Ausgerüstet mit Akkuschrauber, dickem Strohhalm und einem Gefrierbeutel bohre ich die Birke in Nachbars Garten an. Frisch vom Baum will ich Birkenwasser probieren, manche sagen auch Birkensaft dazu. Wie die Zapfstelle an einem kanadischen Ahornbaum, so stelle ich mir das vor. Angeblich löst Birkensaft gerade Kokoswasser ab, als Wundergetränk für ein Leben in ewiger Jugend und Schönheit. Kokoswasser schmeckt auf jeden Fall sehr erfrischend. Am liebsten mag ich es direkt aus der Kokosnuss – und die sollte jung sein.
Die Inhaltsstoffe der Birke sollen jedoch ebenfalls sehr gesund sein. Unter anderem gut gegen Cellulite, Frühjahrsmüdigkeit oder Sommersprossen und für gesunde Nieren, Haut und Haare. Birkenwasser enthält Mineralien von Kalzium bis Phosphor. Allerdings deckt ein kleines Glas davon nur beim Spurenelement Mangan einen relevanten Anteil des Tagesbedarfs, nämlich ungefähr die Hälfte. Um eine Vorstellung zu bekommen, wie toll das denn ist, prüfe ich den Mangangehalt eines anderen Lebensmittels. Zufällig wähle ich Spinat - der enthält ungefähr gleich viel Mangan. Vielleicht ist der Vergleich aber ein bisschen ungerecht, Spinat ist schließlich ein Superfood.
Abgesehen von den Mineralien sind etwa ein Prozent des Birkensaftes Kohlenhydrate, unter anderem Xylit. Das ist ein Stoff, der genauso süß schmeckt wie Zucker, dabei weniger Kalorien hat und langsamer vom Körper aufgenommen wird – für den Blutzuckerspiegel ist das günstig. Gegen Heißhungerattacken auch. Kariesbakterien sterben daran. Vor Jahren habe ich deshalb schon Marmeladen mit Xylit gekocht. Die schmecken gut und bestehende Rezepte lassen sich ganz einfach anpassen: Statt Gelierzucker eine Kombination aus separatem Geliermittel und Zucker verwenden und dabei den Zucker durch Xylit ersetzen. Damit es hübsch klingt, wird Xylit als Birkenzucker vermarktet. Der Herstellungsprozess ist aufwändig. Der größte Teil der Kohlenhydrate im Birkensaft ist nämlich nicht Xylit, sondern Traubenzucker, Fruchtzucker und Saccharose, die wir als Rübenzucker kennen. Die großindustrielle Herangehensweise gefällt mir nicht, deshalb koche ich meine Fruchtaufstriche schon lange wieder mit Zucker. Natürlich wird auch die Melasse für Rübenzucker nicht von Pfälzer Omis in Kupferkesseln gerührt, doch in der Zuckerrübe ist von vornherein schon eine große Menge Zucker enthalten. Der Weg zum fertigen Produkt ist einfach nicht so weit wie von Birkenwasser oder Birkenhackschnitzeln zu Xylit. Aber für Menschen, die sehr genau auf Schwankungen des Insulinspiegel achten, kann Birkenzucker eine Alternative zu Rüben- oder Rohrzucker sein.
Ein paar Tage später gehe ich zu meiner Birkenwasser-Zapfstelle um die Ernte einzufahren. Vielleicht kann man das Wasser ja wie Ahornsirup einkochen? Der Beutel ist leer, die Strohhalme sind trocken, ein Fehlschlag. Ich hätte auf die Dame hören sollen, die mich belustigt beobachtete, als ich meinen provisorischen Zapfhahn im Garten ihrer Tochter installierte: »Meine Brüder haben das früher gemacht – um sich das Birkenwasser in die Haare zu schmieren. Sie sind zu spät dran, sobald die Blätter draussen sind, ist es vorbei.«
Trotzdem will ich das Wasser probieren und bestelle naturreines, unpasteurisiertes Birkenwasser von einem kleinen Familienbetrieb aus Finnland. Es gibt einige Anbieter, die Preise schwanken zwischen 10 € und 30 € pro Liter. Das Birkenwasser schmeckt - nach fast nichts. Xylit ist wie gesagt auch kaum drin und Mineralien nicht mehr als in anderen Lebensmitteln. Wenn man Birkensaft im April kostenlos selber zapfen kann, ist es sicher eine interessante Erfahrung ein reines Naturprodukt frisch vom Baum zu trinken. Wenn man es teuer kaufen muss, würde ich dieses Mal empfehlen: Probieren Sie es nicht.
Gebratene Birkenblätter mit Erdbeeren
Was ich nach dem Tipp einer schwedischen Freundin auch probiert habe, sind ganz junge Birkenblätter. Ihre Mutter hatte die Blätter für die Kinder mit etwas Butter und Zucker ganz kurz gebraten. Das schmeckt fein und ungewöhnlich, mir gefällt die Kombination mit säuerlichen Erdbeeren. Man muss die Blätter wirklich in den allerersten Frühlingstagen pflücken, solange sie noch ganz hell und zart und ein bisschen klebrig sind. Als ich ein paar Tage später für das Foto ein zweites Mal Birkenblätter gesammelt habe, waren sie schon ein bisschen bitter.