Der Steinbruch ist zwei Hektar groß. Zwischen Felswänden stehen die Arbeiter. Benjamin Pütter zoomt sie durchs Objektiv heran. Einige der Arbeiter sehen verdächtig klein aus. Er will näher ran.
Pütter spürt Kinderarbeit hinterher. Immer wieder reist er im Auftrag von NGOs dafür nach Indien. Die »Times of India« nannte ihn »The Green Gandhi from Germany«. Einmal wurde er im Kofferraum aus der deutschen Botschaft in Delhi geschmuggelt, weil er für einen Spion gehalten wurde. Ein anderes Mal, als er Kinder aus einer Fabrik befreien wollte, warteten Männer mit Waffen auf ihn. Aber diese Reise, hat Pütter vorab gesagt, sei die gefährlichste von allen.
Er reist unter falscher Identität: als Importeur von Grabsteinen. Reporter Björn Stephan und der einheimische Fotograf, der nur unter Pseudonym mitfahren will, geben sich als Mitarbeiter aus. Pütter will den Beweis erbringen für einen Verdacht, der schon lange besteht: Dass für Grabsteine auf Deutschlands Friedhöfen Kinder ausgebeutet werden. Seine Recherche wird alles verändern, hofft Pütter. Derzeit arbeiten drei deutsche Landesregierungen an neuen Gesetzen zur Zertifizierung von Grabsteinen.
Jeder dritte Grabstein auf deutschen Friedhöfen kommt aus Indien. Die Kunden mögen sie wegen der Farben. Die Steinmetze, weil sie lukrativ sind. Seit vielen Jahren beteuern die Steinmetze, dass sie keine Steine aus Kinderarbeit importieren. Ihr Verbandschef, Oswald Kurz, sagt: »Benjamin Pütter lügt. Es gibt keine Kinderarbeit in indischen Exportsteinbrüchen und es hat sie auch nie gegeben. Die Inder sind die friedlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Die lieben Kinder.«
Er wird es Kurz schon beweisen, sagt Pütter. Deswegen muss er in dem Steinbruch näher ran. Er krempelt den Saum seiner Hose um und stapft durch den Schlamm. Auf einem Felsvorsprung bleibt er stehen. Vor ihm arbeiten fünfzehn Arbeiter. Sie haben eingefallene Wangen und Oberarme wie Drahtseile, die von der Erschütterung zittern. In Gruppen bohren sie Löcher in den Granit, bearbeiten sie danach mit Meißeln und Sprengstoff. Keiner trägt Handschuhe oder einen Helm, einen Mundschutz.
Vier Jungen fallen Pütter auf. Sie sind einen Kopf kleiner als die anderen und sehen deutlich jünger aus. Pütter beugt sich zu ihnen herab. Drei der Jungen sagen, sie seien 20 oder 25 Jahre alt. Unser Fotograf, der ihr Alter besser einschätzen kann als wir, glaubt sie seien maximal 15. Der vierte Junge, der nicht jünger aussieht als die anderen, sagt, er sei 14 Jahre alt. Er hat verstümmelte Finger, heißt Loganathan.
Seine Geschichte erfährt Pütter von seinem Onkel, der auch im Steinbruch arbeitet. Loganathan sei seit einem Monat in diesem Steinbruch, für zwei Euro am Tag. Er wuchs in einem Dorf in der Nähe von Kolathur auf, im Norden von Chennai. Er ging zur Schule, bis die Familie kein Geld mehr hatte. Jetzt lebt er in einer Hütte am Steinbruch, 35 Quadratmeter, mit 30 Männern. Er arbeitet jeden Tag acht bis zehn Stunden. Alles was er besitzt, sind drei T-Shirts, eine Hose und Flip-Flops. Abends rollt er seine Matte auf dem Fußboden aus, um zu schlafen. Sein Onkel sagt, Loganathan liege abends oft wach. »Warum schläfst du nicht?«, frage er dann. Und Loganathan antworte, er vermisse seine Mutter und ihren Tomatenreis.
Am nächsten Tag sitzt Pütter im Büro des Steinbruchbesitzers. Es liegt in einer der teuersten Gegenden Bengalores, über dem Eingang das Schild: »Rathna Mineral Enterprises.« Pütter will herausfinden, ob ihre Grabsteine auch nach Deutschland gehen. Ihm gegenüber lässt sich Herr M. Manjunatha, der Chef, in einen Ledersessel sacken. Er faltet die Hände vor sich auf dem Tisch und schaut Pütter an. Ja, natürlich exportiert er nach Deutschland. Namen fallen. Auch Namen, die Pütter kennt. Er ist elektrisiert - bis er kurze Zeit später in seinem Hotelzimmer einen anonymen Anruf bekommt. Er muss untertauchen.
Die Reportage zeigt, wie unmenschlich die Arbeitsbedingungen in vielen Steinbrüchen Indiens sind. Sie erzählt die Geschichte von Loganathan. Und verfolgt den Weg der Steine nach, die aus Loganathan Steinbruch nach Deutschland gelangt sind.
Lesen Sie die komplette Reportage mit SZPlus
Foto: Hema Chowdary