»Das hat mich viel Kraft gekostet«

Katarina Witt hatte den Leistungssport lange an den Nagel gehängt, als sie mit 28 beschloss, noch mal bei Olympia anzutreten. Im Interview erzählt sie, warum dieser Auftritt ein persönlicher Erfolg für sie war – obwohl sie die Goldmedaille klar verpasste.

Katarina Witt 1994 in Lillehammer, im deutschen Olympia-Outfit »Sunset Orange« von Bogner. Sie wurde viermal Weltmeisterin, sechsmal Europameisterin und zweimal Olympiasiegerin.

Foto: ullstein bild

SZ-Magazin: Frau Witt, wie dachten Sie früher: erst 28 oder schon 28?
Katarina Witt:
Ich habe nie in diesen Altersgrenzen gedacht. Ich wusste aber 1994: Für eine Eiskunstläuferin bei Olympia bin ich alt.

Sie haben als Leistungssportlerin mit 22 aufgehört, hatten alles erreicht. Dann kehrten Sie zurück, mit 28, um an den Olympischen Winterspielen in Lillehammer teilzunehmen. Wie kam es dazu?
Ich habe damals große Shows und eigene Tourneen in den USA absolviert. Dann erlebte ich meine erste kapita­listische Markterfahrung, denn unsere erfolgreiche Show wurde über unsere Köpfe hinweg verkauft. Als Sportler brauchst du ein Ziel, wofür du dich schindest. Da ergab sich plötzlich die Möglichkeit, noch einmal bei Olympia dabei zu sein. Ich hatte Lust darauf und ich wollte nicht zehn Jahre später bereuen, dass ich es nicht versucht habe.

Sie traten zum ersten Mal in einer gesamtdeutschen Mannschaft an.
Das war das Schönste: Ich konnte meine Eltern dabeihaben, meinen Bruder. Während meiner aktiven Zeit hatte ich das nie gekonnt. Es ging vor allem ums Dabeisein.

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Der Druck muss trotzdem groß gewesen sein.
Ja. In den USA haben alle gesagt: Wow, Hut ab. In Deutschland war es eher so: Die braucht wohl wieder das Rampenlicht. Was den Leuten hier nicht bewusst war – damals gab es ja kein Facebook, kein Instagram: In den USA waren wir Eisläufer schon Megastars. Wir flogen im privaten Jet von Show zu Show und hatten in allen Sendern Fernsehauftritte. Für mich ging es nicht darum, noch bekannter zu werden. Für mich war das Risiko eher groß, etwas zu verlieren.

Aber Sie haben es gemacht. Und wurden Siebte.
Mein Anspruch als Leistungssportlerin war: Ich muss Gold gewinnen. Bei meinem Olympia-Comeback war jedoch klar, dass ich eher nicht um Medaillen kämpfe. Aber ich wollte zeigen: Ich bestimme, wann ich aufhöre. Mit 28 konnte ich ganz andere Themen choreografisch umsetzen als mit 18 oder 22. Mit Sag mir, wo die Blumen sind wählte ich ein Friedenslied für meine Kür. Ich war 1984 erstmals Olympiasiegerin in Sarajevo geworden, inzwischen herrschte dort ein fürchterlicher Bürgerkrieg. Ich wollte, dass man diese Menschen nicht vergisst. Auch dafür habe ich die Weltbühne Olympia genutzt.

Sie stellten Ihre Kür am 3. Dezember 1993 in Frankfurt vor.
An meinem 28. Geburtstag. Es war ein katastrophaler Auftritt, ich bin gefühlt nur gestürzt. Wir sind mit hängenden Köpfen nach Hause gefahren, in den Medien gab es Prügel. Das hat mich viel Durchhaltevermögen und Kraft gekostet.

Schlimmster Geburtstag bis heute?
Ja!

Wie kamen Sie nach so einer Erfahrung wieder zu sich?
Das ist das Sportlersein. Ich wusste: Ich habe gut trainiert, ich muss nur meine Nerven behalten. Das versuche ich auch heute, Jüngeren zu vermitteln: keine Angst vor Fehlern, vorm Versagen. All das bringt dich weiter. Aber es ist etwas sehr Verpöntes. Das ist leider eine un- schöne Mentalität bei uns in Deutschland, nicht nur im Sport, auch im Geschäftsbereich schlägt dir eher Häme entgegen, statt dass dir jemand auf die Schulter klopft und sagt: Nächstes Mal klappt es.

Was hätten Sie mit 28 gern gewusst, was Sie heute wissen?
Ich bin froh, dass ich vieles nicht wusste. Sonst wäre ich nicht drauflosmarschiert. Auch dieses körperliche An-die-Grenzen-Gehen im Leistungssport: Das macht man nur, wenn man jung ist und sich der Tragweite nicht bewusst ist. Heute schaue ich manchmal zurück und denke: Was habe ich alles mit mir machen lassen? Aber es zeigt auch, wie widerstandsfähig der Koörper ist, wie leidensfähig. Wie wir an Grenzen geraten, die noch längst nicht unsere Grenzen sind.

Ein Rat an 28-Jährige?
Nicht so weit nach vorn schauen. Ich glaube, dann verliert man, im Moment zu leben. Lieber sich festbeißen, dranbleiben, und wenn man merkt, es wird nichts, kann man immer noch umschwenken. Kein Mensch weiß, wie das Leben 30 Jahre später aussieht.