»Sie hat Quincy vernascht, als er noch knackig war«

Die Jazzsängerin China Moses über ihr Idol Dinah Washington, deren unkonventionelles Leben, eine Klassenfahrt nach Deutschland und eine Qualität, die dem Jazz im Lauf der Jahre abhanden gekommen ist.

Foto: Warner Music

Ach ja, diese Künstlereltern! Stets kreativ, besonders bei den Namen ihrer Kinder. China Moses ist die Tochter der Jazzsängerin Dee Dee Bridgewater und des Film- und TV-Regisseurs Gilbert Moses (Roots), aber warum beide ihr kleines Mädchen nach dem Land benannten, das um Peking herum liegt, bleibt rätselhaft. China hat 1997 ihr erstes Album veröffentlicht und war bisher eher in der Clubmusik aktiv, nun erscheint ihre erste Jazz-Platte This One's For Dinah, auf der sie Dinah Washington ihre Referenz erweist.

Ich will jetzt gar nicht viel über diese großartige Sängerin schreiben, die zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten ist. Ich erteile das Wort lieber Quincy Jones, der nicht nur Mitte der Fünfziger eine heiße Affäre mit der »Queen Of The Blues« hatte (dazu später mehr), sondern folgendes über ihren Gesangsstil zu sagen wusste: »[Dinah] could also do something a lot of singers then and now could not do: She could take the melody in her hand, hold it like an egg, crack it open, fry it, let it sizzle, reconstruct it, put the egg back in the box and back in the refrigerator, and you would've still understood every single syllable of every single word she sang.«

China Moses, Ihr neues Album heißt This One's For Dinah und ist der großen Jazz- und Bluessängerin Dinah Washington gewidmet. Was mögen Sie an ihr?
Am bemerkenswertesten finde ich Dinahs Phrasierung, die Art, wie sie Jazzstandards zu Bluessongs macht. Das zweite, was mir an ihr gefällt, ist ihre unnachahmliche Artikulation: Sie spricht jede einzelne Silbe in einem Wort so aus, dass es sexy klingt. Und drittens: Dass sie ein so verrücktes Leben gelebt hat.

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Mein Favorit ist der Song über ihren Freund, den Posaunenspieler: »The Man With The Big Long Sliding Thing«.
Leider haben es nicht alle Lieder, die ich gerne aufgenommen hätte, auf das Album geschafft. Ich hätte gerne »Long John Blues« gesungen, der geht in dieselbe Richtung.

Hm, wegen »Long John Blues« hätten Sie womöglich einen Warnaufkleber auf Ihre CD machen müssen. Der Song, der von einem Besuch beim Zahnarzt handelt, ist ja durchaus explizit. Ich zitiere mal: »He took out his trusted drill / And he told me to open wide / He said he wouldn't hurt me / But he'd feel my hole inside.«
Ja, genau. (Sie lacht schallend.) Davon mussten wir uns fernhalten. Aber wenn wir mit der Platte auf Tour gehen, werden wir auch Songs spielen, die es nicht auf das Album geschafft haben. Vielleicht singe ich dann »Long John Blues«.

Zur Vorbereitung auf dieses Interview habe ich nachgelesen, was Quincy Jones in seiner Autobiographie über Dinah Washington geschrieben hat: Er preist ihren Gesangstil – und beschreibt die stürmische Affäre der beiden.
Sie hat Quincy vernascht, als er noch knackig war. Dinah war wild. Sie hatte einen erstaunlichen sexuellen Appetit und die Typen sind immer wieder zu ihr zurückgekommen. Zusätzlich zu ihren sieben Ehemännern hatte sie auch noch jede Menge Liebhaber.

Ist Dinah Washington auch in dieser Hinsicht ein Vorbild für Sie?
Mit den sieben Ehemännern hinke ich noch ein bisschen hinterher. Aber ich will ja nicht ihr Leben wiederholen. Ich möchte, dass sich die Menschen wieder für sie interessieren und ich hoffe, mit meinem Album Leute zu erreichen, die Jazz bisher uncool fanden. Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele Menschen erkennen, dass Jazzgesang coole, zeitgemäße Musik sein kann.

»Ich mag Rock'n'Roll, aber die besten Texte haben einfach die alten Jazz-Standards, gerade auch was sexuelle Doppeldeutigkeit angeht«

Diese Botschaft ist im Lauf der Jahre verloren gegangen. Heute hält man Jazz eher für elitäre Hochkultur als für Entertainment.
Auch die alten Sänger waren natürlich große Könner. Aber letzten Endes war Jazz früher Unterhaltungsmusik. Im Jazz gibt es einfach die besten Texte, da kann mir keiner etwas erzählen! Ich mag Rock'n'Roll, aber die besten Texte haben einfach die alten Jazz-Standards, gerade auch was sexuelle Doppeldeutigkeit angeht. Und sie sind so bildhaft! Im »Evil Gal Blues« von Dinah Washington heißt es zum Beispiel: »I've got men to the left / Men to the right / Men every day / And men every night.« Ich hatte schon immer eine lebhafte Fantasie, und wenn ich den Song höre, sehe ich förmlich vor mir, wie rechts und links von Dinah die Männer hervorpoppen. Zu vielen Jazzsongs läuft in meinem Kopf ein kleines Video ab, weil die Bilder so mächtig sind.

Wieso sind die Musiker auf Ihrer Platte eigentlich alle Franzosen?
Ich lebe in Frankreich. Ich bin dort aufgewachsen.

Entschuldigung, das wusste ich nicht.
Kein Problem. Meine Mutter ist mit mir und meiner Schwester nach Frankreich gezogen, als wir noch Kinder waren. Ich fühle mich eher als Französin als als Amerikanerin.

Dann haben Sie bestimmt eine Klassenfahrt nach Deutschland gemacht.
Ja, nach Kiel. Hat mir gut gefallen. Hauptsache, nicht in der Schule hocken! Ich habe auch sechs Jahre Deutsch gelernt, aber leider alles wieder vergessen.

Sie haben gerade schon ihre Mutter erwähnt: Dee Dee Bridgewater ist eine sehr renommierte Jazz-Sängerin. Problem oder Ansporn?
Ich hatte lange Angst, ein Jazz-Album zu machen, aus eben dem naheliegenden Grund, dass meine Mutter so bekannt ist.

Hat Sie Ihnen Gesangstipps gegeben?
Sie hat mir einige Atemtechniken gezeigt, das war's. Ich habe jedoch viel dadurch gelernt, dass ich sie so oft auf der Bühne gesehen habe. Ich mochte die Welt meiner Mutter, aber ich wollte meinen eigenen Weg gehen. Deshalb habe ich nicht gleich mit Jazz angefangen, sondern zuerst modernen R&B gesungen. Ich war aber immer auch ein Fan von Sängerinnen wie Etta James und Esther Philipps. Also war es wahrscheinlich unausweichlich, dass ich einmal eine Platte wie diese mache. Aber es musste der richtige Zeitpunkt sein: Um Jazz zu singen, braucht man Selbstvertrauen, und man muss seine Gefühle kennen. Jazz ist viel schwieriger als R&B.

Ich finde es erstaunlich, dass die alten Blues-Platten von Sängerinnen wie Etta James, Esther Philipps und Dinah Washington immer noch so gut klingen, so relevant geblieben sind.
Ich vermute, das liegt an dem Umstand, dass diese Songs aus der Ära vor dem Siegezug des Fernsehens kommen. Jazzstandards sind zeitlos, weil sie zu einer Zeit geschrieben wurden, wo es vor allem auf die Einbildungskraft ankam. Die Menschen waren noch nicht so abgelenkt. Es gab ja noch nicht mal Pornos – vielleicht sind die alten Bluessongs deshalb so schweinisch.

Gute Erklärung. Darauf bin ich noch nie gekommen.
Ich auch nicht. Ist mir gerade eingefallen.