Es begann vor 14 Jahren mit der Geburt meines ersten Kindes. Die fand kurz vor Weihnachten statt und eine Freundin aus Amerika schenkte uns einen rot-grün-weißen Strampelanzug, in dem mein Neugeborener aussah wie das Weihnachtsmännchen, nur mit kleinen weißen Hörnern auf dem Mützchen. Supersüß, doch in der Hose, im Oberteil und im Mützchen fand ich lange, flatternde Waschzettel, auf denen furchtbare Dinge standen. Ich dürfe diese Kleidungsstücke auf keinen Fall in die Nähe von Feuer und Flammen bringen, sonst, so verstand ich das, es war ja auf englisch: Gnade dir Gott! So etwas Eindringliches hatte ich noch nie zuvor auf einem Klamottenetikett gelesen. Ich war so beeindruckt, dass ich mein kleines Weihnachtsmännchen den Großeltern am Weihnachtsabend nur circa dreißig Sekunden lang präsentierte und ihm dann umgehend die Kleidung vom Leibe riss – aus Sorge, es könnte sich geradezu von selbst entflammen.
Okay, ich war frischgebackene Mutter, etwas vernebelt und möglicherweise hysterisch. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass man es in den USA offenbar für notwendig hielt, jedes Kleidungsstück mit krassen Warnhinweisen zu versehen, im Fachjargon »Textil- und Pflegekennzeichnung« genannt. Damit niemand behaupten kann, es habe ihm keiner gesagt, dass man mit Strampelanzügen bekleidete Babys nicht ins Feuer werfen darf.
Seither begleiten mich und meine Jungs Etiketten. Viele Etiketten. In jeder Unterhose. In jedem T-Shirt. In jeder Hose. In den Mützen und Handschuhen. Nicht einer, nein, drei bis fünf Zettel sind es inzwischen. Es werden immer mehr. Und weich sind sie auch nicht, sondern aus steifem, papierartigem Stoff. So lang, dass sie in der Arschfalte kratzen. Oder im Nacken. Oder an der Hüfte. Und manchmal am Puls.
Natürlich schneiden wir die meisten heraus. Auch wenn ich mal gelernt habe, man solle das nicht tun. Wegen der Reinigung und der Versicherung. Aber es tauchen immer wieder welche auf, in den entlegendsten Ecken und Falten. Also habe ich mich jetzt mal beschwert. Die Pressesprecherin der weltberühmten Billigkette erklärte mir, dass sie im Grunde auch nichts dafür könnten. Die Globalisierung sei schuld. Und deren globalisierte Vorschriften. Die von mir angesprochenen »Waschzettel« enthielten »sowohl vom Gesetzgeber vorgeschriebene Informationen, wie auch Pflegehinweise«. Und »die Länge bzw. die Vielzahl« der Etiketten resultiere »aus der Globalität der Unternehmen, da diese Angaben für alle Länder gemacht werden müssen, in denen das Unternehmen aktiv ist«.
Die Pressesprecherin vom Fachverband German Next erklärt mir das noch etwas detaillierter. Im Textilkennzeichnungsgesetz von 2016 steht sinngemäß, dass Kleidungsstücke Textilkennzeichnungen mit Infos zu Material, Hersteller und Standort enthalten müssen. Pflegehinweise sind in Deutschland nicht Pflicht, aber in der Schweiz und einigen anderen Ländern. Und da offenbar nicht alle Menschen die Pflegesymbole verstehen, würden sie manchmal noch in die jeweiligen Vertriebssprachen übersetz, genauso wie die Infos zum Material. Alles im Sinne des Verbrauchers.
Am Wochenende war ich mit meinem Sohn in London. Dort mussten wir rasch einen Schal für ihn kaufen, vergessen, kalt. Wir hatten, wegen Handgepäck, keine Schere dabei. Also lief ich zwei Tage neben einem Kind her, um dessen Hintern und Beine drei zweikommafünf auf zwölf Zentimeter lange, weiße, sperrige Zettel flatterten, wie Signalfahnen. Auf dem einen steht:
100% acrilico - acrylique - acrylic - acrilico - acryl - ακρυλικό - акрил - akryl - akril - 丙烯酸樹脂 - アクリル - akrilik
Und auf dem anderen, dass man das Ding nicht bügeln, nicht reinigen, nur mit Hand waschen, nicht maschinell trocknen und nicht bleichen solle. Von Feuer und Flammen steht da nichts. Das irritiert mich jetzt schon. Vielleicht sollte ich mich da mal beschweren.
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