Aufgeplatzte Weißwurst mit Fadenresten explodierten Schweinedarms

Der Jeanstrend dieser Tage legt bleiche Beine frei. Unser Autor hofft, dass man in Zukunft nicht alles bereits beschädigt kaufen muss.

Zerrissene Jeans sind schon länger in Mode, aber was mein Blick dieser Tage streift, geht über das Bekannte und simpel Zerlöcherte hinaus: Nun ist ein Grad von Zerfaserung und artifizieller Zerlumpung erreicht, der nicht mehr zu steigern ist. Heute werden Jeans getragen, die nur einen Schritt vom Totalzerfall entfernt sind, im Grunde schon mehr Loch als Hose. Wobei interessant ist, dass man im Zerschneiderhandwerk Abstufungen von Zerstörtheit kennt, die genau zu unterscheiden sind.

Wir sprechen hier nicht von normalen Gebrauchsspuren, die selbst an meinen Hosen zu sehen sind: Löcher in den hinteren Taschen beispielsweise, von der Geldbörse in den Stoff geschubbert: Verschleiß durch Benutzung. Nein, wir beobachten am Anfang der Zerschlissenheitstabelle zum Beispiel simple Knielöcher, die den Eindruck erwecken, als sei die Trägerin Teilnehmerin eines Knierutsch-Marathons gewesen, oder als habe der Orthopäde vor einer Knie-Operation keine Zeit gehabt, dem Patienten die Hose auszuziehen, sondern sich für den direktinvasiven Alarm-Zugriff entscheiden müssen. In solchen Fällen sieht man die Knie aus Hosenlöchern hervorlugen wie verschreckte Murmeltiere aus Erdbunkeröffnungen.

Eine Stufe darüber: breite, nur notdürftig von weißen Fasern überspannte Löcher an den Schenkeln. Handelt es sich um sehr enge Jeans über bleicher Winterhaut, wird man die Assoziation einer aufgeplatzten Weißwurst nicht los, über deren Füllung sich Fadenreste explodierten Schweinedarms spannen. Ist die Haut gebräunt, entsteht das Gefühl, die Trägerin wolle sowohl Haut als auch Hose zeigen und habe sich für eine Art Nichthose entschieden. Hinter dieser Variante warten jene Jeans, die nicht nur zerribbelt wurden, sondern aus denen man gleich riesige Löcher schnitt. Und natürlich gibt es Kombinationen von alledem: als sei ein von seinem Werk enttäuschter, komplett übernächtigter Hosenschöpfer in bitterem Frust mit einer Kettensäge über die eigenen Kreationen hergefallen.

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Für all das gibt es eine große Zahl von Begriffen, Cut-Out-Jeans, Destroyed Jeans, Ripped Jeans, Underbutt-Jeans, das ist wie bei den Schotten, die im sogenannten Scots, einer Sprache, die ein Drittel von ihnen beherrscht, übrigens weit mehr Wörter für Schnee kennen als die Inuit, 421 sind es, flindrikin für einen leichten Schauer, feefle für herumwir-belnde Flocken. Doch das nur nebenbei.

Warum das alles, warum? Wieso macht man das Neue mit solcher Wonne alt, das Heile kaputt? Es wird wohl mit der Sehnsucht nach gelebtem Leben zu tun haben, nach Identität und Unverwechselbarkeit, sehr menschlich. Der Kapitalismus hat auch den Zahn der Zeit unter Vertrag genommen, er lässt ihn an Hosen fressen, lässt alt aussehen, was jung ist, wie er bei Bedarf auch das Alte verjüngt, und sei es durch Hautstraffung und Gelenkersatz. Solange man jung ist, würde man die Zeit gerne vorankurbeln, ist man älter, gäbe man viel dafür, sie zurückdrehen zu können. Muss nicht jeder selbst wissen, ob er sich diesen Illusionen hingeben mag? Bisweilen sitzen wir in Cafés heute auf Stühlen, die mal eine Schule möblierten, trinken Kaffee aus Trödeltassen, durchstreifen Flohmärkte, möblieren Apartments mit Altholz. Wenn man alles neu haben kann, sehnt man sich nach Altem.

Andererseits habe ich bei der Begriffs-Aufzählung die Distressed Jeans vergessen. Ist es nicht seltsam, das distressed einerseits »gequält« und »geplagt« bedeutet, andererseits auch »unglücklich« und »verzweifelt«?

Na ja, es geht um Hosen. Solange Volkswagen keinen Distressed Golf anbietet, als Neuwagen mit künstlichen Beulen, verwittertem Lack und Leck in der Ölwanne, solange nicht Eigenheime zum Neupreis mit fertig eingetretener Tür, zerbrochenen Dachziegeln und blindem Fensterglas auf den Immobilienmarkt kommen und solange bei der Autobahnreparatur keine Antik-Schlaglöcher eingebaut werden, wollen wir uns mal nicht aufregen.

Foto: john krempl / photocase.de; Illustration: Dirk Schmidt