Früher bildete ich mir ein, viele Bücher besitzen zu müssen. Jede Woche ging ich in den Buchladen und kaufte eines. Hatte ich es gelesen, stellte ich es ins Regal und kam mir recht klug und belesen vor. Leider war das sehr teuer, das Regal füllte sich nur langsam, und so freute ich mich, als ich eines Tages auf dem Trottoir eine Kiste Bücher fand mit dem Vermerk: Zu verschenken. Ich griff eines, dessen Titel ich schon mal gehört hatte: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.
Ich las den ersten Satz, die erste Seite, und verliebte mich im Stehen auf dem Gehweg in die Helden Tomas und Teresa; ich bewunderte den Autor, seine Weltsicht, seinen Gedanken der ewigen Wiederkehr. Ich nahm das Buch mit nach Hause, und als ich es gelesen hatte, bestellte ich alle Bücher Kunderas, die damals erschienen waren: Abschiedswalzer, Das Leben ist anderswo, Der Scherz, Die Unsterblichkeit – aber keines mochte ich wie Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Im Laufe der Jahre wuchs meine Sammlung. Zog ich um, packte ich als Erstes die Bücher, schleppte sie treppab, treppauf, und als Töpfe und Hemden noch in Kisten lagen, standen die Bücher schon längst im Regal. So viele waren es schließlich, dass ich sie bei einem weiteren Umzug zurücklassen musste. Ich hatte eine Stelle in einer anderen Stadt angenommen, wollte erst mal pendeln: dort ein möbliertes Zimmer, hier die Wohnung mit meiner damaligen Freundin. Wenig nahm ich mit, Dokumente, Briefe, vielleicht zehn Bücher, Schloss Gripsholm, Segen der Erde, Don Quijote, Geschwister Tanner; Kundera war nicht dabei.
Dann, es ist schon lange Jahre her, geschah etwas Furchtbares. Meine damalige Freundin wurde schwermütig. Sie zog sich zurück, ließ keinen mehr in die Wohnung; keine Familie, keine Freunde, auch mich nicht. Wir haben zusammen viel geweint, am Telefon. Am Ende blieb die Frage: Hole ich meine Sachen? Ich ließ alles zurück. Sie sollte gegen die Schwermut kämpfen, nicht gegen mich. Später hörte ich, sie habe den Kampf gewonnen.
Seit dieser Zeit muss ich keine Bücher mehr besitzen. Habe ich eines ausgelesen, lasse ich es fast immer liegen, im Café, in der Bahn, wo ich gerade bin.
Neulich kam ich aus meiner Wohnung und im Hauseingang, neben den Briefkästen, stand eine Bücherkiste: Zu verschenken. Neugierig schaute ich hinein. Zwischen Glennkill und einem Buch über Vorstellungsgespräche: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, eine vergilbte Taschenbuchausgabe von 1987. Ich las den ersten Satz: »Die ewige Wiederkehr ist ein geheimnisvoller Gedanke und Nietzsche hat damit manchen Philosophen in Verlegenheit gebracht: Alles wird sich irgendwann so wiederholen, wie man es schon einmal erlebt hat, und auch diese Wiederholung wird sich unendlich wiederholen.«
Ich las weiter, stehend, vor den Briefkästen, und war erstaunt: Die Geschichte berührte mich nicht. Und Gedanken, die ich einst bewunderte, weckten Widerspruch. Nein, nichts wiederholt sich, wie wir es schon mal erlebt haben. Erlebt ein Mensch etwas wieder, ist er schon ein anderer. Ich legte das Buch zurück. Und freute mich, als ich durch die Straßen ging, über die Leichtigkeit des Seins.
Illustration: Jill Senft