Es gäbe für Ottfried Fischer viele Gründe, schwarzzusehen. Das Pflaster an der linken Hand gehört eher nicht dazu.
Aachen, mitten im Karneval. Ottfried Fischer bekommt den Orden wider den tierischen Ernst, das »wider« ist natürlich albern, der Verein, der den Orden vergibt, nimmt seine Aufgabe tierisch ernst. Im Foyer des Eurogress-Centers hängen Bilder der früheren Ordensträger, manche von ihnen sind da, Theo Waigel, Jürgen Rüttgers. Sogar ein Mitglied der Bundesregierung, Gesundheitsminister Daniel Bahr, immerhin. Die Ordensverleihung ist hier das wichtigste gesellschaftliche Ereignis, der Wiener Opernball Aachens. Die Gäste schreiten über den roten Teppich, kaum Faschingskostüme, dafür Fracks und Ballkleider. 1250 Gäste, volles Haus.
Mitten im Gewühl Ottfried Fischer, ein Sitzplatz direkt am Mittelgang, damit die Kameramänner ihn so oft wie möglich aus der Nähe filmen können, mehr als vier Millionen Zuschauer wird die Aufzeichnung zwei Tage später in der ARD haben, sie werden ihn aus allernächster Nähe sehen können, jede Schweißperle, jede Falte, das hier ist kein Filmdreh, hier steht keine Maskenbildnerin bereit, um das Nötigste zu ordnen. Mit Fischer am Tisch Familie und Freunde, sein Assistent und Fahrer, seine Pressemanagerin, seine Töchter Lara und Nina, 20 und 15 Jahre alt, deren Freunde. Die Show hat noch nicht begonnen, da macht Fischer schon einen abgekämpften Eindruck. Seine Haare kleben wirr am Kopf, er atmet schwer und blickt ziellos durch den Saal. Später wird er erzählen, dass das Tagesprogramm viel zu anstrengend war, »die Strapaze war an der Grenze. Am Tag vorher Ottis Schlachthof, dann um halb fünf aufgestanden, um halb sechs zum Flughafen, den ganzen Tag Termine. Und dann musste ich da ewig sitzen...« Sein Flugzeug hatte Verspätung, das hat alles durcheinandergebracht, eine PR-Dame erklärt, der Besuch beim Bürgermeister wurde sogar abgesagt, damit, wie die PR-Frau erklärt, »der Programmpunkt Bad in der Menge wie geplant stattfinden« konnte.
Fischer sitzt jetzt also mittendrin, auf der Bühne Büttenredner, Tanztruppen, Komiker – leider marschiert alle paar Minuten irgendein Trachtenzug durch den Saal, dann stehen alle Gäste auf und klatschen im Rhythmus der Musik. Fischer tut sich nicht leicht mit dem Aufstehen. Wenn die Narren kommen, wartet er jedes Mal ab, ob er sitzen bleiben kann, dann nimmt er doch ein paarmal Schwung und steht auf – und genau dann ist der Moment auch schon wieder vorbei, alle setzen sich, nur Fischer steht dann als Einziger, eine Insel im Meer der Narren. Daniel Bahr, der junge Gesundheitsminister, sitzt gleich am nächsten Tisch, Rücken an Rücken mit Fischer, und zuckt jedes Mal, hin- und hergerissen, ob er ihm unter die Arme greifen soll oder ob das ein unwürdiges Bild ergeben könnte.
Fischers Entourage amüsiert sich hervorragend, man lacht und singt und prostet sich zu, Fischer aber sitzt so, dass er sich von seinen Leuten wegdrehen muss, wenn er das Geschehen auf der Bühne im Blick behalten will. Er wirkt dadurch merkwürdig einsam, mitten in diesem Menschengewirr. Und bevor er selbst auf die Bühne darf, muss er erst mal drei Stunden lang ertragen, dass sieben, acht, neun Komiker nacheinander auf die Bühne kommen und jeder, wirklich jeder Witze über Fischer macht. Guido Cantz sagt bei seinem Auftritt, mit Ottfried Fischer bekomme man ja viel Preisträger für wenig Orden. Und dann: »Er ist ein Superpreisträger, viel träger geht’s ja eigentlich nicht.« Das Publikum lacht dieses Mann-ist-der-frech!-Lachen, Fischer grinst schief.
Als er am Ende endlich auf die Bühne darf, um den Orden entgegenzunehmen, ist der Saal nahezu sauerstofffrei. Er nestelt einen Stoß Papiere aus der Anzugtasche – und beginnt eine konfuse Rede. Er nuschelt, er bringt die Sätze durcheinander. Es geht um Guttenberg, den Ordensträger des Vorjahres, um Aachen, um Gelfrisuren und Kohl, rätselhafterweise auch um die Odyssee. An den Tischen ratlose Gesichter. Es ist unmöglich, Fischer zu folgen, er bricht ab, sortiert seine Zettel neu, fängt eine andere Geschichte an, sucht nach dem nächsten Zettel. Stille. Den Ordensverleihern auf der Bühne gefriert das Lächeln, bei Waigel und Rüttgers dasselbe. Die Musiker der Kapelle schauen sich hilflos an, sie finden keine Stelle, an der sie das klassische Tä-Täh spielen könnten, das sonst auf jede Pointe folgt.
Später wird Fischer sagen, ja, das sei nicht ganz optimal gelaufen. So etwas passiert ihm mittlerweile immer öfter. Er redet undeutlich, er verliert den Faden. Auch ein paar Wochen zuvor, bei einer Aufzeichnung von Ottis Schlachthof in München: In seinem Monolog waren einzelne Wörter zu finden, die nach Politik und Humor klangen, aber sie fügten sich nicht zu einem Ganzen, die Assistenten, die ihm hinter der Kamera die Schilder mit den Stichworten entgegenhielten, rollten die Augen, aber dem Publikum war es egal, in Bayern lieben die Menschen ihren Ottfried Fischer, auch wenn da mal ein Witz untergeht. In Aachen dagegen: Ratlosigkeit. Die Menschen kennen Fischer aus seinen TV-Serien, sie bringen die schlagfertigen Figuren vom Bildschirm nicht mit dem fahrigen Mann da vorn zusammen. Irgendwann murmelt Fischer etwas von Christian Wulff, dann ruft er unvermittelt: »Hört auf, die Menschen zu jagen für eine Schlagzeile! Ich weiß, wovon ich rede!« Zum ersten Mal Applaus, es wird klar: Im Kampf Fischer gegen die Bild-Zeitung halten die Menschen zu ihm. Es wird auch klar: Die Gäste sind dankbar, dass sie einen Anlass zum Klatschen finden.
Krankheit und Medikamente haben seine Gesichtszüge ausgebremst
Fischer braucht jetzt öfter ruhige Momente, wie hier im Kurzentrum von Bad Füssing. Denn der Stress, die Medien, die Krankheit – all das zieht ihm manchmal schier die Füße weg.
Schließlich geht Fischer zu seinem Platz zurück. Ein paar Aachener Honoratioren diskutieren aufgeregt, was da gerade passiert ist, einer holt tief Luft und sagt: »Da haben sie sich wohl mal ordentlich verkalkuliert…« Für Fischer ist der strapaziöse Tag noch lang nicht vorbei, bis nachts um eins gibt er Interviews, die Augen fallen ihm zu. Am nächsten Tag wird er weiterfahren zu einem Kabarett-Abend in Stuttgart. Er zieht das durch. Warum?
Die letzten fünf, sechs Jahre waren anstrengend genug für Ottfried Fischer, ein Desaster nach dem anderen, schwer zu sagen, welches das schlimmste war: Die Trennung von seiner Frau? Die öffentlich breitgewalzte Affäre mit dem österreichischen Bikinimädchen? Die Bilder, die ihn völlig derangiert und mit ausgekugelter Schulter im Krankenhaus zeigten? Die Geschichte mit den zwei Prostituierten und dem Video? Das Hin und Her mit dem Bild-Reporter, der das Video in die Hände bekam? Die öffentliche Demütigung durch das Gericht, das dem Reporter recht gab, als Fischer gegen ihn klagte? Oder doch vor allem die Parkinson-Erkrankung?
Anfang Februar, Bad Füssing, Niederbayern. Von hier ist es nicht mehr weit bis Ornatsöd, in dem winzigen Dorf ist Fischer aufgewachsen, ganz im Osten, fast schon Tschechien. Fischer ist auf Kur, sechs Wochen Thermalbäder, Lymphdrainagen, Therapien, gegen das Gewicht, gegen die Parkinson-Nebenwirkungen, gegen alle möglichen großen und kleinen Beschwerden, Fischer ist jetzt 58 Jahre alt. 22 Kilo hat er nach drei Wochen abgenommen. Das Johannesbad in Füssing ist ein Ort wie aus einer Folge Der Bulle von Tölz: eine riesige Hotel- und Bäderlandschaft, verstaubte Topfpalmen in den Ecken, hellhölzernes Krankenhausmobiliar. Bleiche Menschen mit Krücken und Rollatoren schlurfen vorbei. Fischer betritt die Eingangshalle, sehr langsam, mehr ein Schleichen als ein Gehen, er trägt Jogginghose und ausgeleiertes T-Shirt, eine Regenjacke, die schief an seinem gewaltigen Körper hängt, alles dunkelgrau. Ein paar ältere Ehepaare sehen ihn, lachen begeistert, Mensch, der Otti, ja hallo, ja so was! Fischer bleibt stehen und wirft ihnen ein paar routinierte Sprüche zu: »Wo habt’s ihr denn eure Walking-Stöcke? Ich nehm ja keine mit, mich fragens immer, ob ich meine Ski vergessen hab.« Die älteren Herrschaften quietschen vor Vergnügen, nein, dieser Fischer, in echt ist der ja genauso urig wie im Fernsehen. Fischer schleicht weiter.
Er bittet in einen leeren Speisesaal, an den Tisch ganz in der Ecke, mit Blick auf die Dämpfe der Freiluft-Thermalbecken. Direkt über seinem Platz auf einer schmucklosen Polsterbank hat jemand seine Autogrammkarte an die pastellgelbe Wand geklebt, damit klar ist: Hier sitzt Lieblingsgast Ottfried Fischer, bitte freihalten. Fischer ächzt und lächelt schief. Krankheit und Medikamente haben seine Gesichtszüge ausgebremst. Er weiß das. Immerhin – er hat die Art von Parkinson, bei der man nicht zittert. Dafür wird man müde, sehr müde. Und unbeweglich. Die Aussichten: nicht gut. In extremen Fällen droht Bewegungsunfähigkeit. Aber mit Medikamenten lässt sich die Krankheit in Schach halten. Einigermaßen. Er weiß, dass es vielleicht gut wäre kürzerzutreten. Aber er will nicht.
»Ich habe den Vorteil, dass ich mir die Krankheit finanziell leisten kann. Ich habe relativ kräftig nach meiner persönlichen Philosophie im Sommer das eingefahren, was ich jetzt im Winter brauche.« Des Geldes wegen müsste er das alles also nicht mehr machen, TV-Serien drehen, auf Kleinkunstbühnen auftreten, Fernsehsendungen moderieren. »Aber man weiß nie, wie lang der Winter wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich sicher bin bis ans Ende meiner Tage. Das ist das bäuerliche Denken, das mich nie verlassen hat.«
Die Herkunft spielt bei Fischer eine große Rolle. Er erzählt von seinem Vater, dem Bauern: ein Mann, der lang nicht akzeptieren wollte, dass der Sohn so was Brotloses wie Kabarett macht. Da war der Sohn längst vom elterlichen Hof in Niederbayern nach München geflohen, Schwabing, die Welt der Kleinkunstbühnen und Bars. Dort wohnt Fischer übrigens auch heute wieder. Dass Schauspielerei ein Beruf sein könnte, gestand Vater Fischer seinem Sohn damals erst zu, als die ersten TV-Rollen kamen. 1986, als seine erste große Serie Irgendwie und Sowieso im Fernsehen lief, starb der Vater. Fischer sagt, dass er sich den Stress mit dem Aachener Orden angetan habe, liege auch am Vater: Der war gebürtiger Westfale und hat die Verleihungen jedes Jahr im Fernsehen verfolgt. Er habe das irgendwie auch zur Erinnerung an ihn gemacht.
Überhaupt, die Vergangenheit. Die Aufarbeitung. Fischer ist nicht nur auf Kur, um abzunehmen. »Ich mache hier auch eine Therapie mit dem Psychosomatiker, der will rausfinden, wo die Essstörungen herkommen. Da geht’s ans Eingemachte. Weil … ein Leben lang so einen Hunger zu haben, dass man aussieht wie ich, das kann nicht normal sein.« Schon erste Ergebnisse? »Kommen langsam. Der Arzt hat mich gefragt: Ottfried Fischer ist vielen Einflüssen ausgesetzt, von der Familie bis hin zum Publikum, er muss sehr viele Verletzungen wegstecken – wo steckt er die hin? Tja, und ehrlich gesagt, das ist mir überhaupt nicht klar, wo ich die hinstecke.«
Er hat die Bild-Reporter selbst ins Krankenzimmer gelassen
1995–2009 DER BULLE VON TÖLZ: Fischers größter Erfolg: Riesenquoten, 69 Folgen – und die unvergessliche Ruth Drexel als Mutter.
Die Verletzungen. Fischer selbst hat lange Zeit geglaubt, man könnte sie vermeiden, irgendwie die Kontrolle behalten, wenn man mit den Boulevard-Medien kooperiert. »Fehler!« sagt er und winkt unwirsch ab, »großer Fehler!« Er hat die Bild-Reporter selbst ins Krankenzimmer gelassen und sich mit ausgekugelter Schulter gezeigt. Er hat Interviews gegeben, als seine Frau sich von ihm trennte, Interviews mit Schlagzeilen wie »Nimm mich doch zurück!« und »Ich nehme meinen Otti zurück!« Fischer sitzt unter dem Autogrammkartenfoto im Kursaal und sagt: »Meine Ehe habe ich verbockt, das weiß ich selbst. Aber diese Schlagzeilen, für die konnte ich nichts. Wir haben uns da zu Interviews breitschlagen lassen, meine Frau hat jedem alles erzählt in ihrer Enttäuschung. Kann ich psychologisch nachvollziehen. Aber was die Medien aus diesen Interviews machen, das kannst du nicht beeinflussen.«
Trotzdem versuchte er es immer wieder. Auch später, als es um das Video ging, das Fischer im Bett mit zwei Prostituierten zeigte. Die beiden hatten das Video an einen Bild-Reporter weitergegeben, Fischer erfuhr davon, fühlte sich unter Druck und gab der Zeitung ein paar halbwegs lustige Statements über den ewig lüsternen Mann und das ewig lockende Weib. Die druckte das Blatt gern ab. »Aber dann stand doch wieder groß drüber: HUREN«, seufzt Fischer, »das hat überhaupt nichts gebracht.«
Er hebt die Hände, bewegt sie ein Stück aufeinander zu und dann von sich weg, das macht er oft, eine Geste, die an seinen Pfarrer Braun erinnert und zugleich wirkt, als wollte er etwas abwehren, eine Mischung aus Segnung und Verteidigung. »Heute würde ich jedem sagen: Mach nichts mit der Bild-Zeitung! Lass die schreiben, was sie wollen!« Er zögert einen kurzen Moment, »… andererseits, die schreiben dann ihren Schmarrn – und daheim sitzen die Kinder und lesen das. Da ist ja die ganze Umgebung vergiftet in dem Moment. Die Boulevard-Leute machen sich gar keinen Begriff, was sie einer Familie antun.«
Das bittere Ende ist bekannt: Fischer ging vor Gericht, aber in der Berufung bekam der Reporter recht, keine Nötigung. Eine öffentliche Demütigung, ein knappes Jahr ist das her. Fischer ging in die Revision, jetzt steht die Entscheidung an, in wenigen Tagen, am 30. März, wird das zuständige Münchner Gericht sie bekannt geben. Fischers Anwalt Christoph Knauer ist zuversichtlich: »Es gibt deutliche Anzeichen, dass sich das Ganze jetzt wieder drehen könnte.« Fischer selbst ist da nicht so sicher: »Ich muss mich sehr vorsichtig ausdrücken, aber mein Gefühl sagt mir, dass selbst in der unabhängigsten Gerichtsbarkeit im Hintergrund welche mitwirken, die auf der Seite der Gegenseite sind. Sie verstehen.« Genauer will er das nicht erklären, nur so viel: »Manche Verhandlungstage haben damals eigentlich brisante Informationen gebracht, die wurden dann aber von der Presse gezielt nicht an die Öffentlichkeit weitergeleitet …« Fischer blickt jetzt sehr ernst: »Es könnte Verfolgungswahn sein, es kann aber auch genaue Beobachtung sein – auf jeden Fall glaube ich, dass die größte deutsche Tageszeitung nicht nur Macht über die Köpfe der Leser hat. Punkt.«
Die Frage ist: Hat das ganze Durcheinander Fischer geschadet oder nicht? Damals, nach der Affäre mit der Österreicherin, nach der Trennung und den Bildern, die ihn lädiert im Krankenhaus zeigten, gab es Umfragen: Fast zwei Drittel der Befragten sagten, sie wollten Filme mit Fischer nicht mehr anschauen. Die Menschen fanden ihn unappetitlich. Ein runder, lustiger Bulle, schön und gut, aber Sexgeschichten? Ähnlich die Reaktionen nach der Video-Affäre. »Auf die Besucherzahlen im Theater und im Kabarett hat es sich auf jeden Fall ausgewirkt«, sagt er, »da sind dann doch manche moralisch angesäuert und wollen einen nicht mehr sehen. Mir haben auch Veranstalter erzählt, sie hätten arg viel erklären müssen am Telefon.« Was die Fernsehquoten anging, hatte sich die Frage wenig später sowieso erledigt. 2009 starb Ruth Drexel und mit ihr die Bullen-Serie.
Aber Fischer hat genug zu tun. Er ist ja trotz allem ein erfolgreicher Mann, seit Jahren einer der am besten verdienenden Fernsehstars, immer noch erste Liga – und bitte nicht vergessen: Wenn der Mann einen guten Tag hat, kann er immer noch jeden Saal mitreißen. Er tritt als Kabarettist auf, in kleinen Sälen in der Provinz, neuerdings auch mit befreundeten Musikern, ein Programm aus Texten und Liedern. Er moderiert Ottis Schlachthof. Und er dreht weiterhin fürs Fernsehen, die Serie Pfarrer Braun. »Meine zehn Stunden am Tag reiß ich da immer noch runter.« Es soll dynamisch klingen.
Die Wirklichkeit sieht so aus: Anfang Dezember in Mittenwald, ein strahlend klarer Tag am Fuß der bayerischen Alpen. Der Himmel fürstlich blau, die Sonne gleißend wie im Reiseprospekt. In einer Kirche mitten im Ort werden Szenen für Pfarrer Braun gedreht. Fünfzig Leute frieren sich auf dem Friedhof die Füße in den Bauch, Kabelträger, Beleuchter, Helfer. Drinnen, in der Kirche St. Nikolaus, läuft die Kamera, heute nur Innenaufnahmen, später im Film soll die Kirche auf der Zugspitze stehen. Es ist kurz vor Mittag, Fischer, der den Pfarrer jetzt zum 21. Mal spielt, wirkt erschöpft. Bei seinen Dialogzeilen stützt er sich auf den Kirchenbänken ab, manchmal fallen ihm Sätze nicht ein, dann wartet er schweigend, bis irgendjemand vom Team ihm das nächste Stichwort zuruft. Arbeit in Zeitlupe. Zwischen zwei Aufnahmen geht er raus vor die Kirche, rutscht mühsam in einen Klappstuhl. Er trägt ein Priestergewand. Sein Assistent zupft ihm ein paar Flusen von der Schulter. Fischer lässt die Arme hängen und sackt in sich zusammen. Er blickt einfach nur zu Boden, atmet schwer. Sagt nichts. Seine Augen schließen sich.
Es passiert immer wieder, dass er einfach einschläft
Ab 2003 PFARRER BRAUN: Ein Geistlicher im Kampf gegen das Verbrechen: eine Rolle, in der Fischer es ruhiger angehen lässt.
Keiner hier, vom Nebendarsteller bis zum Produktionsfahrer, hätte gerade diesen Job, wenn Fischer nicht wäre. Er ist der Mann, für den die Zuschauer den Fernseher anschalten, er ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht, auch jetzt, am Filmset. Aber genau im Zentrum des Geschehens ist es sehr, sehr ruhig. Eigenartig einsam.
Dann geht er seinen Text noch mal durch, viel Text, er ist ja der Hauptdarsteller. Das Drehbuch, eine schwere Kladde, sinkt ihm langsam aus den Händen. Schließlich stellt sich ein Techniker direkt vor ihn und hält ihm das Drehbuch vor die Nase, damit Fischer es nicht selbst halten muss. Ein paar Wochen später, im Kurbad in Bad Füssing, wird Fischer sagen: »Man muss so viel Energie aufbringen. Altersbedingt. Arbeitsbildbedingt. Engagementbedingt. Da kommt’s schon vor, dass man das Gefühl hat, man könnte die Kraft für das Ganze irgendwie nicht mehr herholen. Aber dann klappt es trotzdem.«
Vorsorgen für den langen Winter ist das eine. Das andere ist: Fischer empfindet Verantwortung. Für die Filmleute, die Aufträge kriegen, weil er vor der Kamera steht; für das Team, das mit ihm seit 17 Jahren beim Bayerischen Rundfunk den Schlachthof stemmt; für all die Kollegen, denen er mit Empfehlungen und Kontakten und Auftritten hilft. Es gibt ja fast keinen Kabarettisten oder Komiker in Deutschland, der ihm nicht irgendetwas verdanken würde: Josef Hader sagt, ohne Fischer wäre er heute in Deutschland völlig unbekannt, erst die Auftritte im Schlachthof hätten ihm den Weg geebnet. Hape Kerkeling erzählt, dass Fischer in der Jury saß, die ihn zum ersten Mal für einen kleinen Auftritt auszeichnete. Die Redakteure des Bayerischen Rundfunks verfallen in stundenlange Schwärmereien über ihren »Otti«, seine Hilfbereitschaft, seine Nächstenliebe. Die ganzen Sex- und Video- und Sonst-was-Geschichten: sind dort allen völlig egal. Auch die Krankheit. Keiner dieser Menschen würde es je wagen, ihm zu sagen: Ist gut jetzt, mach mal ein bisschen weniger, verausgab dich nicht. Und konzentrier dich mehr beim Sprechen, damit die Leute dich verstehen. Sie lassen ihn einfach machen. Weil sie ihn lieben. Und all den Menschen, die ihn lieben, die ihm dankbar sind, fühlt sich Fischer verpflichtet.
Es kommt ja noch etwas anderes hinzu: Er sagt: »Was ich an meinem Beruf liebe, ist dieses Laut-nachdenken-Dürfen. Die Tatsache, dass man sich an alle wenden darf und die einem das auch irgendwie zugestehen.« Dass es irgendwann vielleicht nicht mehr möglich sein wird, auf der Bühne zu stehen, weiß er. Es wird dann irgendwie auch ohne gehen, sagt er. Nur die Kreativität, auf die will er nicht verzichten. Er hat angefangen, einen Roman zu schreiben, um das Schwabing von früher soll es darin gehen. Mal schauen, wie das so ist, eine Aufgabe ohne Bühne und Kamera.
Wenn man Fischers alte Bühnenprogramme sieht, auf Youtube zum Beispiel: Was für ein wilder, impulsiver Kerl da auf der Bühne stand, was für ein Viech! Wie viele verschiedene Stimmen der draufhatte, wie der Tempo machen konnte, mal ganz ruhig, mal Vollgas. Und wie beweglich der Mann war! Mit den Jahren wurden dann bei den Serien die Kamerafahrten immer aufwendiger, es musste ausgeglichen werden, dass sich Fischer immer weniger bewegte. Also drehte die Kamera bei seinen Sätzen Kreise um ihn, fuhr rauf, fuhr runter, erzeugte die Bewegung, die im Bild fehlte. Fischer schaut raus in den weißen Dampf über den Thermalbecken und sagt: »Ja, die Mimik fällt mir heute schwerer… aber das habe ich lange Zeit selbst gar nicht gemerkt.« Wann es ihm zum ersten Mal aufgefallen ist, weiß er noch genau: »Als mich der Kollege Helmut Schleich parodiert hat. Wie der anfing, so ohne Grimassen, mit ganz langsamen Bewegungen, wurde mir klar, au weh, da stimmt was nicht. Das merken sicher bald alle.«
Wie ging es überhaupt los – wie merkt man, dass man Parkinson hat? »Herausgefunden habe ich alles dadurch, dass die deutsche Parkinson-Vereinigung mir geschrieben hat, ob ich Ulrich Wickert ablösen möchte als Schirmherr.« Reiner Zufall, sie hatten ihn einfach als Prominenten angeschrieben. »Aber da war ein Zettel dabei über Früherkennungskriterien. Den habe ich durchgelesen und mir gedacht: Scheiße, das habe ich ja alles…«
Fischer erinnert sich an die Situation damals, er denkt nach. Seine Augen schließen sich. Plötzlich döst er weg. Stille. Eine Minute. Zwei Minuten. Drei Minuten. Fischer atmet gleichmäßig. Vor dem Fenster dampfen die Thermalbecken des Kurbads. Darüber der blaue Nachmittagshimmel. Frieden. Plötzlich schreckt Fischer hoch und lächelt unsicher. Er schaut kurz im Raum herum, orientiert sich. Dann legt er die Hände auf den Tisch und sagt: »Das war jetzt so eine Situation… passiert mir immer wieder. Dass ich einfach wegschlafe.«
Es wird nicht leichter. »Was ich früher nicht kannte: Ich habe manchmal plötzlich Angst, dass ich die nötigen Kräfte nicht noch einmal mobilisieren kann«, sagt Fischer. »Früher habe ich Grenzen in dem Sinne gar nicht gekannt, Grenzen der Leistungsfähigkeit.«
Und trotzdem. Am Tag nach der Ordensverleihung in Aachen ging es direkt weiter zum Auftritt in Stuttgart. Fischer konnte eigentlich nicht mehr, sein Assistent fing an, sich Sorgen zu machen. Und überredete Fischer schließlich, den gesamten Abend im Stehen zu bestreiten, auch wenn es noch so anstrengend werden sollte. Hätte Fischer wie sonst seine Texte an einem Tisch sitzend vorgetragen, wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass er einschläft. Also zog Fischer den Abend im Stehen durch. Mit letzter Kraft.
Es geht alles nicht mehr richtig gut. Das Schlimme ist: Er macht einfach weiter. Das Gute ist: Er macht einfach weiter.
Fotos: Robert Brembeck (2) , dpa (2)