Vergangene Woche bekam Howard Shore den neu geschaffenen Filmmusik-Preis des Bayerischen Rundfunks. Aus diesem Anlass war der mehrfache Oscarpreisträger in München, und ich hatte Gelegenheit, ihn kurz zu sprechen. In den letzten Jahren wurde Shore, so ist zumindest mein Eindruck, in erster Linie nach seiner monumentalen Filmmusik zum Herrn der Ringe befragt. Ich habe mich eher auf die Frühphase seiner Karriere konzentriert, die nicht weniger interessant und wirkungsmächtig ist.
Herr Shore, stimmt es, dass Sie mal im Vorprogramm von Jimi Hendrix aufgetreten sind? Ja, das stimmt. Ich habe damals Saxofon bei der kanadischen Band Lighthouse gespielt. Wir waren mit Janis Joplin, Jefferson Airplane und den Grateful Dead und Tour. Und wir waren auch bei vielen Festivals dabei, zum Beispiel 1970 auf der Isle Of Wight, wo wir im Vorprogramm von Jimi Hendrix gespielt haben.
Unglaublich, dass Sie den Glamour des Rockstar-Daseins aus freien Stücken hinter sich gelassen haben!
Ich habe acht Alben mit der Band aufgenommen und gefühlte tausend Konzerte gespielt. Und ich war noch relativ jung, erst Anfang zwanzig. Ich wollte nicht ewig so weitermachen, sondern mehr komponieren – ich hatte schließlich eigene Stücke geschrieben, seit ich zehn war. Nach meiner Zeit bei Lighthouse habe ich zuerst in Toronto die Musik für verschiedene Shows komponiert. Ab 1975 war ich dann im US-Fernsehen tätig, bei Saturday Night Live.
Sie gehörten zum Kernteam, dass diese legendäre Show erfunden und auf die Beine gestellt hat.
Ich kannte Lorne Michaels, den Produzenten, schon seit unserer Kindheit. Bereits mit vierzehn haben wir beide und einige andere Freunde im Ferienlager improvisierte Sketche aufgeführt. Jahre später haben wir uns dann alle in New York wiedergetroffen und Saturday Night Live aufgezogen.
Was für eine Funktion hatte die Musik bei Saturday Night Live?
Die Hausband hat hauptsächlich die Musik gespielt, die mir gefallen hat: Memphis-Soul, wie er bei Stax/Volt erschien. Bläserlastig mit einer starken Rhythmusgruppe. Das war damals etwas Neues, bis dahin hatte im Fernsehen der Big-Band-Sound dominiert. Ich habe die Musik auf der Idee aufgebaut, dass das Saxofon stets improvisiert. Die Musik war jede Woche ein bisschen anders und blieb dadurch lebendig. Sie hat sich über die Jahre hinweg kontinuierlich entfaltet und klingt deshalb immer noch frisch und neu.
Wie haben Sie die Musiker für die Hausband gefunden?
Als ich nach New York kam, kannte ich niemanden. Aber ich war begeisterter Plattensammler und hatte viele Jazz-LPs. Ich habe also auf meinen Platten nach Musikern gesucht, die mir gefielen. Über die Gewerkschaft habe ich mir die Telefonnummern besorgt und einfach bei den Leuten angerufen. Zum Beispiel bei Howard Johnson, der schon mit Gil Evans gearbeitet hatte.
Haben Sie auch Gastmusiker in die Show eingeladen?
Ich bin stolz darauf, dass ich einige erstklassige Jazz-Leute in die Show gebracht habe, zum Beispiel Ornette Coleman, Keith Jarrett und Sun Ra.
Außerdem standen Sie Pate für die nachhaltigste musikalische Idee, die aus der Show entstand: die Blues Brothers. Es heißt, Sie hätten sogar den Namen erfunden.
Die Blues Brothers entstanden als Warm-Up-Act für die Show. Bevor die Sendung losging, haben wir unser Publikum eine halbe Stunde lang angeheizt. Ich habe dabei immer viel Blues gespielt. Danny [Aykroyd] hat sich für den Blues interessiert und ich habe ihn gefragt, ob er mitspielen möchte. Kaum war er dabei, wollte auch John [Belushi] mitmachen. Ich habe die beiden als »those brothers in blues« vorgestellt, möglicherweise habe ich so den Namen erfunden.
»Film ist flüssiges Medium, die Spule dreht sich, alles drängt voran, und man möchte doch, dass die Musik diese Bewegung aufnimmt. Das geht am besten, wenn die Filmmusik live eingespielt wird«
1979 haben Sie dann die Musik zu einem Film von David Cronenberg geschrieben. Wie kam es dazu?
Als Komponist bin ich ein Reisender. Ich wollte nicht stehen bleiben, sondern Neues ausprobieren. Ich wollte unbedingt einmal mit einem Orchester arbeiten und dachte, dass Filmmusik mir dazu Gelegenheit geben würde. So bin ich an David herangetreten, den ich auch schon aus meiner Jugendzeit kannte – er kommt aus derselben Nachbarschaft wie ich. Auf Underground-Filmfestivals hatte ich seine frühen Filme gesehen, zum Beispiel The Brood. Er hat mir eine Chance gegeben. Inzwischen haben wir zwölf Filme zusammen gemacht.
Es ist schon einige Jahre her, dass ich die frühen Cronenberg-Filme gesehen habe, aber ich kann mich noch gut an eine Szene aus Videodrome erinnern, in der sich der Protagonist eine Videokassette in ein blutendes Loch in seinem Bauch schiebt. Helfen Sie mir auf die Sprünge: Was für eine Musik ist da zu hören?
Die Filmmusik von Videodrome ist sehr experimentell. Ich habe den Score komponiert und dann Note für Note in einen Musikcomputer eingegeben, ein Synclavier. Das war in einer Zeit, in der Computer erstmals anfingen, mit der Musik zu interagieren. Es war ein experimenteller Score, der auf elektronischen Klängen basiert. Ich habe mich von den Pionieren der elektronischen Musik inspirieren lassen, außerdem vom großen japanischen Komponisten Toru Takemitsu.
Wie haben Sie es vom Sci-Fi-Underground in den Hollywood-Mainstream geschafft?
1986 habe ich drei Filme gemacht: David Cronenbergs The Fly, Martin Scorseses After Hours und Penny Marshalls Big. Die Filme kamen im Abstand von einigen Monaten heraus und waren alle erfolgreich. Ich glaube, dieser Umstand hat dazu geführt, dass die Leute auf mich aufmerksam geworden sind. Danach habe ich viele Angebote bekommen.
Was macht eine gute Filmmusik aus?
Gute Filmmusik muss sich auf besondere Weise mit der Handlung des Films auseinandersetzen und die Zuschauer in die Welt des Films hineinziehen.
Einerseits hat die Filmmusik eine dienende Funktion, andererseits dürften sich viele Komponisten wünschen, dass ihre Musik auch als eigenständiges Werk geschätzt wird. Wie sehen Sie diesen Widerspruch?
Ich konzentriere mich immer auf die Geschichte. Ich will vor allem, dass ein guter Film entsteht. Wenn alles hinhaut, bekommt die Musik manchmal vielleicht diese andere Qualität, von der Sie sprechen. Aber das ist erstmal zweitrangig für mich.
Ihre Musik zum Herrn der Ringe wird inzwischen in Konzertsälen aufgeführt, ohne dass der Film dabei zu sehen ist.
Gut, aber die Verbindung zum Film ist natürlich trotzdem da. Meine Musik ist ein Abbild von Tolkiens Welt, und die Bilder von Peter Jacksons Film sind in gewisser Weise unauslöschlich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Menschen diese Bilder vor sich sehen, wenn sie im Konzertsaal sitzen und die Musik hören.
Wenn Sie zum ersten Mal einen neuen Film sehen, den sie vertonen wollen – hören Sie dann sofort bestimmte Klänge in Ihrem Kopf?
Ich fühle diese Klänge eher, als dass ich sie höre. Musik ist eine emotionale Sprache, und als Komponist beschäftigt man sich mit Gefühlen. Wenn man einen Film sieht oder ein Skript liest, spürt man etwas. Je stärker die emotionale Reaktion, desto besser. Wenn man nichts spürt, sollte man im übrigen lieber die Finger von dem Projekt lassen. Dann geht es darum, die Essenz dieser emotionalen Reaktion auf Notenpapier einzufangen. Wenn man die hat, kann man anfangen, sie in bestimmte Klänge umzusetzen.
Beim Blick auf Ihre Arbeit fällt auf, dass sie mit einer großen Palette an unterschiedlichen Klängen arbeiten.
Da gibt es eigentlich keine Grenzen. Ich versuche, immer weiter voranzukommen, das Spektrum meiner Möglichkeiten stets ein bisschen zu erweitern. Gerade bin ich sehr interessiert an Live-Aufnahmen. Film ist flüssiges Medium, die Spule dreht sich, alles drängt voran, und man möchte doch, dass die Musik diese Bewegung aufnimmt. Das geht am besten, wenn die Filmmusik live eingespielt wird.
Für welchen Film aus der Filmgeschichte hätten Sie gerne die Musik geschrieben?
Hm, schwierige Frage. Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meiner eigenen Arbeit. Aber ich bin auch ein großer Fan von Toru Takemitsu, den ich schon erwähnt habe, von Nino Rota, Georges Delerue und Bernard Herman. Das sind alles großartige Künstler, die bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Ich bin stolz, Teil dieser Tradition zu sein.