in dem Moment weißt du, dass für einen Monat, bis zur Oscar-Nacht am 22. Februar, nichts mehr so sein wird, wie es jemals zuvor war...
(Foto: Reuters, afp)