Manchmal muss ich, wenn AfD-Politiker wie Gauland oder Weidel im Fernsehen befragt werden, an den Witz vom Schüler denken, der sich in Biologie nur auf ein einziges Tier vorbereitet hat: den Regenwurm. Es kommt aber der Elefant dran. Schüler: »Der Elefant ist groß und hat einen Rüssel, der einem riesigen Regenwurm ähnelt. DER REGENWURM …«
Diesen Leuten werden alle möglichen Fragen gestellt, in denen es um wichtigste Probleme geht, Digitalisierung, Renten, Klima. Aber sie weichen aus, wissen nichts – weil sie nur von einem Thema besessen sind: Flüchtlinge.
Als Matteo Salvini, der rechtsextreme italienische Innenminister, drei Monate im Amt war, las ich in La Repubblica die Überschrift: Salvini in fuga da Viminale, Salvini auf der Flucht vor dem Viminal (jenem der sieben römischen Hügel, auf dem sich das Innenministerium befindet). Der Text war illustriert mit Fotos, die in drei Monaten aufgenommen worden waren: Salvini mit Bier in der Hand im Trentino, Salvini macht Selfie beim Palio in Siena, Salvini springt in einen Pool, Salvini spielt Flipper in Mailand, Salvini in Badehose samt Verlobter auf einem Boot, Salvini am Strand bei Lesina, Salvini neben Platten frittierter Meerestiere in Nerviano – das Gesicht stets voll tiefer Selbstzufriedenheit.
Im Text war, minutiös belegt, zu lesen, dass der Mann sich kaum im Büro aufhalte, wie man es doch von einem Innenminister erwartet, der unentwegt Dinge entscheiden, Probleme lösen, Dokumente unterschreiben muss. Sein Leben scheint, ausweislich von ihm selbst bei Facebook veröffentlichter Bilder, eine Mischung aus Wahlkampf, Party und Urlaub zu sein, unterbrochen allerdings von obszönen Beschimpfungen eben der Flüchtlinge, deren »Gelage« und »Party« er beenden werde.
Dabei ist er selbst auf der Flucht: vor der Arbeit, dem Ernst der Dinge, der Kompliziertheit der Probleme, dem Leid von Menschen – offenbar ein ebenso fleißiger Bursche wie der Golf spielende, nichts lesende Trump, »ein Hampelmännchen seiner selbst in den sozialen Medien«, wie ihn der Kolumnist Michele Serra nannte. Salvini ist damit (wie Trump es war) erfolgreich, er und seine Partei führen in den Umfragen. Seine Botschaft ist: Ich bin einer von euch, ein einfacher Kerl mit Freude am Leben. Und keiner von uns ist schuld an den Problemen. Das sind andere. Die Flüchtlinge.
Man muss Schuldige finden, ein altes Rezept, funktioniert immer: Schuldige ersparen Nachdenken, Selbstreflexion, Kompliziertheit, Mitgefühl. Sie ermöglichen ein reinigendes Gefühl: Hass. Was sollten wir tun?
Als in Chemnitz der Nazi-Pöbel auf der Straße war und die AfD sich endgültig mit Rechtsradikalen gemein machte, erwischte man sich bei dem Gedanken, der Einfachheit halber auch AfD-Wähler zu Faschisten zu erklären – und die sächsische CDU (die CSU sowieso) gleich mit. Dabei wäre es vernünftiger, neben allen Bekundungen von Wut vor allem Fragen zu stellen, sich zu erkundigen, etwas wissen zu wollen über Motive, Gründe, Lebenssituationen. Wie es übrigens ebenfalls keinen Sinn hat, es bei verständlicher Verachtung für Salvini zu belassen und sonst nichts wissen zu wollen über Probleme Italiens mit unkontrollierter Migration. (Es ist ja die Unfähigkeit der demokratischen Parteien dort, die dem Mann das Spiel leicht macht.)
Moralische Überheblichkeit und eben Verachtung sind auch nur Wege, sich das Leben leichter zu machen, nicht wahr? Aber wer nicht versteht, dass es mit jeder Art von Bequemlichkeit nun vorbei ist, dass es nicht mit Demos und Konzerten getan ist, sondern dass Demokratie ARBEIT für jeden bedeutet, tägliches Engagement, Gespräch, Information – dem ist nicht zu helfen. Und dann ist auch uns nicht mehr zu helfen.
Es geht darum, alles über den Elefanten zu wissen (und über den Regenwurm auch).