Für seine Größe hat der Mann eine unwahrscheinliche Aura. Er misst vielleicht 1,60, schmächtige Statur, aber diese Augen! Müde und unendlich weise blicken sie einen an, als hätten sie viel mehr gesehen als in ein Leben von 72 Jahren hineinpasst. Der Japaner Yohji Yamamoto ist nicht das, was man hierzulande einen Stardesigner nennt. Er meidet das Rampenlicht, man wird ihn nie fächerwedelnd auf einem roten Teppich herumstehen sehen. Dabei hat er die Mode verändert wie fast kein Zweiter. Seine Kleider, meist kunstvoll drapiert und voluminös, forderten das westliche Schönheitsideal heraus, weil sie Sexyness ganz anders definierten. Weniger plump, mit sehr viel Würde. Seine Mode stellt nicht zur Schau, sie deutet an, sucht Schönheit im Unperfekten. Diesem Ideal ist er bis heute treu geblieben, jetzt wo er in die Zielgerade seiner Karriere einbiegt.
Nur ein paar Mal im Jahr besucht der in Tokio lebende Yamamoto sein Pariser Atelier nahe Les Halles, meist wenn er seine Pretaporter-Mode präsentiert. Manchmal gibt er auch Interviews, deren Anbahnung aber schon mal zwei Jahre dauern können. Man sitzt dann einem Mann gegenüber, der in seinem ganzen Habitus so gar nicht in die von Aufgeregtheiten und Lautsprechern bestimmten Modewelt zu passen scheint. Der keine Spielchen treibt, sondern versucht, im Interview offen und ehrlich zu sein. Natürlich trägt er schwarz, wie immer. Mit seinem Schlapphut sieht er aus wie ein Figur aus einem Kurosawa-Film. Und so spricht er auch: Langsam, leise, sich immer wieder sammelnd, mit langen Pausen.
Man könnte mit ihm nun über seine neueste Kollektion reden, über Nähte, Schnitte, Silhouetten, aber Yamamoto spricht viel lieber über sein Leben, vor allem über seine Mutter, die ihn bis heute, sie ist 99, durch seine Karriere begleitet: »Ich bin ein Halbwaise, so fängt meine Geschichte an. Meine Mutter entschied sich nicht wieder zu heiraten. Ich war mein Leben lang ihr Sohn, aber auch ihr Lebenspartner. Ich habe ihr alles zu verdanken, aber sie war lange Zeit eine große Bürde für mich.«
Sie hatte ein kleines Schneider-Atelier in Tokio, wollte, dass ihr Sohn Jurist wird, aber der ließ sich treiben, reiste umher und fand einfach keinen Platz im Leben. Und so landete er schließlich als Lehrling und später als Shopmanager an der Seite seiner Mutter. Irgendwann, so Yamamoto, habe er aber keine Lust mehr gehabt, vor den Kundinnen niederzuknien und die immergleichen Kleider zu nähen, die meist die Ehemänner in Auftrag gaben, weil sie wollten, dass Ihre Frauen »wie Püppchen aussahen«. Womit man beim Kern von Yamamotos Schaffen angelangt ist: der Respekt vor dem weiblichen Körper.
»Ich wollte ihn von Anfang an verstecken vor den gierigen Blicken der Männer«, sagt Yamamoto, denn Mode sei Imagination. Und genau das war der Bruch, der die Modewelt erschütterte, damals Anfang der Achtzigerjahre, als er zusammen mit seiner damaligen Freundin Rei Kawakubo, Gründerin des Labels Comme Des Garcons, das Pariser Mode-Establishment herausforderte. »Hiroshima-Chic« und »Anti-Fashion« wurden seine Kollektionen damals noch abfällig genannt. Heute ist sein Name mit der wohl größten ästhetischen Zäsur der Nachkriegsmode verbunden. Was Yamamoto im Interview eher pragmatisch sieht: »Ich wollte einfach ein kleines Geschäft in Paris eröffnen, nicht die Mode revolutionieren. Es war einfach gutes Timing.«
Nach vielen, vielen Zigaretten, die Yamamoto aber immer nur bis zur Hälfte raucht, erzählt er noch ein paar Anekdoten über Heiner Müller, der ihn 1993 um Kostüme für die Bayreuther Festspiele bat und ein sehr trinkfester Zeitgenosse gewesen sein muss. Und schimpft über das Business, das ihm nie Antrieb war. »Ich hasse das Image des Modedesigners.« Warum er dann Mode mache? Die Antwort führt zurück in die Kindheit, zurück zur Mutter und gipfelt in einem erstaunlich mutigen Satz: »Weil ich bis heute keine bessere Methode gefunden habe zu leben«, sagt der große weise Yohji Yamamoto nach einer langen Pause und blickt den Rauchschwaden hinterher, die sich langsam ins nichts auflösen.
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Foto: Getty Images