Konsumterror und schlechter Sex

Ist Lily Allen der progessivste Popstar unserer Zeit? Ihre neue Platte klingt jedenfalls so.

Foto: Emi

Die Musik auf Lily Allens neuer CD It's Not Me, It's You gefällt mir gut – aber richtig begeistert bin ich von den Texten. Ich bin stets auf der Suche nach Künstlern, die sich in ihren Texten auf intelligente oder kritische Weise mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, die Szenen plastisch ausmalen oder womöglich gar Geschichten erzählen können. Diese Kunst ist nicht gerade weit verbreitet, manchen gilt sie als altmodisch, weil Popmusik ihre Avanciertheit angeblich vor allem durch ästhetische Brüche und schroffe musikalische Konfrontation unter Beweis stellen würde. Ich finde im Gegenteil, dass es gerade heute besonders modern ist, durch verständliche Texte und schmissige Refrains einen pointierten gesellschaftlichen Kommentar zu vermitteln.

Und das gelingt Lily Allen so gut wie keinem anderen Popstar unserer Zeit. Das schon halb vergessene Versprechen von der angeborenen Progressivität der Popmusik löst sie auf It's Not Me, It's You (EMI, erscheint am 6. Februar) so mühelos ein, dass man fast ein bisschen ins Staunen gerät. Die Platte ist selbstbewusst, hip und feministisch. Sie vermittelt das Gefühl, dass es cool ist nachzudenken, empfindsam zu sein, sich kritisch mit der Welt auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist sie aber keine nebulöse Anklage gegen »die da oben«, sondern ein Plädoyer dafür, den gesellschaflichen Fortschritt im eigenen Leben zu suchen.

Zum Beispiel die Single »The Fear«, letzte Woche erschienen. Das Stück handelt vom Konsumwahn, mit wenigen Zeilen wird das leere Leben eines It-Girls zwischen Essstörung, schnellen Autos und Kreditkartenshopping skizziert. »I don't know what's right and what's real anymore«, singt Lily Allen jedoch im Refrain. »And I don't know how I'm meant to feel anymore.« So geht es, das macht das Stück klar, allerdings nicht nur dem Jetset, sondern auch der Subkultur, wo der Konsum genauso essenziell geworden ist.

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Ein ganz großes Thema wird in »Not Fair« angepackt: schlechter Sex. Der in dem Stück beschriebene Mann ist nett und zuverlässig, aber gibt sich keine Mühe im Bett: »You're just not good, it's such a shame«. Während sie ihm  einen Blowjob nach dem anderen verpasse, sei er desinteressiert an ihrem Orgasmus: »You're supposed to care, but you never make me scream.« Es ist klar, dass es nicht um ein individuelles Problem geht, sondern dass hier getreu dem Motto, das Sex politisch ist, ein männliches Verhaltensmuster kritisiert wird.

Damit nicht genug. Weitere Themen von Lily Allen, alle zu schimmernder, hüpfender Clubmusik überzeugend inszeniert: die Betäubung unserer Gesellschaft durch Drogen und Pillen. Die Diskriminierung von alleinstehenden Frauen. Und die Frage, was Gott wohl vom Treiben der Menschen hält.

Mein Lieblingststück trägt jedoch den schönen Titel »Fuck You«. Darin erteilt Lily Allen allen Nazis, Rassisten und Schwulenhassern die denkbar klarste Absage: »You say it's not ok to be gay, well I think you're just evil. You're just some racist, who can't tie my laces, your point of view is medieval.« Und jetzt bitte festhalten für den großartigen Chorus: »Fuck you! Fuck you very very much! Because we hate what you do and we hate your whole crew, so please don't stay in touch«. Ich stelle mir vor, wie bald ein tausendköpfiges Konzertpublikum oder ein ganzer Club diesen Refrain singt. Das dürfte den gesellschaftlichen Effekt der letzten zwölf Parteitage der Linkspartei bei weitem übertreffen.