Als wären es feine Webarbeiten, zart geschwungen, akkurat gestrichelt, weich gepunktet. Es könn-ten edle Stoffe sein, Kleider. Oder wertvolle Tapeten aus früherer Zeit. Es sind aber, so heißt das kor-rekt in der Schreibwarenwelt: Sicherheitsumschläge. Außen weiß, innen gemustert, damit niemand durch den Umschlag hindurch die Schrift im Inneren entziffern kann.
Eigentlich schade, dass sich diese Art von Umschlägen im privaten Briefwechsel nie durchgesetzt hat. Sie werden fast nur von Behörden, etwa Finanzämtern, und Anwaltskanzleien benutzt, also Einrichtungen, von denen man in der Regel eher unangenehme Post erhält. Die verlassen sich nicht darauf, dass neugierige Nachbarn das Briefgeheimnis respektieren. Dieses Geheimnis ist keine Höflichkeit, sondern im Strafgesetzbuch geregelt, Paragraf 202: »Wer unbefugt einen verschlossenen Brief oder ein anderes verschlossenes Schriftstück, die nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind, öffnet oder sich vom Inhalt eines solchen Schriftstücks ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.«
Fast nie kann der Inhalt mit dem Zauber der Muster mithalten. Die Stricheleien, die winzigen Kringel, manche von ihnen scheinen eine eigene Geschichte zu erzählen. Da, sieht das nicht aus wie ein Gencode? Oder das Muster dort: Getreideähren unter dem Mikroskop? Andere Mosaike erinnern an die dreidimensional erscheinenden Bilder, die mal unter dem Namen Das magische Auge Mode waren: Schauen Sie lange genug auf dieses Bild, und Sie sehen eine Pyramide, eine Katze, Elvis Presley.
Wer als Kind genug Detektivromane gelesen hat, wittert natürlich in jedem zweiten Umschlagmuster eine Geheimschrift. Und wäre das nicht wirklich ein guter Trick? »Chef, wir haben diesen Brief von einem gewissen James Bond abgefangen, steht leider nichts Interessantes drin.« Dabei verbergen sich in den Umschlagstricheleien die Raketen-Abschuss-Codes!
Zusammengestellt hat die Umschläge auf diesen Seiten der Sammler Joseph King. Sie waren in Manhattan zu sehen, im offiziell kleinsten Museum der Welt. Es heißt Mmuseumm, gegründet vor acht Jahren in einem ehemaligen Aufzugschacht. Dort werden regelmäßig Fundstücke und Sammlungen ausgestellt, die den Blick auf unsere Gegenwart hinterfragen, uns ein bisschen anders auf die vertraute Welt schauen lassen. Im Mmuseumm waren schon Cornflakes-Sammlungen zu sehen – oder Produkte, die durch Herstellungsfehler einen besonderen Charme verströmen (siehe SZ-Magazin Nr. 12/2020). Und jetzt eben: Umschläge, auf die nie jemand so richtig geachtet hat.
Und gerade weil niemand darauf achtet, könnte man da ja tatsächlich vielerlei geheime Botschaften verstecken, Liebesschwüre, Geständnisse, Vertraulichkeiten. All das eben, was in einer Mail oder einer WhatsApp-Nachricht nicht geht. Die elektronische Kommunikation kennt nur eine Ebene, den Text. Es gibt keine Hülle, kein Material. Papier dagegen hat einen Geruch, es hat unterschiedliche Oberflächen und Farben.
Seit vielen Jahren heißt es, der klassische Brief sei bald Geschichte. Aber dann haftet ihm eben doch eine Romantik an, die bis heute nicht ins Elektronische übersetzbar ist. Der Brief hat Dichter und Denker aller Zeiten beschäftigt, die Schrift als Austausch zwischen Liebenden, Freunden, das Band der Worte, die Buchstaben als … geben wir mal rüber zu Honoré de Balzac: »Ein Brief ist eine Seele, er ist ein so getreues Echo der redenden Stimme, dass zarte Gemüter ihn zu den köstlichsten Schätzen der Liebe zählen.« Hach, schön. Wird von manchen aber auch anders gesehen. Friedrich Nietzsche grantelte: »Der Brief ist ein unangemeldeter Besuch, der Briefbote der Vermittler unhöflicher Überfälle. Man sollte alle acht Tage eine Stunde zum Briefempfangen haben und danach ein Bad nehmen.«
Da ist auch was dran. Zahlungsaufforderung. Mahnung. Anwaltsschreiben. Vorladung. Aber wenn der Inhalt abschreckt, soll er wenigstens hübsch verpackt sein.