Zu den Sachverhalten, die mich erstaunen, gehört die Tatsache, dass es zum Beispiel in München möglich ist, Menschen Wasser in Flaschen zu verkaufen. Jeder, der hier über einen Wasserhahn mit Anschluss an die städtische Versorgung verfügt, kann zu einem günstigen Preis ganz ausgezeichnetes Wasser in außerordentlich großen Mengen beziehen, geeignet sogar für Babys – aber was tun die Menschen? Sie kaufen Wasser im Supermarkt, sie bestellen Wasser beim Getränkedienst, sie erwerben sogar, wie die Verbraucherzentralen mitteilen, Wasser, das auf dem Etikett als »glutenfrei« gekennzeichnet ist, obwohl Wasser von Natur aus kein Gluten enthält und Gluten einem gesunden Menschen auch nicht schadet.
Aber das ist noch nicht alles. In New York, wo ebenfalls gutes Trinkwasser aus dem Hahn fließt, kann man nicht nur Wasser von den Fidschi-Inseln für fünf Dollar die Flasche kaufen, sondern es gibt im East Village auch eine »Molecule Water Bar«, in der ganz normales Newyorkwasser unter anderem mit ultravioletter Strahlung, Ozonbehandlung und Umkehrosmose im Verlauf eines »Sieben-Stufen-Prozesses« in »reines H2O« verwandelt wird, ein nachgerade zauberischer Vorgang, dessen Wert damit beworben wird, dass er unter der Leitung des früheren »Bumerang-Weltmeisters« stattfindet.
Wir lernen: Das Geld ist den Menschen leicht aus der Tasche zu ziehen, ja, die Menschheit ist im Ganzen dümmer, als man angesichts der großen geistigen Leistungen unserer führenden Intellektuellen meinen sollte. Wie aber können auch wir davon profitieren? Welche Geschäftsideen warten auf uns, unentdeckt? Wie könnte zum Beispiel ich, der ich nie Bumerang-Weltmeister war, aber doch immerhin niedersächsischer Hockey-Meister der C-Knaben, meine Geld-Vorräte zu ungeahntem Umfang vergrößern? Meine Idee: Vermarktung von Luft. Viel zu viele Menschen müssen ja die ganz und gar nicht-exklusive Normalluft unserer Städte und Dörfer atmen. Wie wäre es jedoch, man würde in Häusern und Wohnungen Druckluft in Tanks installieren, die dann der Raumluft beigemischt würde: norwegische Fjordluft beispielsweise oder madegassische Regenwaldluft oder umkehrosmotisch optimierte Luft von der Insel Sylt? Auch auf dem Weg ins Büro oder beim Spaziergang könnten die Menschen mit kleinen tragbaren Tanks und per Atemmaske diese Luft einatmen, man müsste diese Gerätschaften nur als topmodische Accessoires bewerben, Madonna oder Bastian Schweinsteiger sollten damit zu sehen sein – die Leute würden sich doch nicht mehr aus dem Haus wagen ohne solche Teile! Und mit denen wäre noch mal schönes Extrageld zu verdienen, neben den reinen Sauerstoff-Abgaben. Doktor Hackes Superluft! Atmen wie die Stars! Welche Menge solcher Luft würde ein Mensch täglich benötigen?
Das ließe sich vermutlich leicht ausrechnen, aber ich werde es nicht tun, denn ich habe vor Kurzem an dieser Stelle die Größe eines sogenannten Zuckerwürfels aus dem Supermarkt so beschrieben: Der Zuckerwürfel sei in Wahrheit kein Zuckerwürfel, schrieb ich, sondern ein Zuckerquader mit sechs Außenflächen, »davon zwei große mit 1,5 mal 1,5 Zentimetern und vier kleine von 1 mal 1 Zentimeter«. Das war nun einfach falsch gemessen, denn einen solchen Quader kann es – wie mir klar wurde, als ich von einem Riesenleserbriefbumerang breitseits getroffen wurde – nicht geben, seine Kantenlängen passen nicht zueinander.
Richtig ist vielmehr: Das Zuckerstück, das dadurch allerdings immer noch kein Würfel wird, hat neben den zwei richtig angegebenen großen Flächen vier kleinere von 1 mal 1,5 Zentimetern. (Angaben ohne Gewähr.)
Mir wurde nach diesem Vorfall vom Bundesrechenhof ein Rechenverbot auferlegt. Ich darf in den nächsten 1,5 mal 1,5 Jahren nicht mehr öffentlich rechnen, zutiefst deprimierend für mich, denn ich habe es gern getan. Nun werde ich ins Luftgeschäft einsteigen, vielleicht beginne ich mit einer Luftbar in München, dem »Luftmann’s«.
Atmen Sie dort meinen Spezial-Luftmix, drei Teile Luft aus den Karpaten, ein Teil Höhlenluft aus den südlichen Ardennen, dazu eine von Reinhold Messner exklusiv durchgeatmete Lungenfüllung, praktisch im Würfel oder im Quader, serviert vom ehemaligen Champion der Dyskalkulie.
Illustration: Dirk Schmidt