Die Tage des Papiers sind angeblich gezählt. Zeitungen? Bald nur noch virtuell. Bücher? Soll es nicht mehr lang geben. In der papierfreien Zukunft von E-Book und iPad braucht niemand mehr Lebenszeit zu verschwenden mit dem Sammeln und Entsorgen von Altpapier. Papier ist so last century. Wer es heute noch benutzt, fühlt sich schlecht – zum Beispiel wenn am Ende eines E-Mails steht: Think green. Please consider the environment before printing this e-mail. Nur Umweltschufte drucken ihre E-Mails aus.
Papier, dieser magische Stoff, der wichtiger für unsere Zivilisation war als Schießpulver und Dampfmaschine, ohne den Shakespeare und Luther heute Nobodys wären, wird gerade auf dem Wertstoffhof der Geschichte entsorgt.
Umso interessanter ist, dass ihn Designer, Architekten und Gestalter gerade neu entdecken. Sie entwerfen Lampen, Taschen, Sofas und sogar Gartenstühle aus Papier, ganz so, als würde sie das kollektive Totengräbergerede dazu anspornen. Das Papier ist tot, es lebe das Papier!
Die Affinität der Designer zu Papier hat auch praktische Gründe: Es steht am Anfang vieler Entwürfe. Wer Konstantin Grcic in seinem Münchner Atelier besucht, wundert sich über die vielen, meist nur notdürftig mit Klebeband fixierten Papp- und Papiermodelle von Stühlen, Fahrrädern und Küchenmaschinen, die überall herumstehen. Er nennt das »räumliche Skizzen«. Er sagt aber auch: »Ich bin mir sicher, dass der Modellbau mit Papier meine Formensprache seit Jahren beeinflusst.«
Inzwischen gibt es Mittel und Wege, Papierfasern so zu bearbeiten, dass man damit sogar Häuser bauen kann, wie der japanische Architekt Shigeru Ban mit seinen Kartonkonstruktionen bewiesen hat. Sein Landsmann Ryuji Nakamura härtet Zellulosefasern im Säurebad; mit diesem vulkanisierten Papier, das wetterfest und stabil ist, kreiert er filigrane Gartensessel, die aussehen wie aus Plastik gehäkelt.
Einen anderen Weg geht der Niederländer Jens Praet: Für seinen Tisch »One Day Paper Waste« zerschredderte er Papier, vermischte es mit Kunstharz und goss es in Tischform. Und dann gibt es »Tyvek«, jenes vliesartige Textil, auch synthetisches Papier genannt, das wasserabweisend und reißfest ist. Die Produktdesignerin Inga Sempé verwendet es für lampionartige Leuchten, Saskia Diez für ihre zarten, unzerstörbaren Tragetaschen und Geldbörsen.
Das Gutenberg-Zeitalter neigt sich dem Ende zu. Irgendwann werden die Menschen nicht mehr wissen, wie es ist, ein Buch wie Der Fänger im Roggen zu
zerlesen. Sie werden auf ihren Tablet-Computer starren und die Seiten wegwischen. Gut, wenn sie dabei wenigstens auf Sesseln aus Papier sitzen.
Fotos: Alessandro Paderni, Gerard van Hess