Drama King

Der Designer Marc Jacobs ist der letzte Querkopf im Modegeschäft. Ein Gespräch über Provokation und Dampflokomotiven.

SZ-Magazin: Herr Jacobs, bei Ihrer letzten Modenschau für Louis Vuitton ließen Sie echte Dampflokomotiven vorfahren. Ist so ein Spektakel überhaupt noch zeitgemäß im Internetzeitalter?
Marc Jacobs: Oh ja. Für mich sind die Schauen das Forum, die wichtige Schlacht, bei der ich durchsetzen will, was mir wichtig ist, denn es geht dabei um die Vision für eine ganze Saison. Nichts beeindruckt so unmittelbar wie eine echte Aufführung. Sie können sich das zwar auch als Filmchen im Internet anschauen, aber die Energie werden sie nicht spüren, den Dampf der Lok, den Lärm. Schauen Sie sich eine Oper lieber live an oder im Fernsehen?

Aber billig ist das sicher nicht. Nicken Ihre Chefs alles ab, was Sie sich ausdenken?
Manchmal muss man kämpfen. Obwohl ich sogar ein paar Leute um mich herum habe, die das für mich tun. Aber der Rauch verfliegt schnell. Wir hatten in den Saisons davor ja schon Aufzüge und auch ein Karussell. Die rauchende Kate Moss im Aufzug war auf allen Titelseiten. Wenn es sich nicht lohnen würde, wäre mir mein Chef Bernard Arnault längst auf die Füße gestiegen.

Bekommen Sie immer, was Sie wollen?
Ja, wenn ich etwas wirklich will, lasse ich mich schwer davon abbringen. Aber man muss seine Schlachten sorgfältig wählen, man kann nicht über alles streiten. Als ich gesagt habe, wir brauchen einen Zug, rollten zwar ein paar mit den Augen. Streit gab es, aber eher über die Party danach.

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Warum?
Weil wir die Lokomotive auch für die Party nach der Show haben wollten, aber niemand mir die Sicherheitsleute bezahlen wollte. Ich meine: der Zug, ja? Aber dann sparen bei Leuten, die auf ihn aufpassen sollen? Da musste ich kurz die Drama Queen spielen.

Wie muss man sich das vorstellen?
Stampfen Sie mit dem Fuß auf, fangen Sie an zu weinen?
Nein. Ich werde ein bisschen bitchy. Ich habe gesagt: »Dann komme ich eben nicht.« Keine Ahnung, ob sie das beeindruckt hat. Aber nach ein paar Tagen hatte ich meine Sicherheitsleute.

Kann es sein, dass Ihnen das Spaß macht?
Nein, ich mag es eigentlich nicht, Leute zu verärgern. Im Gegenteil, ich glaube, ich bin relativ gutmütig. Da gibt es ganz andere, ich will jetzt keine Namen nennen. Aber wenn ich einen Zug will, kann ich schon ein Quälgeist sein. Man muss sich eben Gehör verschaffen. Manchmal funktioniert’s, manchmal nicht.

Auf Ihren Schauen wird im Publikum schon mal gelacht ob der Gigantonomie. Man hat immer das Gefühl, Sie wollen sich auch ein bisschen lustig machen über das Business und seine Rituale.
Nein, mir geht es eher um den Überraschungseffekt. Mir gefällt die Vorstellung, Menschen zu berühren, und sei es nur für sieben Minuten einer Modenschau. Ich fühle mich dabei wie ein Regisseur eines Bühnenstücks, das vier Monate Arbeit bedeutet, eine einzige Generalprobe hat und dann nie wieder aufgeführt wird. Es sind so viele Menschen darin involviert, die Techniker, die Schneiderinnen, die Taschenmacher, die Models, die Setdesigner. Die Energie, die sich über Tage aufbaut und dann in einem Akt entlädt - die nimmt das Publikum mit. Damit haben wir unser Ziel erreicht.

Und dennoch gibt es eine subversive Seite in Ihrer Arbeit. Oder warum sonst lassen Sie beispielsweise für eine Kampagne Victoria Beckham in einer riesigen Shoppingtüte verschwinden? Ist das noch Werbung oder schon Gesellschaftskritik?
Das ist ein Luxus, den ich mir leisten kann. Solche Ideen entstehen in Absprache mit meinem Freund Juergen Teller, der diese Kampagnen fotografiert. Uns eint ein gewisser Sinn für die bizarre, komische, manchmal perverse Seite der Mode. Anders als bei Louis Vuitton bin ich bei meiner eigenen Firma keinen Zwängen unterworfen, ich muss nicht ständig das Luxus-Image transportieren. Wir können verrückte Sachen machen. Wir haben Helena Bonham Carter mit Flecken im Gesicht gezeigt oder ihr eine Handtasche zwischen die Zähnen gesteckt.

Was wollen Sie damit sagen?
Die Modefirmen denken, Werbung soll ein Produkt verkaufen. Sie denken, wenn Frauen eine hübsche junge Frau sehen, die tolle Sachen trägt, wollen sie auch so sein und kaufen das Produkt. Mir geht es bei diesen Motiven um einen gewissen Geist, den ich rüberbringen will, eine gewisse Verrücktheit, die sich auch in meiner Arbeit wiederfindet.

Sie sagten einmal, Sie seien ein Suchttyp, Sie könnten nur in Extremen denken. Woher kommt das?
Keine Ahnung. Ich bin einfach so gestrickt, sehr schwarz-weiß. Ich liebe die Dinge entweder, oder ich lehne sie ab. Das ist mir lieber, als etwas nur okay zu finden. So erzeugt man eine Reaktion bei den anderen. So war ich immer schon. Keine Ahnung, ob das eine gute Sache ist. Ich spreche oft mit meinem Therapeuten darüber, wie ich meine Mitte finden könnte. Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass ich so bin. Ich glaube, das ist das Schicksal kreativer Menschen.

Es fällt schwer, in Ihrer Arbeit so etwas wie einen roten Faden zu erkennen. Sie selbst haben gesagt: Ich ändere meine Kollektionen jede Saison. Manche halten Sie für einen Sampler, der nur Sachen zitiert.
Das ist doch Teil des Spaßes, nie etwas zweimal zu machen. Dabei bin ich durchaus jemand, der immer wieder auf alte Ideen zurückgreift, ich setze sie nur jedes Mal anders um. Meine Herangehensweise bleibt aber immer dieselbe.

Wie würden Sie die beschreiben?
Ich nehme gern Dinge, egal woher, die ich kenne, mit denen ich mich auskenne. Es kann etwas sein, was ich mag, aber auch etwas, was ich nicht mag. Es ist nicht abstrakt. Zum Beispiel greife ich gern Dinge auf, die dem Alltag entnommen sind, ja fast schon banal sind, wie Sweatshirts oder T-Shirts, und frage mich dann: Wie kann ich daraus etwas Romantisches machen? Vielleicht, indem ich Spitze verwende oder eine bestimmte Farbe? Solche einfachen Dinge sind oft mein Ausgangspunkt, von dem aus eine ganze Kollektion entstehen kann. Wobei ich nie die eine Idee oder Formel habe, die dann nur noch ausgeführt werden muss. Es gibt viel Spontaneität in diesem Prozess, selbst Fehler können dich einen Schritt weiterbringen.

Würden Sie sagen, das ist typisch amerikanisch?
Vielleicht, ja. Meine Vorliebe für westliche Kleidung, für Sportswear. Selbst wenn ich ein aufwändiges Kleid mache, muss eine Spur von Leichtigkeit oder Lässigkeit darin sein. Ich bin kein intellektueller Modemacher. Mir ist Zeitgenossenschaft viel wichtiger. Bei mir lässt sich alles auf bestimmte Einflüsse, meist Kleidungsstücke oder eine Person, zurückverfolgen, die existieren. Ich bin keiner, der sich Mode einfach ausdenkt. Lieber lasse ich mich von meinem Instinkt leiten.

Sie sind jetzt fast 50 und treten als Schirmherr des Wettbewerbs »Designer for Tomorrow« von P & C in Erscheinung. Was erzählen Sie Ihren Schützlingen über das Business? Hat es sich sehr verändert?
Das hat es. Viel mehr Menschen interessieren sich heute für Mode als damals. Das Publikum ist größer. Schauen Sie sich Musiker an oder Politiker. Michelle Obama trägt Kleider von jungen Designern. Es dürfte das erste Mal in der Geschichte der USA sein, dass eine First Lady nicht von einem Couturier ausgestattet ist. Auch Stars wie Lady Gaga oder die Rapperin Nicki Minaj tragen demonstrativ junge, verwegene Mode. Es gibt also durchaus einen Markt für junge Menschen, die sich über ihre Mode und ihren Stil ausdrücken. Als ich begann, war das nicht so.

Wie war es denn?
Es gab kein Google, kein Facebook und keine Blogger. Das Interesse an Mode und die Kommunikation darüber war viel geringer. High Fashion mag aufgrund ihres hohen Preises immer noch wenigen zugänglich sein, doch es gibt heute Firmen wie H & M oder Zara, die von der High Fashion beeinflusst werden und erfolgreich Mode machen, die sich jeder leisten kann. Da fand eine Öffnung statt.

Aber auch eine Kommerzialisierung. Mode ist heute vor allem ein Geschäft.
Das Kreative ist für mich untrennbar mit dem Kommerziellen verbunden. Ich habe viele Freunde in der zeitgenössischen Kunst, die wollen auch, dass ihre Bilder oder Skulpturen verkauft werden. Schriftsteller wollen, dass ihre Bücher gekauft werden. Musiker wollen, dass ihre Songs runtergeladen werden und dass ihre Konzerte ausverkauft sind. Das ist doch normal. Nur so können sie das weitermachen, was sie am besten können. Wenn du Kunst nur um der Kunst willen machst, kannst du das auch auf einer einsamen Insel tun, nur für dich. Würden große Modehäuser nicht so viele Parfums und Kosmetik in Duty-free-Shops auf Flughäfen verkaufen, müssten sie ihre Couturehäuser dichtmachen.

Mit anderen Worten: Kreativität kann es nur dort geben, wo die Zahlen stimmen?

So ist es doch in jedem Bereich. Ein Rechtsanwalt kann den prestigeträchtigen Fall, der aber wenig rentabel ist, auch nur übernehmen, weil er zig andere hat, die ihm Geld einbringen. Ich glaube nicht, dass jemand, egal in welchem Feld, lange kreativ sein oder funktionieren kann ohne finanzielle Basis. Ich sehe das auch nicht als Kompromiss, sondern als Herausforderung. Die Kunst ist, einen Teil der Freiheit, die du dir erarbeitet hast, oder wenigstens die Essenz daraus, auch für den großen Markt, für die kommerzielle Seite zu nützen.

Wie oft sind Sie heute schon komisch angeschaut worden wegen des Kilts, den Sie tragen?

Noch gar nicht. Wären wir in Schottland, würde Ihnen das gar nicht auffallen.

Manchmal schlüpfen Sie auch in ein Taubenkostüm.
Das war für eine Halloween-Party. So laufe ich nicht immer rum! Ich liebe es, mich zu verkleiden, und ich liebe Halloween. Alle sind so ungehemmt, so offen. Sie zeigen eine Seite, die einem sonst verborgen bleibt, und ich frage mich immer: Warum könnt ihr nicht wenigstens etwas davon auch mit in den Alltag hinübernehmen? Die Leute sind so in ihren Konventionen gefangen. Mode ist so eine wunderbare Form, sich auszudrücken, und je weniger man darüber nachdenkt, was die anderen von einem denken, desto lockerer geht man durchs Leben.

Fotos: Daniel Josefsohn / WireImage / Getty, Jeremy Kost / WireImage / Getty, Reuters, Getty