Zu den kostbarsten Dingen auf der Welt gehört ein Quadratmeter Wohnraum in London. Man zahlt im Moment für ein solches Exemplar höchster Qualität in bester Lage umgerechnet durchaus 80 000 Euro, wofür man in Duisburg-Untermeiderich schon ein voll unterkellertes Dreifamilienhaus mit Nachtspeicherheizung und Schuppen im Garten bekäme, wahlweise auch fast 150 000 Becher Erdbeerjoghurt oder 26 Goldbarren à hundert Gramm. Und da ein Quadratmeter Wohnraum einzeln kaum zu haben ist und man ja in seiner Wohnung wenigstens ein Bett, einen Stuhl und, wenn noch etwas Geld übrig ist, vielleicht einen faltbaren Campingschrank aufstellen möchte, muss man für ein Londoner Apartment von den Ausmaßen einer Uli-Hoeneß-Zelle schon fast eine Million Euro hinblättern. Dafür wohnt man dann aber auch nicht in Untermeiderich oder Landsberg am Lech, sondern in Kensington oder Notting Hill.
Dass London so teuer ist, liegt daran, dass so viele Menschen dort wohnen wollen. Der russische Oligarch zum Beispiel schätzt London als Erst-, Zweit-, Dritt- oder Viertwohnsitz ungemein, ja, es gibt in der Stadt inzwischen so viele Luxusrussen, dass Wladimir Putin erwogen haben soll, zu deren Schutz nach der Krim auch London zu annektieren. Allein der Zustand der U-Bahn habe ihn, wie es heißt, davon abgehalten, denn deren Sanierung wäre auch mit dem sofortigen Verkauf sämtlicher russischer Erdgas-Vorkommen nicht bezahlbar.
Nun ist es aber so: Nach einigen Jahren wird einem sogar das teuerste, hübscheste und pittoreskeste viktorianische oder edwardianische Häuschen zu eng, man wünscht sich vielleicht einen kleinen Sauna-Bereich, ein Heimkino, einen Zweit-Geldspeicher oder einige Zimmer für die neu hinzugekommenen Scheichsöhne oder Oligarchentöchter. Was tun? Aufstocken ist unmöglich, das verbietet das Bauamt. Nach hinten ist kein Platz. Und der Nachbar verkauft nicht. In dieser verzweifelten Lage hat sich ein neuer Trend entwickelt: Man dringt nach unten vor. Geschoss für Geschoss wird unter Londoner Häuser gegraben, iceberg basements wird das genannt. Denn wie der Eisberg unter der Wasserlinie größer ist als darüber, so liegt auch der weitaus meiste Platz mancher Gebäude nun unter der Erde.
Immobilienexperten sagen: So wird es auch in Paris kommen, in Rom, Wien oder München, wo man Hochhäuser eh nicht schätzt. Nicht in neuen Wolkenkratzern liegt die neue Sehnsucht des wohlhabenden Teils der Menschheit, nicht Höhe ist das Statussymbol, sondern es geht um die Fragen: Wer besitzt den größten Keller? Wer hat den tiefsten?
Der Reichtum zieht sich zurück, er vergräbt sich, wird unsichtbar. Und in dieser Kolumne, die sich immer einer stringenten und scharfen Analyse sozialer Prozesse verpflichtet gefühlt hat, muss natürlich die Frage folgen: Passt das nicht perfekt in diese Zeit? Dass man sich einbunkert gegen den Ansturm der Armut aus anderen Kontinenten? Sich unsichtbar macht vor dem Neid der Mittelschicht? Ja, der Reiche strebt nicht mehr zum Himmel, er greift nicht mehr nach den Sternen, er schaufelt sich zur Hölle vor, nicht weil er will, sondern weil er muss. Oberflächlich betrachtet mag es Notwendigkeit sein, die ihn nach Baggern rufen und in scheußlicher Fensterlosigkeit leben lässt, doch in Wahrheit ist es Angst.
Wohin wird das alles führen? Wird es begüterte Londoner geben, durch deren Wellnessräume im siebten Tiefgeschoss die Central Line von Ealing Broadway nach Epping braust? Die dort unten bisweilen staunend sitzen und sehen, wie viele dieser seltsamen, ganz normalen Menschen doch in einen Waggon passen, während sie hier allein im blubbernden Whirl-Pool hocken? Wird eines Tages aus dem Boden Neuseelands ein Betonbau herauswachsen wie ein Pilz aus dem Waldboden? Und den Menschen, die fragen »Was ist das?«, wird man sagen: Das ist die Spitze des Kellers unter Roman Abramowitschs Londoner Wohnsitz?
Illustration: Dirk Schmidt