»Moment mal, an mir ist doch nichts retro!«

Sharon Jones im Interview über ihre Lehrjahre in der Kirche, das Auf und Ab ihrer Karriere, ihre Zeit als Gefängniswärterin und den reifen, kräftigen Ton, den jede Soul-Sängerin braucht (und zu wenige haben).

Foto: Steven Dewall/Daptone Records

Ihr Album heißt I Learned The Hard Way. Sprechen Sie da über sich selbst?
Ja, auf jeden Fall. Es war alles andere als leicht für mich, dorthin zu gelangen, wo ich jetzt bin. Als meine erste Platte erschien, war ich schon vierzig. Jetzt bin ich 54, und meine vierte Platte kommt heraus. Ich musste mit vielen Problemen kämpfen, und auch für mein Label war es nicht leicht. Dap-Tone ist ein Indie, wir machen alles selbst, keiner schenkt uns was. Wir haben sogar unser eigenes Studio gebaut, um den Sound hinzukriegen, den wir uns vorstellen.

Inzwischen ist Ihr Alter aber auch ein Vorteil, oder? Im Gegensatz zu vielen anderen, jüngeren Sängern haben Sie noch die goldene Ära der Soulmusik in den Sechzigern und Siebzigern miterlebt.
Ja, ich kenne die Soulmusik aus erster Hand. Die Leute fragen: Wieso macht ihr diese Retro-Musik? Ich antworte: Moment mal, an mir ist doch nichts retro! Ich bin keiner dieser Kids, die jemand imitieren. Ich bin seit Ewigkeiten dabei. Ich bin Soul.

Sie kommen aus Augusta, Georgia, der Heimatstadt von James Brown.
Da bin ich aufgewachsen. Als Kinder haben wir zu Mr. Brown aufgeschaut, weil er eine sehr wichtige Rolle in der schwarzen Gemeinde gespielt hat. Heute machen ihn viele Leute herunter, aber Mr. Brown hat in Augusta jede Menge wohltätige Initiativen gestartet, zum Beispiel für Drogensüchtige und Obdachlose. In der Zeitung liest man immer nur von Verfolgungsjagden und Gefängnisaufenthalten, nie von seinen guten Taten.

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Heute kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass James Brown ein Genie war.
Natürlich. Bei ihm fängt alles an. Sein Beispiel hat auch Dap-Tone und die Dap-Kings inspiriert.

»Die ganzen Sängerinnen, die heute rauskommen, haben nicht mehr in der Kirche gesungen, und das hört man auch«

Waren Sie in den Siebzigern Fan eines bestimmten Sängers oder einer Sängerin?
Eigentlich nicht. Ich fand alle toll, die auf Stax oder Motown waren. Jeder kannte die angesagten Songs. Es gab noch nicht so viele Radiosender, und die Musikwelt war noch nicht in Schwarz und Weiß getrennt. Wir haben damals auch die Beatles und die Rolling Stones gehört.

In den Achtzigern haben Sie als Wärterin im berüchtigten New Yorker Gefängnis Rikers Island gearbeitet.
Ja, aber von den zwei Jahren, die ich da beschäftigt war, war ich relativ lange krank. Ich hatte einen Autounfall, wegen dem ich neun Monate nicht arbeiten konnte, und danach noch einen weiteren Unfall. Ich habe dort Erfahrungen gemacht, aber es war keine wirklich einschneidende Zeit.

Haben Sie in all den Jahren dennoch daran geglaubt, eines Tages im Musikgeschäft Erfolg zu haben?
Ich habe die ganze Zeit gesungen: bei uns in der Nachbarschaft, in Hochzeitsbands, als Backgroundsängerin oder im Gospelchor in unserer Kirche. Ich hatte das Gefühl, dass Gott mir dieses Talent geschenkt hat, und ich habe immer gewusst, dass mein Tag irgendwann kommen würde.

Ah, der Gospelchor! Da haben fast alle Soulsängerinnen und -sänger ihr Handwerk gelernt.
Wenn man in der Kirche singt, bekommt man eine sehr starke Stimme, einen reifen und kräftigen Ton. Die ganzen Sängerinnen, die heute rauskommen, haben nicht mehr in der Kirche gesungen, und das hört man auch. Ich habe nichts gegen diese Sängerinnen, die haben ihren Stil, ich meinen. Aber ich möchte keine Popsängerin sein. Was übrigens oft übersehen wird: Selbst die Gospelsänger werden immer poppiger! Die singen nicht mehr so wie früher. Man muss heute suchen, bis man einen richtig guten Gospelchor findet, in dem die Leute nicht rumjodeln, sondern diesen erdigen, souligen Gospel-Ton haben.

Ihr Erfolg zeigt aber, dass sich die Menschen immer noch für Soulmusik begeistern.
Vor allem in Europa. Die Europäer haben niemals aufgehört, Soul zu leben. Deshalb touren all die alten Sänger bei euch in Europa, wo man sie und ihre Musik verehrt. Auch uns habt ihr groß gemacht, in Europa ging’s los. In London habe ich sogar meinen Titel bekommen: »Queen of Funk«.

Ihre Platten haben einen sehr warmen, analogen Sound. Da fließt wahrscheinlich viel Arbeit rein.
Wir nehmen auf Achtspur-Tonband auf, nicht digital. Das ist eigentlich alles. Der Sound kommt von unserem Studio. Deshalb nehmen auch andere Leute dort auf, zum Beispiel Michael Bublé: Das Duett, dass ich mit ihm für sein Album eingesungen habe, wurde bei uns aufgenommen. Auch Mark Ronson und Amy Winehouse kamen ins Daptone-Studio, weil sie unseren Sound wollten. Aber wir haben natürlich auch deshalb so einen guten Sound, weil unsere Musiker so gut spielen. Das sind echte Soul-Player. Soul kommt von Herzen: Man muss das, was man fühlt, irgendwie rüberbringen. Das machen meine Musiker, ich mache es genauso. Das ist der Grund für unseren Erfolg.