»Ich bin beim Spielen oft in eine Art Trance geraten«

Der legendäre Schlagzeuger Jaki Liebezeit im Interview über die Eigenheiten seines Stils, außereuropäische Rhythmen, seinen Lieblingsdrummer und die ungewöhnliche Arbeitsweise von Can.

Selten gab es im Pop ein so perfekt ausbalanciertes musikalisches Kollektiv wie Can, bestehend aus (v.l.n.r.) Jaki Liebezeit, Holger Czukay, Irmin Schmidt und Michael Karoli.

Foto: Spoon Records

Vor ein paar Wochen ist das Can-Album Tago Mago (Spoon Records/Mute) wiederveröffentlicht worden. Die »40th Anniversay Edition« enthält neben dem Original-Album noch eine zweite CD mit Live-Tracks von 1972, u.a. einer halbstündigen Version von »Spoon«. Einmal mehr erinnert dieses Paket daran, was für eine großartige – und einzigartige – Band Can waren. Jeder der vier Musiker ist vielfach gerühmt worden, allerdings dürfte Drummer Jaki Liebezeit wohl derjenige sein, der die meisten individuellen Fans hat; sein unverwechselbarer Trommelstil wird schließlich bis heute von zahlreichen jungen Musikern studiert und kopiert, erst kürzlich hat mir Patrick Carney von den Black Keys erzählt, was für ein wichtiger Track »Vitamin C« für ihn ist. Anlässlich der Wiederveröffentlichung hatte ich Gelegenheit mit Liebezeit zu sprechen.  

Herr Liebezeit, wer war der erste Schlagzeuger, der Sie beeindruckt hat?
Das waren die ersten Trommler, die ich überhaupt gesehen habe, in Marschkapellen oder Kirmeskapellen. Als Jugendlicher kam ich dann zum Jazz, da haben mich Leute wie Art Blakey oder Max Roach beeindruckt und beeinflusst. Deren Stil habe ich zu kopieren versucht.

Sie sind 1939 geboren worden und haben ab Ende der Fünfziger Jazz gespielt.
Zu der Zeit war das die modernste Musik. Ich habe in vielen Jazzbands gespielt, zuletzt im Manfred Schoof Quintett. Da sind wir durch die deutschen Jazzkeller gezogen und hatten überall kleine Auftritte für furchtbar wenig Geld.

Meistgelesen diese Woche:

Die Musik, die Sie mit Manfred Schoof gemacht haben, ging dann schon in Richtung Free Jazz, oder?
Ja, ich habe die Jazzentwicklung bis zum Free Jazz durchexerziert. Das war dann aber auch das Ende für mich, weil ich nicht gesehen habe, wie sich der Jazz von da noch weiterentwickeln kann.

Wie frei war der Free Jazz?
Ich empfand das nicht als völlig freie Musik. Es gab große Einschränkungen, zum Beispiel war die Wiederholung verboten. Ein Rhythmus, der auf einem Metrum basiert, durfte nicht mehr erkennbar sein. Auch ein Tempo gab es nicht mehr: Schnell hieß »dicht spielen« und langsam»weniger dicht«. Das waren alles Punkte, die ich nicht nachvollziehen konnte. Auch dass man immer atonal spielte und alle herkömmliche Musik als altmodisch abtat, hat mich nicht überzeugt.

Sind Sie bei Can dem Ideal einer freien Musik näher gekommen?
Ich glaube schon. Wir haben uns alle Freiheiten genommen, die man sich nehmen kann. Manchmal gab es bei uns chaotische Momente, wo so etwas wie Free Jazz entstanden ist, auf der anderen Seite gab es extreme Ordnung. Unsere Musik hatte eine viel breitere Range als Free Jazz und damit auch mehr Freiheit.

Mit dem Beginn von Can haben Sie einen sehr prägnanten Trommelstil entwickelt, der auf der Wiederholung rhythmischer Muster basiert. Wie sind Sie dazu gekommen?
Dabei hat mir der Free Jazz geholfen: Danach habe ich nämlich all das getan, was im Free Jazz verboten war. Ich hatte schon früh Ethno-Musik gehört, dabei fiel mir auf, welche Kraft in der Wiederholung steckt.

Was waren das für Platten?
Um 1960 habe ich zum Beispiel eine Platte namens Music Of India von Ali Akbar Khan gekauft. Die hat mich sehr beeindruckt. Generell habe ich viel indische, arabische und türkische Musik gehört. Als Rhythmiker habe ich viel davon gelernt.

Und bei Can haben Sie dann ganz bewusst mit der Wiederholung experimentiert?
Ja, ich habe wie ein Sequenzer gedacht und immer wieder bestimmte Muster wiederholt. Das ist eine andere rhythmische Denkart, als die, die davor üblich war. Die europäische Musik hat ja eine ganz andere Rhythtmik als die außereuropäische. Die europäische Rhythmik kann man als divisive Rhythmik bezeichnen: Man denkt in Takten, ein Takt wird in beliebig viele Teile geteilt, Viertel, Achtel, Sechzehntel usw. Die außereuropäische Rhythmik kann man als additive Rhythmik bezeichnen: Bestimmte Muster sind verbindlich, die müssen sich wiederholen. Als es mit Can losging bin ich viel kritisiert worden: Du wiederholst dich ja, haben die Leute gesagt, fällt dir denn gar nichts ein?! Die haben nicht begriffen, dass das eine andere Denkweise ist.

Wie viel Variation liegt denn in der Wiederholung?
Jedesmal, wenn ich etwas wiederhole, ist garantiert eine kleine Veränderung da, ob beabsichtigt oder nicht. Nicht mal eine Maschine kann etwas völlig exakt wiederholen – schon Temperaturunterschiede im Raum können subtile Klangveränderungen zur Folge haben. Deswegen ist auch nichts gegen die Wiederholung zu sagen. Das ist ein ganz wichtiges Element in der Musik, wenn nicht das wichtigste.

Die Wiederholung von Rhythmusmustern ist Teil vieler Rituale. Haben Sie selbst erlebt, dass Musik einen solchen Sog entwickelt?
Ja, natürlich. Ich bin beim Spielen oft in eine Art Trance geraten. Andere Leute erreichen das, indem sie 120 Rosenkränze beten, das scheint einen ähnlichen Effekt zu haben.

Andererseits war bei den Kollektivimprovisationen von Can höchste Konzentration erforderlich.
Ja, das musste sein. Bei uns gab es schließlich keinen Komponisten, der den anderen vorschrieb, was gespielt wird. Bei uns ist nie eine Note geschrieben worden! Die Musik wurde quasi auf dem Tonband aufgeschrieben.

Die Arbeitsweise von Can war sehr radikal: Sie haben sich nahezu täglich im gemeinsamen Studio getroffen und dort viele Stunden lang improvisiert.
Wir haben einfach gerne zusammengespielt. Daraus haben sich alle unsere Stücke entwickelt, ohne dass einer am Anfang eine größere Idee vorgegeben hätte. Jeder hatte natürlich Ideen für seine Funktion in der Band: Der Gitarrist hat drei Akkorde, die er gerne spielen wollte, ich hatte einen Rhythmus. Wir haben dann immer direkt ausprobiert, ob das geht, und dabei schnell gemerkt, ob sich etwas daraus entwickelt.

Kommt es nicht leicht zu Streit, wenn keiner die Richtung vorgibt?
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir je musikalischen Streit hatten. Jeder hatte sein Instrument, seinen Bereich, wir konnte uns eigentlich gar nicht in die Quere kommen. Das, was man tat, musste natürlich kompatibel sein mit den anderen, aber da wir zusammen so viel Spaß am Spielen hatten, hat das oft geklappt. Der Geist war frisch, denke ich. Wir haben Can 1968 gegründet, da hat man gedacht, jetzt kommen bessere Zeiten.

Hatte die Musik von Can eine politische Komponente?
Was sich auf uns ausgewirkt hat, war die Idee der Kommune. Wir haben zwar nie alle in einer Wohnung gewohnt, aber wir hatten unser gemeinsames Studio und waren dort alle gleichberechtigt. Wir haben uns als Team verstanden, jeder trug Verantwortung für das Ganze, keiner konnte auf den anderen verzichten. Auch finanziell wurde alles exakt in gleiche Teile geteilt.

Nach dem Ende von Can haben Sie als Studiomusiker gearbeitet.
Meistens mit Leuten, die ich irgendwie kannte, wie Michael Rother oder Conny Plank. Aber das ist längst vorbei, heute braucht man keine Studiomusiker mehr. Außer für völlig unkommerzielle Projekte.

In den Achtzigern wurde die Technomusik populär, die ebenfalls auf der Wiederholung von Rhythmusmustern beruht. Haben Sie sich bestätigt gefühlt?
Ich hatte schon lange geahnt, dass so etwas kommen wird. Das war eine logische Entwicklung. Als Trommler hat man ein Gefühl dafür.

Wer ist Ihr Lieblingsschlagzeuger?
Der heißt Roland.

Roland 808?
Genau.