Axel Hacke liest die Weihnachtsgeschichte

»Es geschah zu der Zeit, da Jens Spahn Gesundheitsminister in Berlin war« – wie Maria und Josef zu Corona-Zeiten Weihnachten erleben.

Illustration: Dirk Schmidt

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Regierung ausging, dass alle Menschen daheimbleiben sollten. Und ein solches Daheimbleiben hatte es noch nie gegeben, und es geschah zu der Zeit, da Jens Spahn Gesundheitsminister in Berlin war. Und jedermann blieb daheim, ein jeder in seiner Stadt.

So machte es auch Josef in der Stadt M., und er blieb daheim mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daheim waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte, und die beiden hatten sich aber zu einer Hausgeburt entschlossen, denn Josef war eine der ersten männlichen Hebammen in Deutschland, ein Entbindungspfleger, um genau zu sein. Aus diesem Grunde war das Paar der Ansicht, es sei in Zeiten, da jeder daheimbleiben solle, das Beste, wenn auch das Kind daheim zur Welt käme. Die Krankenhäuser waren ohnehin überfüllt.

Und Maria gebar ihren ersten Sohn, ganz komplikationsfrei, und wickelte ihn in Pampers, von denen sie zur richtigen Zeit einen gehörigen Vorrat gekauft hatte, und legte ihn in eine selbst geschreinerte Krippe; ursprünglich hatte Josef ja mal Zimmermann gelernt, er baute nun in seiner Freizeit Möbel für die Wohnung, in der nicht viel Platz war. Maria studierte noch Ingenieurwissenschaften, und so viel verdient man als Entbindungspfleger nicht, dass es für ein Eigenheim in Taufkirchen reichen würde, da mussten 45 Quadratmeter in Berg am Laim genügen.

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Und es waren aber Mitarbeiter des Ordnungsamtes in derselben ­Gegend auf der Straße, die achteten auf die Einhaltung der Corona-Regeln, und auf ihren Handy-Bildschirmen leuchtete es, denn Josef hatte die Nachricht von der Geburt des Sohnes auf Instagram verkündet, und Maria hatte getwittert und auf Facebook einen Soundclip gepostet, der klang, als hätten sich die himmlischen Heerscharen in der Wohnung versammelt, Ochs und Esel dazu. So hatten die Mitarbeiter des Ordnungsamtes zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Pampers gewickelt und in einer Krippe liegen.

So sprachen die Mitarbeiter: Lasst uns gehen (hier auf der Straße verhalten sich ja so weit alle korrekt) und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, und ob dort auch alles nach den aktuellen Hygiene-Vorschriften läuft. Und sie kamen eilend und pochten an die Tür des bescheidenen Heimes, und Josef öffnete die Tür und antwortete mit seiner tiefen und nun auch noch durch eine Maske herabgedumpften Bassstimme, mit der er viele Hochschwangere beruhigt hatte:

»Wer klopfet an?»
»O zwei gar arme Ordnungsamtsmitarbeiter!«
»Was wollt ihr denn?«
»O wir wollten hier nur mal die Leute nachzählen und aus wie vielen Haushalten sie stammen.«
»O nein, nein, nein!«
»O lasset uns doch ein!«
»Es kann nicht sein!«
»Wir wollen dankbar sein.«
»Nein, nein, nein, es kann nicht sein. Da geht nur fort, ihr kommt nicht rein.«

Und so taten es die Abgesandten der Ordnungsbehörde. Sie gingen fort, denn hier schien so weit alles regelkonform zu laufen, und ­ehrlich gesagt: Es war sowieso Dienstschluss, da wollten sie auch nicht weiter stören, schon gar nicht ein Paar mit einem Baby.

Und während nun also Maria und das Neugeborene ruhten, ging Josef in die Küche und wärmte das vorbereitete Rehragout, denn zu besonderen Anlässen gab es doch ab und zu Fleischgerichte bei ihnen. Er nahm einen schönen Schluck Chianti und setzte sich zu Frau und Kind. Durchs Fenster fiel das Licht eines großen, hell leuchtenden Sterns auf den Buddha-Kopf von Butlers auf der Anrichte. ­Lächelnd erwiderte der Buddha den Gruß eines Engels, der durch die Scheiben nach dem Rechten sah.

Später klopfte es noch einmal an der Tür, das aber hörte das Paar nicht. So hinterließ der DHL-Bote nur einen Zettel, und Josef ­musste die Geschenke von Caspar, Melchior und Balthasar ein paar Tage später bei der Post abholen.