Gilles Peterson, lassen Sie uns zuerst ein bisschen übers Plattensammeln reden.
Gerne. Plattensammeln war meine Eintrittskarte in die Welt des Pop, und es ist auch verantwortlich für meine Reputation als DJ: Ich galt lange als DJ, der Platten hat, die niemand sonst hat. Kürzlich habe ich darüber nachgedacht, warum ich in meinem Leben so wenig Geld verdient habe. Der Grund: Dreißig Jahre lang habe ich jeden Penny in Platten investiert! Heutige DJs investieren nichts in Musik, sie bekommen sie kostenlos oder machen sie selbst. Aber ich gehöre zu der Generation, die Musik von anderen spielt, und in der man bekannt wurde, wenn man Platten hatte, die andere nicht hatten.
Dennoch besteht Ihr Repertoire nicht nur aus alter Musik.
Genau. Ich bin zwar ein cratedigger, aber für mich war es immer wichtig, nicht nur ein Retro-DJ zu sein, der alte Lieder spielt. Ich habe den Aufstieg der elektronischen Musik miterlebt und bin einer der Old School Guys, dem es gelungen ist, seinen Stil zu modernisieren und mit den Techniken der neuen DJs zusammenzubringen. Für mich geht es immer darum, Neues zu entdecken, deshalb treibe ich mich auch an Orten wie Nigeria, Äthiopien, Brasilien oder jetzt Kuba herum.
Fahren Sie denn gelegentlich in die USA, um in einem Lagerhaus am Rande von Kansas City in zehntausenden alten Singles zu wühlen?
Nein, so etwas habe ich nie gemacht. Dafür hatte ich keine Zeit, weil ich schon früh ein Profi-DJ mit einem vollen Terminkalender war. Aber ich kannte die Leute, die in den USA nach Platten gesucht haben, und die sind mit ihren Funden dann zu mir gekommen. Ich erinnere mich an viele Platten, die ich als erster hatte, zum Beispiel »Tabu« von Don Cunningham, das Harlem Youth Percussion Orchestra – viele der Platten, die in den Buch drin sind, das ich gerade herausgebracht habe. Spiritueller Jazz auf Privatpressungen, das ist die Musik, die mir am meisten am Herzen liegt.
Diesen Sound haben Sie als erster in die Clubs gebracht.
Ja, das stimmt. Das ging aber auch nur im Dingwall’s in London, wo ich viele Jahre lang am Sonntag nachmittag aufgelegt habe. Ich habe viel afrokubanischen Jazz, viel Fusion und Latin gespielt. Irgendwann waren wir soweit, sogar modalen Jazz zu spielen, dank der erstaunlichen Tänzer dort, die auch zu einem 6/8-Takt tanzen konnten. Auf einmal konnte ich diese phänomenalen Platten spielen, die ich für die schönste Musik der Welt hielt, wenn ich sie mir zu Hause mit Kopfhörern anhörte. Ich hatte wirklich Glück, solche Platten in einem Club spielen und die Leute damit zum Tanzen bringen zu können! Das war meine glücklichste Zeit als DJ.
»Alles, was ich vom Leben will, ist ein schönes Zimmer mit einer guten Anlage, in dem ich mir alte Platten anhören kann«
Ich habe kürzlich mit Peter Kruder gesprochen. Der hat 35000 Platten.
Bei mir dürften es genauso viele sein. Ich habe ein Haus voller Platten.
Ich hoffe, die Sammlung ist gut geordnet.
Nein, das ist eine verdammte Katastrophe. Letzten Sonntag hätte ich fast zu Heulen angefangen. Ich habe eine bestimmte Platte ums Verrecken nicht gefunden, nämlich das Album Siembra von Ruben Blades und Willie Colon. Den ganzen Tag habe ich vergeblich danach gesucht. Ich bin fast wahnsinnig geworden.
Kruder hält das Musikhören für eine vom Aussterben bedrohte Kulturtechnik: Kaum jemand würde sich heute noch vor seine Anlage setzen und auf die Musik konzentrieren. Wie sehen Sie das?
Alles, was ich vom Leben will, ist ein schönes Zimmer mit einer guten Anlage, in dem ich mir alte Platten anhören kann. Ob das generell weniger wird? Ich glaube, die Leute hören sich weiterhin gerne Musik an. Ich kriege unglaublich viel Feedback für meine Radiosendungen, mehr als je zuvor. Aber dass sich etwas ändert, ist klar. Diese Woche war Kirk Degiorgio bei mir im Studio, ein Technomusiker, der gerade ziemlich viel Geld in die Hand genommen hat, um in L.A. eine Platte aufzunehmen, die ein bisschen wie Steely Dan klingt. Kirk hat gesagt, dass es für Leute wie ihn in ein paar Jahren nicht mehr bezahlbar sein werde, ein großes Profi-Studio zu mieten.
Ihre Platte Havana Cultura – New Cuba Sound ist im legendären Egrem-Studio in Havanna entstanden, das spätestens seit dem Film Buena Vista Social Club weltberühmt ist. Wie hat es Ihnen dort gefallen?
Es ist ein magischer Ort. Ich war schon in vielen Studios, aber als ich ins Egrem-Studio kam, fühlte ich den Spirit.
Wie hat es Sie denn nach Kuba verschlagen?
Ich muss dazu sagen, dass ich kein Experte für kubanische Musik bin. Ich habe ein paar Platten aus Kuba, und der afrokubanische Einfluss im Jazz war mir immer bewusst; am Anfang meiner Sets habe ich zum Beispiel oft »Chekere Que Son« von Irakere gespielt. Aber jetzt nach Kuba zu fahren und dort eine neuen Generation von Künstlern entdecken zu können, war eine glückliche Fügung für mich. Für das Projekt war es allerdings essenziell, von »Havana Cultura« Geld zu bekommen. So eine Platte kann man heute nicht mehr allein mit den Verkaufserlösen verdienen. Dafür braucht man Sponsoren.
Es handelt sich um eine Doppel-CD: Die eine CD haben sie zusammengestellt, die andere vor Ort produziert.
Genau, und letzteres war die interessantere Erfahrung. Ich hatte fünf Tage, um in einem Land, das ich nicht kannte, ein Album zu machen, mit Musikern, die ich auch nicht kannte. Ohne den kubanischen Musiker Roberto Fonseca hätte es nicht funktioniert, er hat mir sehr geholfen. Ich hatte Ideen, er hat sie umgesetzt, zusammen mit den jungen Musikern, die wir gefunden haben.
Havana Cultura – New Cuba Sound ist ein tolles Album geworden: In der kubanischen Tradition verwurzelt, aber unglaublich frisch und lebendig.
Danke. Es sollte Rap dabei sein, Rumba, Jazz. Mein Lieblingstrack ist »La Revolucion«: Das ist ein ambitionierter Track, weil wir Rumba, Son, Jazz und Rap zusammengebracht haben. Der zweite Track, den ich hervorheben möchte, ist »Think Twice«. Als ich zum ersten Mal auf Kuba war, fiel mir auf, dass viele Musiker dort große Fans von HipHop-Produzenten wie Timbaland oder den Neptunes sind. Deshalb haben wir einen Tribut an den verstorbenen US-Kultproduzenten J. Dilla gemacht, der als Ballade anfängt, als Rap weitergeht und als Descarga endet.
Schade, dass die jungen Musiker dort es so schwierig haben, sich Gehör zu verschaffen.
Ich hoffe, das ändert sich mit Obama. Die jungen kubanischen Musikern haben einen großen Erfolgshunger, sie brennen darauf, ihre Chance haben. In Europa sind die Leute oft ein wenig blasiert und bequem. In Kuba sind die Leute wahnsinnig motiviert.
Ging es Ihnen auch darum, die Vorstellung zu korrigieren, dass in Kuba nur Greise Musik machen?
Ich hatte diesbezüglich keine Agenda. Ich hatte das Glück, auf »Havana Cultura« zu treffen, die mich mit sehr interessanten Leuten zusammengebracht haben. Jetzt, wo das Album fertig ist, merke ich aber, dass es unter anderem auch den Effekt hat, mit Vorurteilen über Kuba aufzuräumen.
In Afrika scheint es mir ähnlich zu sein. Es gibt die gestandenen Stars, die alle etwas älter sind, und viele junge Talente, die mit den Füßen scharren.
Wenn man nach Afrika fährt, merkt man, dass es schwierig ist, generelle Aussagen zu machen, weil die Länder sehr verschieden sind und alle ihren eigenen Sound und ihre eigenen Stars haben. Sicher ist aber, dass die Weltmusik heute ein größeres Publikum hat, als je zuvor, auch dank Botschaftern wie Damon Albarn. Von überall her kommt großartige Musik, und mehr Menschen interessieren sich dafür. Ich habe mir letzte Woche für ziemlich viel Geld eine Platte von Mor Thiam gekauft, das ist der Vater des HipHop-Stars Akon.
Ach was! Ich wusste gar nicht, dass sein Vater auch Musiker ist.
Der Vater hat großartige Musik gemacht – spirituellen afrikanischen Jazz mit Gaststars wie Lester Bowie. Unglaublich.