»Die Straßen waren voller Panzer, die Kugeln flogen uns um die Ohren«

Der somalische Rapper K'naan gilt als Hoffnungsträger des kritischen HipHop. Im Interview spricht er über seine abenteuerliche Lebensgeschichte, die wahren Ursachen des Piratenproblems vor der somalischen Küste und die überraschende E-Mail, die er von Leonard Cohen bekam.

Foto: Peter Graham/Universal Music

Seinen Durchbruch hatte der somalisch-kanadische Rapper K'naan im Jahr 1999, als er auf einer UN-Konferenz ein Gedicht über die Situation in seinem Heimatland vortrug. Youssou N'Dour war unter den Zuhörern und lud K'naan zu einem Gastauftritt auf seinem nächsten Album ein. Als 2005 K'naans Debüt The Dusty Foot Philosopher(BMG) erschien, galt er noch als Weltmusik-Künstler, mit seinem exzellenten neuen Album Troubadour (Universal) hat er es nun in den HipHop-Mainstream geschafft, wo viele in ihm einen Rapper sehen, der die sozialkritische Ader des HipHop neu beleben könnte. Mein Interview mit K'naan dauerte nur zwanzig Minuten, doch in dieser kurzen Zeit sprach er mit einer Eloquenz und gedanklichen Schärfe, die ich bei Popstars nur selten erlebt habe.

Sie wurden in Somalia geboren und haben bis zum Alter von 13 in Mogadischu gelebt, der Hauptstadt des Landes. Was sind Ihre stärksten Kindheitserinnerungen?
Freitags zum Meer zu fahren. Von meinem Großvater Gedichte zu lernen. Und später: der Krieg.

Auf Ihrem Album taucht der somalische Bürgerkrieg, der 1991 begann, in Zeilen auf wie »They’ve been trying to shoot me since I was two feet.« Auf was für Ereignisse bezieht sich das?
Auf viele, viele Ereignisse. Wenn ein Krieg ausbricht und du im Zentrum der Kampfhandlungen lebst, gibt es nicht wenige solche Momente – sie passieren ständig. Ich kann deshalb nicht einmal genau sagen, woran ich bei dieser Zeile gedacht habe, aber es gab viele Vorfälle, bei denen auf uns geschossen wurde. Die Straßen waren voller Panzer, die Kugeln flogen uns um die Ohren, Freunde von mir wurden getötet. All das passierte jeden Tag.

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Haben Sie damals schon HipHop gehört?
Ja, ich hatte das Album Paid In Full von Eric B. und Rakim. Mein Vater hat es mir verschafft, er lebte damals in New York und hat mir eine Kassette geschickt.

Für einen kleinen afrikanischen Jungen mitten im Bürgerkrieg muss sich diese Musik wie die Botschaft aus einer anderen Galaxie angehört haben.
Rap war neu und zugleich vertraut. In vielen Gegenden Afrikas gibt es Formen rhythmischer Dichtung. Besonders in Somalia – in ganz Afrika ist das Land für seine Dichtkunst bekannt. Ich habe im HipHop Gemeinsamkeiten zu Dichtern erkannt, die ich als kleiner Junge kennengelernt hatte, aber zugleich war es eine neue Sprache – eine sehr junge Sprache, im Gegensatz zur klassischen somalischen Dichtkunst, die einer langen Tradition entspringt.

»Die Somalis sind bekannt als Volk von Dichtern. In einem normalen somalischen Gespräch, zum Beispiel abends am Esstisch, können die Dialoge jederzeit ein Form von poetischer Überhöhung erfahren«

Es heißt, Sie seien nur sehr knapp aus dem Land herausgekommen.
Als die somalische Regierung 1991 zusammenbrach, wurde die amerikanische Botschaft geschlossen. An einem der letzten Tage, an dem sie noch offen war, hat meine Mutter ein Visum für uns bekommen. Wahrscheinlich eines der letzten Visa, die sie überhaupt ausgestellt haben.

Haben Sie heute noch viele Verwandte in Somalia?
Ja, viele.

Was hören Sie von ihnen?
Mein Vater lebt inzwischen wieder dort, auch mein Bruder und meine Schwester haben dort gelebt. Man sieht es ja in den Nachrichten – im Moment ist Somalia der tragischste Ort der Welt. Die Situation wird immer schlimmer. Erst vor ein paar Tagen habe ich mit meinem Vater gesprochen. Die Menschen dort haben unglaubliche Schwierigkeiten. Jeder versucht zu überleben. Aber viele sterben.

In den Medien wird viel über die somalischen Piraten berichtet. Was sagen Sie zu dem Bild, das die internationale Presse von diesem Problem zeichnet?
Stellen Sie sich ein Foto vor, auf dem nur der Hinterkopf einer Person zu sehen ist. So ähnlich ist es mit den Piraten: Nur eine Seite des Problems ist bekannt. Aber die wird als die ganze Wahrheit hingestellt.

Welche Seite des Problems wird denn verschwiegen?
Die Seeräuberei in Somalia kam nicht aus dem Nichts. Sie ist nicht einmal ein Resultat der Instabilität und Armut des Landes. Bevor die Somalis zu Piraten wurden, waren Europäer und Asiaten die wahren Piraten: durch illegalen Fischfang und durch die illegale Verklappung von radioaktivem Giftmüll nahe der somalischen Küste. Als Reaktion darauf haben die Städte an der Küste beschlossen, zur See zu fahren, um solche Aktionen zu verhindern. Daraus wurde dann irgendwann Seeräuberei und Banditentum.

Wann ist das geschehen?
Die europäische und asiatische Form der Piraterie begann 1991, nachdem die Zentralregierung gestürzt worden war. Die Somalis haben protestiert, aber weil es keine Regierung mehr gab und weil es auch an Land so viele Probleme gab, hat niemand auf das geachtet, was in den Gewässern vor sich ging. 2004 hat dann der Tsunami etliche Container mit Atommüll an die somalische Küste geschwemmt. 400 Menschen sind an radioaktiver Vergiftung gestorben, die aus den Containern entwich.

Wurde über diese Vorfälle berichtet?
In den somalischen Medien ist viel darüber berichtet worden. Auch die Umweltbehörde der UNO hat die Vorfälle registriert und versucht, sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Nachricht ging irgendwann raus, verschwand aber umgehend wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung und war schnell vergessen.

Wie beurteilt die somalische Gesellschaft die Taten der Piraten?
Da gibt es zwei unterschiedliche Sichtweisen. Zum einen schämt man sich ein bisschen, denn die Somalis sind ein hart arbeitendes Volk, das auch in schwierigen Zeiten seine Würde bewahren möchte. Sie sehen die Piraterie als öffentliches Schandmal und als Zeichen für Somalias Zusammenbruch. Sie sind gewiss nicht stolz darauf. Zum anderen erkennen sie aber, dass die Piraterie Europäer und Asiaten davon abhält, weiterhin Dinge zu tun, die für das Meer und für zukünftige Generationen wesentlich schädlicher wären. Deshalb sind die Piraten für die Somalis das kleinere Übel.

Auf Ihrem Song »America« rappen Sie auf Somalisch, oder?
Ja, das stimmt.

Das hört sich toll an! Die Sprache hat einen tollen Rhythmus.
Die Somalis sind bekannt als Volk von Dichtern. In einem normalen somalischen Gespräch, zum Beispiel abends am Esstisch, können die Dialoge jederzeit ein Form von poetischer Überhöhung erfahren. Diese alltägliche Eloquenz ist ein kaum bekannter Fakt über Somalia.

Ihr Album beeindruckt auch durch namhafte Gastauftritte. Ich habe das Gefühl, dass es Ihre Eintrittskarte in die HipHop-Elite ist. Ja, das sehe ich genauso.

Gleichwohl steht die Platte inhaltlich im Gegensatz zum Großteil des aktuellen HipHop. Wie hat HipHop das soziale Bewusstsein verloren?
Ich denke, dass Gesellschaften bestimmte Zyklen durchlaufen; schon die alten Griechen haben vom Zeitalter des Genusses gesprochen und von Zeitalter der Philosophie. Viele Gesellschaften, vor allem die amerikanische, haben kürzlich ein Zeitalter des Genusses erlebt. Alles drehte sich um das Ego und darum, mehr Geld zu machen. Aber die Zeiten ändern sich. Die Menschen sorgen sich um die Umwelt, den Klimawandel, den Krieg im Irak, die Wirtschaftskrise. Und die Rapper, die früher soziale Probleme angesprochen haben, reden immer noch davon, wie viel Geld sie haben – absurd. Ich denke, dass mein Album auch darum in den USA erfolgreich ist. Die Leute sagen: Jetzt reicht’s, hier ist die Alternative.

Wird die Wirtschaftskrise dazu führen, dass die Popmusik politischer wird?
Bestimmte Dinge müssen zusammenkommen, damit sich Veränderungen ergeben. Wir können es deutlich an der Wahl von Barack Obama erkennen. Das ist ein riesiger Schritt. Ganz egal, was er als Präsident tut oder nicht tut – schon die Tatsache, dass er gewählt wurde, ist ein politischer Wandel. Auch die Wirtschaft hat sich verändert, und ich denke, die Gesellschaft wird darauf reagieren. Deshalb werden wir bald mehr Popmusik aus dieser Richtung hören. Viele Künstler, die wirklich populär in den USA sind, kommen zu mir und sagen, deine Musik hat uns inspiriert.

Ich war überrascht, in Ihrer Dankesliste den Namen Leonard Cohens zu entdecken. Wie kam es dazu?
Leonard Cohen und ich sind sehr gute Freunde. Vor einiger Zeit hat er mir aus heiterem Himmel eine E-Mail geschickt. Er hatte ein Gedicht von mir gelesen, einen Song gehört und sich dann meine Mail-Adresse von einem gemeinsamen Bekannten besorgt. In seiner Mail hat er mich einen »master poet« genannt.

Wow! Das muss ja ein unglaublicher Moment für Sie gewesen sein!
Ja, das war ein großer Moment in meinem Leben, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Leonard Cohen einer der größten Dichter ist. Dass er mich so genannt hat, hat mir viel bedeutet.