Vorsicht! Das könnte Ihr Chef sein

Vor einem Jahr kamen die Heuschrecken über Deutschland. Inzwischen haben sie 800 000 Arbeitsplätze unter ihre Kontrolle gebracht. Schlimm? Nicht immer. Es gibt Firmen, da sehnt man sich nach ihnen.

Wie ein Töpfer sitzt Kaspar Asam im blauen Arbeitsanzug vor einem silbrig glänzenden Gebilde, das aussieht wie ein Zuckerhut, mit tausend Fähnchen bestückt. In sechs Kreisen sind kleine Turbinenschaufeln auf dem 60 Zentimeter hohen Metallkörper aus Titan aufgesteckt, so elegant geschwungen, als habe sie ein Goldschmied kreiert. Geduldig setzt der Mechaniker eine kleine Schaufel nach der anderen auf. Gute zwei Wochen arbeitet Asam, bis er all die feinen Flügelchen montiert hat. Dann ist aus seiner Skulptur ein Verdichter geworden, der mehr als eine Million Euro kostet und in den nächsten Tagen in ein Triebwerk eingebaut wird, dessen 40 000 PS bald ein Eurofighter-Kampfflugzeug antreiben sollen.

Die MTU Aero Engines im Norden Münchens zählt zur Elite in der internationalen Welt der Jet-Triebwerksbauer. Große Firmen wie Pratt & Whitney, General Electric oder Rolls-Royce lassen sich von dem kleinen Münchner Spezialisten mit seinen 6000 Beschäftigten hochwertige Teile anliefern, die sie in die großen Triebwerke für Boeings oder Airbusse einbauen. Für die Militär-flieger der Bundeswehr darf die MTU in München-Karlsfeld sogar ganze Triebwerke bauen. Etwa dreißig Stück dieser etwa vier Meter langen Zylinder, die von Millionen Schläuchen und Leitungen wie Adern umschlungen sind, werden hier jedes Jahr zusammengesetzt. Ganz ruhig, ohne Lärm, ohne Fließband. Auch ohne Zukunft?

Die MTU, die 1936 von BMW als Flugmotorenwerk gegründet wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Perle der deutschen Industrie galt, hat drei turbulente Jahre hinter sich. Zwei Jahrzehnte gehörte das Unternehmen zuletzt dem Autokonzern Daimler, der in dieser Zeit zum transatlantischen Konglomerat DaimlerChrysler mutierte. Das Management hatte schon lange die Lust auf das Triebwerksgeschäft verloren. Als der Konzern dann 2003 in der Bredouille steckte, weil das Geschäft mit den Autos wieder einmal schlecht lief und Konzernchef Jürgen Schrempp seine ehrgeizigen Gewinnversprechungen nur halten konnte, wenn er die MTU versilbern würde, war die Sache klar: Er verkaufte den Turbinenhersteller eilig für 1,45 Milliarden Euro an einen privaten Investor, der die MTU nach anderthalb Jahren an die Börse brachte. Die Fondsfirma verdreifachte ihr eingesetztes Kapital nahezu, die MTU blieb auf einem Schuldenberg von 800 Millionen Euro sitzen.
Vor gut einem Jahr prägte Franz Müntefering für solche internationalen Investmentfirmen, die in Deutschland immer häufiger auftreten, den Begriff »Heuschrecken«. Es war Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, die Sozialdemokraten befürchteten eine schwere Niederlage. Da wollte sich der damalige SPD-Chef als soziales Gewissen der alten Arbeiterpartei profilieren und klagte in Bild am Sonntag: Manche Finanzinvestoren »verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter«. Selbst unter Managern heißen die so genannten Private-Equity-Gesellschaften in Deutschland seitdem nur »Heuschrecken«.

Meistgelesen diese Woche:

Der SPD-Politiker aus dem Sauerland meinte wohl in erster Linie die Geschichte der einst florierenden Firma Grohe, eines geachteten Herstellers von Badezimmer-Armaturen aus dem westfälischen Hemer. Die Eigentümerfamilie hatte das Unternehmen 1999 an die britische Investmentgesellschaft BC Partners verkauft. Die Investoren pressten hohe Ausschüttungen aus dem Mittelständler heraus, bürdeten ihm hohe Schulden auf und reichten ihn 2004 an den nächsten Fonds weiter, die US-Gesellschaft Texas Pacific. Der plante mit Hilfe der Berater von McKinsey massive Jobverlagerungen ins Ausland. Heute ist Grohe kaum noch wiederzuerkennen. Was die Fonds mit dem Unternehmen gemacht hätten, gleiche »einem Termiteneinfall«, klagt der frühere Miteigentümer Charles Grohe. »Die höhlen es aus und dann bricht alles zusammen.«

Mit Schaudern sah 2003 auch die Belegschaft von MTU dem Verkauf ihres Unternehmens an die amerikanisch-britische Fonds-Gesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) zu, einen der ältesten und größten Private-Equity-Fonds der Welt. Nach zwanzig Jahren unter dem Dach von Daimler »waren wir auf den Einstieg eines Finanzfonds nicht gefasst«, erzählt Günter Sroka, Vertreter der Arbeitnehmer im MTU-Aufsichtsrat. Die Belegschaft hatte Angst, ihre kleine Firma könnte »von den Schulden erdrückt« werden: Der neue Eigentümer, in Deutschland schon an Firmen wie Grüner Punkt, Wincor Nixdorf oder Auto Teile Unger beteiligt, hatte für den Firmenkauf nur 270 Millionen Euro aus eigenen Mitteln aufgebracht. Der Rest wurde mit Krediten finanziert, deren Zinsen allein die MTU zu tragen hatte.

Nach knapp einem Jahr kippten die neuen Eigentümer Klaus Steffens vom Chefsessel, der als guter Ingenieur und Stratege galt – »wegen unterschiedlicher Auffassung über die weitere Entwicklung des Unternehmens«. Das kam in der Branche schlecht an. »Die Ablösung von Steffens ist ein Indiz dafür, dass KKR offenbar noch immer nicht begriffen hat, wie diese Branche tickt«, urteilte der Informationsdienst Flugpost. Die Mitarbeiter waren schockiert. Zwar hatten die Gesellschafter auch früher gelegentlich gewechselt, aber stets waren es seriöse Adressen der deutschen Industrie, die den Turbinenbauer gewähren ließen. Wenn die Rendite nicht stimmte oder teure Investitionen nötig wurden – kein Problem. Jetzt sah es so aus, als sei das Unternehmen zum Spielball weltweit agierender Anlagestrategen geworden, die nur auf schnelle Rendite schauten.

Doch es kam anders: Bis heute sind die Betriebsräte voll des Lobes über die vermeintlichen Aasgeier. »Das sind korrekte Leute«, ist aus der Belegschaft zu hören. Der Aktienkurs der MTU liegt zwanzig Prozent höher als beim Börsengang vor einem Jahr, es gibt positive Schlagzeilen: »MTU erwar-tet Gewinnverdoppelung«, meldete gerade ein Wirtschaftsblatt. Auch die Belegschaft kam glimpflich davon. Die neuen Herren strichen nur jene Arbeitsplätze – etwa tausend –, die schon der Vorbesitzer Daimler für überflüssig hielt und für die der Sozialplan schon ausgehandelt war. Zuvor hatte der besorgte Betriebsrat sicherheitshalber das Kanzleramt in Berlin informiert, das sich Sorgen machte um die Zukunft eines deutschen Rüstungsunternehmens. »Das hat die KKR-Leute nachdenklich gemacht«, sagt ein Arbeitnehmervertreter.

Jahrzehntelang war es für ausländische Investoren kaum möglich, deutsche Unternehmen zu kaufen. Zeigte sich ein Interessent, sprangen die Hausbanken ein und wehrten die Eindringlinge ab – indem sie selbst einstiegen. Die Deutschland AG war ein Bollwerk gegen ungebetene Aktionäre, selbst wenn ein Unternehmen schlecht geführt war. Die Interessen der Aktionäre galten als zweitrangig. Inzwischen gilt ausländisches Kapital nicht mehr als suspekt. Mancher große deutsche Konzern hat längst mehr ausländische Aktionäre als deutsche. Nur die Methoden der angelsächsischen Fonds, die ihre Aufkäufe mit dem Geld der Opfer finanzieren, werden noch immer als anstößig empfunden. Im Konsens-Deutschland, wo Gewerkschaften und Manager traditionell eng kooperieren, ist die Sicherung von Arbeitsplätzen noch immer wichtiger als hohe Renditen zu erwirtschaften.

800 000 Menschen in Deutschland arbeiten inzwischen bei Firmen, die Private-Equity-Fonds gehören. Die einstige Chemiesparte von Hoechst landete beim Investor Black-stone, der Energiekonzern Eon verkaufte seine Immobilien an die Gesellschaft Terra Firma, der TV-Anbieter Kabel Deutschland gehört mehreren Private-Equity-Gesellschaf-ten. Auch der zeitweilig ins Trudeln geratene Brillenhersteller Rodenstock steht unter der Regie einer Heuschreckenfirma. »Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht«, beurteilt der Deutschland-Chef der Finanzgesellschaft Permira, Thomas Krenz, die Aussichten der Branche in Deutschland.

Kürzlich drängte sogar eine Belegschaft einen britischen Anleger, in ihr Unternehmen einzusteigen – beim Modelleisenbahnhersteller Märklin in Göppingen. Der kleine Markenartikler steckte seit 2000 in der Krise, die Pleite drohte, weil immer weniger Kinder mit elektrischen Eisenbahnen spielen und die Eigentümerfamilie über die Strategie heillos zerstritten war. Die von den Querelen genervte Belegschaft ging für die Fondsgesellschaft Kingsbridge Capital auf die Straße, die schon beim Strumpfhersteller Kunert eingesprungen war.

Johannes Huth, Europa-Chef von KKR, bestreitet, dass es den Investorenfonds da-rum geht, Unternehmen auszusaugen und möglichst viele Jobs zu vernichten. »Wenn eine Private-Equity-Gesellschaft ein Unternehmen vollständig auspressen und massiv Mitarbeiter kündigen würde, fände sich am Ende kein Käufer.« Aber sie nutzen Schwächen. Wo die Zahl der Arbeitsplätze zu groß ist, lauert Gefahr. Das gibt der Deutschland-Chef der Finanzgesellschaft Permira, Thomas Krenz, gern zu. »Wir suchen Unternehmen, bei denen wir zwanzig bis dreißig Prozent Produktivitätsreserven realisieren können.« Auch MTU besaß einen Vorteil, den die Manager von Kohlberg Kravis Roberts & Co. sofort erkannt hatten: Bei einem Weiterverkauf an der Börse war mit dem Turbinenhersteller noch Geld zu machen. DaimlerChrysler hatte dieses Potenzial offenbar übersehen.

Die Heuschreckenfirmen beherrschen ein paar Kniffe, mit denen sich schnell die Kosten drücken lassen – zum Beispiel wichtige Zukunftsinvestitionen so zu senken, dass die Erträge kurzfristig steigen. So gibt MTU heute nur noch 3,9 Prozent des Umsatzes für Forschung und Entwicklung aus. Ähnlich ist es auch bei anderen Investitionen. Fachleute wissen, dass für diese Posten, die über die langfristige Wettbewerbsfähigkeit entscheiden, etwa das Doppelte ausgegeben werden muss.

Udo Stark sitzt im sechsten Stock des glasverspiegelten MTU-Verwaltungsbaus in Mün-chen-Karlsfeld. Die Wände sind fast kahl, nur die bunt bemalte Bronzestatue der Nymphe Daphne ziert den von hartem Schwarz-Weiß beherrschten Raum. Der Blick aus dem Eckfenster fällt auf Firmenparkplatz und Autobahn. Der 58-Jährige mit dem grauen Kopf und dem zurückhaltenden Ton wirkt freundlich, keineswegs wie ein gewissenloser Finanzverwalter. Selbst die Belegschaft ist mit dem Mann zufrieden, der seit anderthalb Jahren an der Spitze steht: »Mit Stark ist der richtige Mann für den Börsengang gekommen«, sagt ein Belegschaftsvertreter.

Außerhalb der MTU heißt es über den auf Sylt geborenen Manager, er passe perfekt zur Heuschrecken-Branche. Er verstehe sich auf die Zerschlagung von Unternehmen und habe stets seinen persönlichen Vorteil im Auge. Im Jahr 2000 war Stark bei dem Mischkonzern Agiv als Chef ausgeschieden, den er zuvor zerlegt und in Teilen verkauft hatte. Der Rest ging später pleite. Stark nahm nach zehn Jahren im Unternehmen eine Abfindung von 6,4 Millionen Euro mit und nach eigenen Angaben eine Pension von 240 000 Euro im Jahr. Kleinaktionäre liefen Sturm wegen angeblicher »Ausplünderung« der Agiv. Beim nächsten Arbeitgeber, dem Bochumer Maschinen- und Anlagenbauer Gea, blieb Stark anderthalb Jahre und bezog danach eine Abfindung von 6,5 Millionen Euro. »Er ist ein Meister der Tricks und Kniffe des Managerlebens«, befand die Frankfurter Allgemeine. Er selbst entgegnet, die hohen Abfindungen habe nicht er zu verantworten, »sondern die Aufsichtsräte, die solche Verträge anbieten«.

Stark winkt ab, als hätte er die Fragen schon hundertmal beantwortet. »Hier wurde früher sehr großzügig investiert«, sagt er und meint damit: zu großzügig. Auch die Tatsache, dass ein kleines Unternehmen wie die MTU fast eine Milliarde Euro Schulden aufgeladen bekommt, findet er nicht dramatisch. »Das ist die Realität des Private-Equity-Geschäfts.« Stark sagt, wer es mit Private-Equity-Firmen zu tun habe, müsse erst mal deutsche Märchen lesen, und platziert dann mit einem Lachen einen Satz, der den Besucher rätseln lässt: »Das gekaufte Unternehmen muss die Münchhausen-Nummer machen.«

Die MTU soll sich also am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf ziehen, wie es der berühmte Baron im 18. Jahrhundert beschrieben hat. Und während der MTU-Chef dieses vermeintliche Patentrezept so beiläufig erklärt, könnte man fast eine Kleinigkeit vergessen: dass der Erfinder dieser Haarschopftechnik vor allem als Lügenbaron in die Geschichte einging.