Mir geht nicht aus dem Kopf, wie Sebastian Kurz nach der Veröffentlichung des Ibiza-Strache-Gudenus-Videos seine Koalition mit der FPÖ unter anderem mit dem Satz »Genug ist genug« beendete. Das sind drei Wörter, die zunächst mal eine platte Wahrheit ausdrücken, so etwa: Dienst ist Dienst, Geschäft ist Geschäft, ja, was denn sonst? (Und Schnaps ist eben Schnaps, auf Ibiza und anderswo.)
Natürlich ist genug genug, was soll es denn sonst sein? Genug kann nicht rot sein oder kariert, und es gibt auch keinen Sinn zu sagen: Genug ist Betrug oder Genug ist Bummelzug, nur, weil es sich reimt, nicht wahr?
Allerdings muss man den Satz nur mal in sein Gegenteil verkehren, schon ergeben sich interessante Assoziationen. »Genug ist nicht genug«, so könnte vielleicht der Chef einer Drückertruppe seine Chargen anbellen, wenn die abends der Ansicht sind, sie hätten nun genug Rentner an deren Haustüren über die Ohren gehauen. Es würde auch aus dem Mund eines überehrgeizigen Fußballtrainers plausibel klingen, dessen Spieler finden, sie hätten nach fünf Stunden Medizinballschleppen genug trainiert. Und natürlich kennen viele von uns Konstantin Weckers zu Recht berühmtes und ganz großartiges Lied, das uns in den Siebzigerjahren unter die Haut fuhr:
»Irgendwo da draußen pulst es,
und ich hab’ es satt, ein Abziehbild zu sein.«
Und dann:
»Genug ist nicht genug,
ich lass mich nicht belügen.
Schon Schweigen ist Betrug,
genug kann nie genügen.«
Die Rede ist da in jedem der Fälle von der Gier: nach Geld, nach Erfolg, nach Leben. Ist es nicht interessant, in diesem Zusammenhang die Zeile zu lesen: »Doch mein Ego ist mir heilig«? Nein, das ist nicht vom Drückertruppen-Chef und nicht vom Fußballcoach, sondern von Wecker, den die Gier auch persönlich auf den einen oder anderen Abweg geführt hat. Er würde den Satz heute nicht mehr schreiben, hat er vor zwei Jahren gesagt, er sieht sich als linken Utopisten, und für einen solchen ist das Ego nun mal, jedenfalls politisch gesehen, nix Gutes.
Aber damals! Damals war es die Sehnsucht, die ihm die Feder führte: sich das Leben nicht stehlen zu lassen von den Satten und Dienstbeflissenen, und man kann wohl sagen: Wer diese Sehnsucht in den Siebzigern nicht spürte, der hat sie nicht erlebt, also, die Siebziger, meine ich.
Wörter haben ihre Zeit. Empfindungen, die mit diesen Wörtern ausgedrückt werden, haben auch ihre Zeit. Genug ist genug, das klingt verblüffenderweise geradezu wie der Slogan unserer Jahre, in denen wir nun angesichts der Folgen endloser menschlicher Gier das große Zähneklappern bekommen. Es hat den Sound von Mahatma Gandhi: »Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.«
Bloß hat es der Kurz natürlich nicht so gemeint. Er hat halt anderthalb Jahre Regierungszeit mit der FPÖ gebraucht, um zu kapieren: Genug ist nicht nur genug, nein, es ist auch zu viel, was zu viel ist. Aber das soll eine Erkenntnis dieses Jahres sein, ein frisch erworbenes Wissen? Dass man sich mit solchen Leuten nicht in eine Regierung setzt, dass man astreinen Rechtsradikalen auch nicht das kleinste Ministerium geben darf, schon gar nicht das fürs Innere? Könnte man nicht seit hundert Jahren wissen, dass der Nationalismus die Welt in immer neues Elend geführt hat? Müsste einem nicht seit der Erschaffung der Menschheit klar sein, dass Großschnauzentum, Alkoholneigung und emotionale Unreife nichts Gutes bewirken können? Noch nie zu etwas Vernünftigem geführt haben?
Ich erlaube mir den Hinweis: Es gibt Geschichtsbücher.
Muss das denn immer neu gelernt werden?! Ja, muss es. Wir sehen es gerade wieder, leider nicht nur in Österreich. Genug ist genug? Wenn einem das im Mai 2019 dämmert, das ist: ungenügend.