Der Inzestprozess

Seit Montag steht Josef F., der Inzest-Vater von Amstetten, vor Gericht. Wir erklären den schrecklichsten Fall der österreichischen Kriminalgeschichte – von A wie Anklageschrift bis Z wie Zeugen.

Anklageschrift
Die 27 Seiten dicke Anklageschrift legt Josef F. Mord, Sklaverei, Vergewaltigung, Freiheitsentzug, schwere Nötigung und Blutschande zur Last.

Burkheiser, Christiane
Christiane Burkheiser führt die Anklage gegen Josef F., der seine Tochter Elisabeth 24 Jahre lang in einem Verlies im Keller gefangen hielt, tausende Male vergewaltigte und mit ihr sieben Kinder zeugte. Die 33 Jahre alte Staatsanwältin hatte Wochenenddienst, als im April 2008 eines der im Keller gefangenen Mädchen sterbenskrank ins Hospital gebracht werden musste und damit den Fall ins Rollen brachte. Charakter
Bekannte sehen in Josef F. einen netten, sparsamen Kerl, der gern obszöne Witze macht und laut lacht. Seine Familie beschreibt ihn als herrschsüchtigen Patriarchen. Für die Boulevardmedien ist er ein sexbesessener Despot. Der Gefängnisdirektor beschreibt F. als „ruhigen, höflichen, korrekten, sehr angepassten“ Häftling.

Dunkelheit
Um seine Gefangenen zu bestrafen, soll Josef F. im Verlies mehrmals den Strom abgeschaltet haben – oft tagelang, „sodass im Kellerverlies komplette Dunkelheit herrschte, keine Mahlzeiten zubereitet werden konnten, kein Warmwasser aufbereitet werden konnte, (...) der Küchenventilator und der Heizstrahler ausfielen“, wie es in der Anklageschrift heißt.

Meistgelesen diese Woche:

Erste Fotos
Die britische Boulevardzeitung „Sun“ druckte im Februar 2009 die ersten Fotos von Elisabeth F. Ein Fotograf lauerte ihr vor ihrem Haus auf, als sie mit einer Tochter vom Einkaufen zurückkam. Elisabeth F. und ihr Anwalt hatten zuvor gebeten, keine Bilder zu veröffentlichen, auf denen sie in ihrem neuen Leben zu sehen ist.

F., Josef
Sein Doppelleben versteckte er hinter einer biederen Fassade. Der Elektrotechniker führte mit seiner Ehefrau ein Gasthaus mit Pensionszimmern, betrieb einen Campingplatz und vermietete Häuser. Mit seiner Ehefrau hat er sieben Kinder; drei Kinder seiner Tochter Elisabeth holte er aus dem Keller zu sich nach oben, wo er sie als Pflegekinder adoptierte. Seiner Frau erklärte er, seine Tochter sei zu einer Sekte geflohen und habe die Kinder vor der Haustür abgelegt. Der 73 Jahre alte F. bekennt sich in allen Anklagepunkten schuldig.

Geschworene
Acht Geschworene, wie Laienrichter in Österreich genannt werden, entscheiden über Schuld oder Unschuld und bestimmen danach gemeinsam mit drei Berufsrichtern (dem sogenannten Schwurgerichtshof) die Strafhöhe. Die vier Frauen und vier Männer wurden nach dem Zufallsprinzip über die Wählerliste ausgewählt.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: H wie Humer, Andrea bis O wie Opfer)

Humer, Andrea
Andrea Humer führt den Vorsitz beim Prozess. Die 48 Jahre alte Richterin ist am Landesgericht St. Pölten für Sittlichkeitsverfahren zuständig; zuletzt kümmerte sie sich unter anderem um den Sex-Skandal im Priesterseminar von St. Pölten.

Inzest
Inzest bezeichnet Geschlechtsverkehr zwischen nahen Verwandten. Ein DNA-Test bestätigte, dass Josef F. mit seiner Tochter Elisabeth sieben Kinder gezeugt hat.

Justizvollzugsanstalt St. Pölten
Seit Josef F. verhaftet wurde, sitzt er in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt St. Pölten. Dort lebt er in einer zwölf Quadratmeter großen Zelle, die er sich bis vor Kurzem mit einem wegen sexuellen Missbrauchs inhaftierten früheren Schulwart teilen musste.

Komplizen
Hinweise auf Komplizen gibt es laut Polizei nicht. Selbst die Ehefrau von F. soll nichts von seinem Doppelleben bemerkt haben.

Landesklinikum Mostviertel
Nachdem Elisabeth F. und ihre Kinder aus dem Verlies befreit worden waren, erholten sie sich acht Monate lang im Landesklinikum Mostviertel von ihrem Martyrium – streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Mittlerweile sollen sie mit einer neuen Identität in Oberösterreich leben. Aus Sicherheitsgründen ist die Familie für die Dauer des Prozesses in das psychiatrische Krankenhaus zurückgekehrt.

Mayer, Rudolf
Rudolf Mayer vertritt gemeinsam mit einem Kollegen Josef F. vor Gericht. Der 60 Jahre alte Mayer zählt zu den bekanntesten Anwälten in Österreich. Für ihn ist F. "eine jedenfalls schwer gestörte Persönlichkeit mit zumindest zwei Persönlichkeiten in sich".

Neonatologe
Beim Prozess wird neben Psychologen und Technikern auch ein Neonatologe (Facharzt für Neugeborene) als Gutachter aussagen. Ein im Keller geborener Sohn von Josef F. soll kurz nach der Geburt wegen Atemproblemen gestorben sein. Bei sofortiger Hilfe wäre das Kind laut Gutachten zu retten gewesen. F. droht nun eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes in Form unterlassener Hilfeleistung.

Opfer

Elisabeth F. und ihre drei Kinder, die ihr gesamtes Leben im Keller verbrachten, verarbeiten die Geschehnisse mit Hilfe von Psychiatern, Neurologen und Physiotherapeuten. Die Leiche des Babys, das kurz nach der Geburt starb, wurde von Josef F. im Heizungsofen verbrannt. Die Asche verstreute er im Garten.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: P wie Psychiatrisches Gutachten bis Z wie Zeugen)

Psychiatrisches Gutachten
Sachverständige stufen Josef F. für den Tatzeitraum als zurechnungsfähig ein. Er weise jedoch eine höhergradige seelisch-geistige Abartigkeit auf.

Reporter
Für den Prozess haben sich 200 Journalisten aus aller Welt angemeldet; im Gerichtssaal gibt es allerdings nur 98 Sitzplätze. Der Prozess wird aber bis auf die Verlesung der Anklage und die Urteilsverkündung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Vor dem Gericht wurde ein beheiztes Zelt mit Würstelbude aufgebaut, in dem die Reporter täglich auf einer Pressekonferenz informiert werden.

Sklaverei
Zum ersten Mal in der österreichischen Justizgeschichte beruft sich die Staatsanwaltschaft auf den Sklavereiparagrafen. F. drohen demnach zehn bis zwanzig Jahre Haft, weil er seine Tochter in eine „sklavereiähnliche Lage“ gebracht habe, wie es in der Anklageschrift heißt. Er habe die Frau „verschleppt und eingesperrt“, sie in „vollständige Abhängigkeit gebracht“, ihr „sexuelle Dienste“ abverlangt und über sie „wie über sein Eigentum“ verfügt.

Tagebuch
Elisabeth F. führte während ihrer 8642 Tage langen Gefangenschaft Tagebuch. Anfangs kritzelte sie auf lose Zettel oder Verpackungsmaterial, später machte sie sich auf Kalendern Notizen. Sie schreibt über Essen und Kinderkrankheiten, aber auch über den Alltag im Verlies. Sie hat zum Beispiel auch festgehalten, wie sie sich auf die Lauer legt, um mit bloßen Händen Ratten zu fangen.

Urteil

Das Urteil im Prozess gegen Josef F. wird für Freitag erwartet. Ein Urteil gibt es schon: Die Ehefrau von F. hatte gegen Verlage geklagt, die mit Zeitungsartikeln ihren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt haben. Das Gericht gab ihr Recht und sprach ihr 11000 Euro Schadenersatz zu.

Verlies

Josef F. richtete im Keller seines Hauses in Amstetten ein 60 Quadratmeter großes Verlies ein, in das weder Tageslicht noch Frischluft kommen konnten. Hinter einer 300 Kilogramm schweren, mit einem Zahlencode gesicherten Tür befanden sich fünf Räume mit einer Deckenhöhe von etwa 1,70 Meter. Das Verlies war mit Kochnische, Waschbecken, Dusche, WC, Betten, Kühlschrank, Tiefkühltruhe, Waschmaschine, Fernseher und Radio ausgestattet.

Wirte

Der Sprecher der Wirte von St. Pölten rief seine Kollegen via Rundbrief zu größtmöglicher Servicefreundlichkeit auf (Speisekarten auf Englisch, Küche länger offen). Ein Wirt wollte in der Prozesswoche ein „F.-Schnitzel“ servieren. Nach Intervention des Bürgermeisters hat er es von der Speisekarte genommen.

Ybbsstraße
Der Keller des Hauses in der Ybbsstraße in Amstetten, in dem sich das Drama abspielte, ist noch immer gerichtlich versiegelt. Nun soll es wie sechs andere Häuser von Josef F. verkauft werden. Grund: Josef F. soll mehr als 3,5 Millionen Euro Schulden haben.

Zeugen
Die 43 Jahre alte Elisabeth F. wird ihren Vater vor Gericht nicht treffen. Sie hat elf Stunden lang vor einer Videokamera ausgesagt. Ihre Aussagen werden beim Prozess vorgespielt. Die anderen Kinder und die Ehefrau von Josef F. machen von ihrem Recht Gebrauch, ihre Aussage zu verweigern.

Foto: dpa