Wie sähe unsere Gesellschaft aus, wenn wir uns wieder mehr mit dem Tod beschäftigen würden? Diese Frage stellte unser Autor Tobias Haberl vor zwei Wochen in einem viel diskutierten Artikel mit dem Titel Wir sollten leben mit dem Tod vor Augen. Haberl beschreibt darin, wie der Tod in den vergangenen Jahrzehten gewissermaßen aus dem Leben verschwunden ist: Es sei zum Beispiel noch gar nicht lang her, dass verstorbene Angehörige im Wohnzimmer aufgebahrt und gemeinsam verabschiedet wurden. Inzwischen hätten wir alles, was mit dem Tod zu tun hat, ausgelagert und an Dienstleister übertragen, an Fachkräfte für das Sterben.
Ein Grund dafür ist laut Haberl der Wunsch des modernen Menschen nach Sicherheit, Berechenbarkeit und Selbstbestimmung. Dass der Gedanke an den Tod all das ins Wanken bringe, sei für viele unerträglich. Tatsächlich sei es in vielerlei Hinsicht bereichernd, so Haberls These, sich mit dem Tod zu beschäftigen – weil in unserem oft oberflächlichen Leben dadurch eine neue Tiefe mit neuen Prioritäten Einzug halten könne, was im besten Fall zur Folge habe, »dass die Menschenfeindlichkeit und das ständige Ich-Getue einem Gemeinschafts- und Gelassenheitsgefühl weichen«. Haberl hat auch einen Vorschlag, wie diese neue, intensive Beschäftigung mit dem Tod zu erreichen sei: durch eine verpflichtende Sterbebegleitung beziehungsweise »ein obligatorisches Angebot, den Tod kennenzulernen«, zum Beispiel durch die Begleitung eines Menschen bei seiner »letzten Reise« oder ein »Schnupperpraktikum bei einem Bestattungsunternehmen«.
Unter Tobias Haberls Artikel hatten wir unsere Leserinnen und Leser aufgerufen, uns ihre Gedanken zu diesem Thema mitzuteilen. In den vergangen zwei Wochen haben uns mehrere Dutzend oft sehr lange und persönliche Zuschriften erreicht; bei allen Einsenderinnen und Einsendern möchten wir uns herzlich bedanken. Viele schilderten, wie sie selbst den Tod geliebter Menschen erlebt haben, wie sie Abschied nehmen konnten und wie sich dadurch ihr Blick auf das Leben verändert hat. Mehrere Leser schrieben, dass sie sich im Nachhinein gewünscht hätten, besser auf die Konfrontation mit dem Tod vorbereitet zu sein; wäre das der Fall gewesen, hätten sie die Zeit mit der sterbenden Person besser nutzen können Die große Mehrheit hat dabei aber Haberls These zugestimmt, dass die Begegnung mit dem Tod bei allem Schmerz und aller Trauer auch bereichernd sein kann, weil man dadurch einen neuen, tieferen Blick auf das gewinnt, was wichtig ist im Leben.
Durchaus kontrovers wurde Haberls Idee einer verpflichtenden Sterbebegleitung aufgenommen. Das sei eine gute Idee, jedoch völlig unrealistisch, findet Leser Tenzin P. – weil nicht jeder die notwendige Reife für eine solche Aufgabe mitbrächte; Sterbende bräuchten Unterstützung beim Loslassen und kein ängstliches Gegenüber, das sich hier eben mal ausprobiert. Auch Christiane B. hält das Ehrenamt der Sterbebegleitung für viel zu sensibel und schulungsintensiv, um es obligatorisch zu machen. Viel Einfühlungsvermögen und Vorbereitung seien gefragt: »Bei der Begleitung von Sterbenden muss man seine eigene Persönlichkeit zurücknehmen und vielleicht auch mal über seinen Schatten springen (z. B. den Rosenkranz beten, weil es gerade genau das ist, was die Person braucht)«, schreibt sie. Und auch Franz H. fragt, welcher Sterbende wohl von einem dazu verpflichteten Menschen begleitet werden wolle, der womöglich gar nicht bei der Sache sei.
Dass es viel verlangt wäre, eine Sterbebegleitung verpflichtend zu machen, ist auch Tobias Haberl bewusst, wenn er schreibt: »Dieser Text ist mehr als ein Plädoyer, er ist ein Gedankenexperiment, ein politischer Vorschlag, wahrscheinlich auch eine Provokation, obwohl er gar nicht so gemeint ist.« Erzwingen könne man die Auseinandersetzung mit dem Tod nicht, gibt Christina E. zu bedenken, das rufe nämlich eher noch mehr Widerstand hervor. »Ich halte etwas von einer freiwilligen Auseinandersetzung mit dem Thema. Aufklären, näherbringen, das ja und das unbedingt, aber nicht aufdrängen«, schreibt sie. Dass der Tod oft verdrängt werde, bestätigt Karin Z., die bei ihrer Arbeit in einem Hospiz eine sonderbare Beobachtung gemacht hat: »Oft habe ich das Gefühl, die Menschen erinnern sich erst kurz vor dem Tod daran, dass wir alle sterben.«
Dagegen könne nach Ansicht von Peter B. helfen, »uns immer wieder klar zu machen, dass wir vergänglich sind, und dass wir unserer Vergänglichkeit nicht entgehen.« Es gehe darum, »diesen Gedanken überhaupt zuzulassen. Ganz konkret. Ganz persönlich. Individuell. Und dazu gehört auch, sich sich selbst auf dem Sterbebett vorzustellen.« Und noch ein anderes wichtiges Thema spricht Leser B. an – die Religion. »Ich denke, jemand, der den Tod nicht als das Ende betrachtet, stirbt anders als jemand, der überzeugt ist, dass nach dem Tod das Große Nichts sein wird. Jemand, der an einen strafenden Gott glaubt, wird anders sterben als jemand, der sich in der Geborgenheit eines großen All-Liebenden weiß.«
Mit dem Gedanken, Menschen in ihren letzten Momenten beizustehen, spielt Petra F. schon lange. Wenn sie pensioniert ist, möchte sie sich zur Sterbebegleiterin ausbilden lassen. »Es muss furchtbar traurig sein, wenn man am Ende seines Lebens niemanden hat, der einem zuhört und zuspricht.« Für Marco W. war Tobias Haberls Text tatsächlich ein wichtiger Anstoß dazu: »Der Artikel hat mich motiviert und inspiriert, demnächst Sterbebegleitung ehrenamtlich zu beginnen.« Eine sehr intensive Sterbebegleitung hat Gesa B. hingegen schon hinter sich, und was sie darüber schreibt, bestätigt vieles von dem, was Tobias Haberl geschrieben hat: »Auch wenn es paradox klingt, meine Großmutter beim Sterben zu begleiten, war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens. Es hat mich sehr mit ihrem Tod versöhnt - auch wenn es trotzdem furchtbar traurig war.«