Marlene Streeruwitz über Gabriela Adamesteanu
»Obwohl Der gleiche Weg an jedem Tag fast 40 Jahre alt ist und in Rumänien spielt, kann es dabei helfen, das Heute zu verstehen. Es ist ein stilles, zurückhaltendes Buch, das mit seinen ungemein vielen Details fast wie ein Geschichtsarchiv ist. Wir lernen wie Frauenerziehung sich verändert, aber nicht verbessert hat. Wir lernen, wie Lebenswege im Osten und Westen einander ähneln. Eine junge Frau wird erwachsen in einer Welt, die falsch ist, und sie findet einen Weg, zu überleben, ohne sich selbst zu verraten. Die Heldin tut das mit einer ihr eigenen Würde. Und sie muss nicht, wie männliche Helden das so oft müssen, ausbrechen und zugrunde gehen. Das wird weiblichen Helden ja oft vorgeworfen, dass sie zu viel weinen und zu wenig sterben. Gerade das ist eine sehr heldische Haltung der Protagonistin: »Ich kann jetzt leider keine Rücksicht drauf nehmen, dass ihr wollt, dass ich sterbe.« Sie ist nicht getrieben von Ideologie oder Religion. Sie opfert sich nicht. Das ist ihr Widerstand.Und das ist eine Riesenleistung der Autorin.«
»Der gleiche Weg an jedem Tag« von Gabriela Adamesteanu erschien 2013 zum ersten Mal in deutscher Übersetzung im Schöffling & Co-Verlag.
Zoë Jenny über Sylvia Plath
»Sylvia Plath Roman Die Glasglocke war eine meiner ersten Leseerfahrungen. Als ich das Buch zum ersten Mal las, war es, als ob in mir eine Bombe explodierte. Ihre Sprache hatte einen Sog, eine Kraft, der ich mich nicht entziehen konnte. Es war, als ob ich »angesteckt« wurde, mit einer seltsamen Krankheit, nämlich der Möglichkeit, mich in ein Buch zu verlieben. Ich konnte an nichts anderes denken, mich mit nichts anderem beschäftigen. Sylvia Plath veränderte mein Leben. Ähnlich erging es mir mit ihrem Gedichtband Ariel, den Kurzgeschichten Zungen aus Stein, Die Bibel der Träume und den Tagebüchern. So schön, gnadenlos und wahrhaftig hat kaum jemand die dunkle Seite des Herzens beleuchtet. Für mich ist Sylvia Plath eine der aufregensten und faszinierendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk leuchtet einsam wie ein unerreichbar ferner Stern am Firmament der Literatur.«
»Die Glasglocke« von Sylvia Plath ist im Suhrkamp-Verlag erhältlich.
Karen Duve über Valerie Solanas
»Kein Buch hat mich je so aufgewühlt wie das Scum-Manifest von Valerie Solanas. Ein unversöhnliches Pamphlet, das nicht weniger als die Abschaffung des Geldsystems und die Vernichtung des männlichen Geschlechts fordert. Ich las es Anfang der Achtziger Jahre, einer Zeit, in der Feministinnen in Talkshows immer wieder gefragt wurden, ob sie etwa behaupten wollten, Frauen wären die besseren Menschen - und die Feministinnen sich stets beeilten, brav zu versichern, dass dies ganz und gar nicht ihre Auffassung sei. Von der Sorge, männliches Missfallen zu erregen, wurde Solanas offenbar nicht beeinflusst, als sie ihren Text schrieb. Er changiert zwischen ungebremstem Hass und brillianter Analyse, zwischen schwindelerregenden Übertreibungen und verblüffender Hellsichtigkeit. Und, ja klar: die Frauen sind die besseren Menschen - abgesehen von jenen, die immer nur nach dem Beifall der Männer lechzen und sich jedem dahergelaufenen Stück Müll bereitwillig unterordnen. Feine Differenzierungen sind Valeries Sache nicht. Es stimmt, Solanas ist radikal, extrem und hasserfüllt aber sie ist fabelhaft radikal und grandios hasserfüllt. Bis heute empfinde ich tiefe Dankbarkeit, dass es eine, wenigstens eine einzige gegeben hat, die sich die Schwanzabschneiderinnen-Vorwürfe der Feminismusgegner redlich verdient hat, und es tut mir unendlich leid, welchen Preis sie dafür schließlich zahlen musste: Valerie Solanas starb im Alter von 52 Jahren als einsamster Mensch der Welt in einem Obdachlosenheim.«
»Das S.C.U.M. Manifest« von Valerie Solanas ist im Verlag Philo Fine Arts erhältlich.
Doris Dörrie über Alice Munro
»Ich weiß gar nicht mehr, wann ich Alice Munro für mich entdeckt habe, auf jeden Fall ist es schon sehr lange her, mehr als dreißig Jahre. Ich erinnere mich, wie mich ihre typische Mischung aus Alltag und Geheimnis in ihre Geschichten hineinsog. Die wahren Mysterien deckte sie im Normalen, Banalen, Alltäglichen auf, was wahrscheinlich eine weibliche Sicht der Welt ist, und für die sie auch immer wieder als „schreibende Hausfrau“ abgetan wurde (zuletzt, als sie den Nobelpreis gewann, von Wolfgang Herles in Aspekte), vielleicht aus - männlichem - Neid auf ihre schlafwandlerische Genauigkeit im Ergründen unserer Leben: Warum sind wir so, wie wir sind? Warum handeln wir so und nicht anders? Rätsel über Rätsel. Auf verschlungenen Wegen führt sie den Leser durch das scheinbar langweilige Leben in der kanadischen Provinz mitten hinein in schlimmste Tragödien, obszöne Wahrheiten, schockierende Einsichten. Brutal und gleichzeitig so zärtlich. Ich wurde süchtig nach diesen Geschichten. Ich erinnere mich, wie ich ständig nach einem neuen Buch von ihr suchte, damals noch ohne Internet, und an das Glücksgefühl, in einer Buchhandlung dann vor einem neuen Band von ihr zu stehen, die Hand danach auszustrecken - und ihr wieder zu folgen in unser aller so seltsames Leben.«
Alices Munros letzte Buchveröffentlichung, die Kurzgeschichten-Sammlung »Liebes Leben« ist im S. Fischer-Verlag erschienen.
Cornelia Funke über Astrid Lindgren
»Ich bin inzwischen vielen weiblichen Erzählern begegnet, die mich tief beeindruckt und geprägt haben: Toni Morrison, Doris Lessing, Irmtraud Morgner, Margaret Atwood, Pam Barker, Evangeline Walton und nicht zuletzt Alice Sheldon, die sich James Tiptree nannte und brilliante Science Fiction schrieb....Aber die erste und damit vielleicht einflussreichste weibliche Stimme war Astrid Lindgren. Sie war mir nicht nur Vorbild als Erzählerin, sondern auch als leidenschaftliche Advokatin für die Rechte derer, über und für die sie schrieb. Wie sehr beeinflusst das Leben, das wir als Erzählerinnen leben, die Geschichten, die wir schreiben? Muss Menschlichkeit gelebt werden, um sich auf die Seiten eines Buches zu säen und ins Herz und Hirn der Leser? Astrids Lindgrens Kunst beantwortet die Frage mit einem leidenschaftlichen Ja. Es lässt sich so viel von ihr lernen, von ihrer Furchtlosigkeit als Erzählerin, ihrer Bereitschaft, von der Dunkelheit zu sprechen, ihrer Unbestechlichkeit, ihrer nie ermüdenen Leidenschaft für die Schwachen und Kleinen und von ihrer Meisterschaft, die größten Wahrheiten der Welt in sehr einfache und wunderschöne Worte zu fassen.«
Die deutschen Übersetzungen von Astrid Lingrens Kinderbücher sind im Oetinger-Verlag erhältlich.
(Fotos: dpa)