Entschuldigung, mir ist noch blümerant zumute, aber ich habe einen großen Teil dessen, was über die Essener Tafel geschrieben wurde, nachgelesen, und das war, nun …
Bisschen viel vielleicht.
Jedenfalls ist mir ein Begriff hängen geblieben. Jörg Sartor, Chef der erwähnten Tafel in Essen, hat ihn benutzt, als er über die vielen Leute redete, die ihm erzählen wollten, was er zu tun und zu lassen habe: Schlausprecher, ein schönes Wort für Besserwisser. Ich sollte jetzt anfügen, dass ich eine grundlegende Sympathie für Menschen habe, ohne deren Zupacken das Land auf der Stelle zusammenbrechen würde.
Sartor hat dreißig Jahre lang als Bergmann gearbeitet. Nun widmet er einen großen Teil seiner freien Zeit der Verteilung von Lebensmitteln an Bedürftige. Er könnte schwimmen gehen oder Filme gucken, Karten spielen oder daheim sein Tapetenmuster auswendig lernen, all diese Dinge, die Menschen wie ich tun, wenn sie frei haben. Stattdessen arbeitet Sartor unentgeltlich für andere, mit vielen Helfern. Bei dieser Arbeit hat er vor einer Weile, zusammen mit eben den Helfern, eine Entscheidung getroffen: fürs Erste keine Ausländer mehr neu zu seiner Tafel zuzulassen. Wobei man nicht vergessen sollte, dass zum Zeitpunkt des Entscheids 75 Prozent der Tafel-Kunden nicht aus Deutschland stammten. (Weswegen es schon mal ein Tiefpunkt in der Welt der aktuellen Dämlichkeiten ist, Sartor einen Nazi, Rassisten oder auch nur Ausländerfeind zu nennen.) Man könnte also sagen: Sartor weiß, wovon er redet, und er wird Gründe gehabt haben.
Solche Entschlüsse kann man aber heutzutage nicht mehr fassen, ohne dass man jede Menge Schlausprecher am Hals hat, die genau wissen, wie man eine Tafel in Essen organisieren muss, obwohl sie nie in Essen waren und möglicherweise auch nie eine Tafel organisiert haben, jedenfalls nicht in Essen. Wenn man dann noch, wie Sartor, zusätzlich zum großen Herzen über eine nicht minder große Klappe verfügt, nicht jeden Tag vor der Weltpresse redet und deshalb nicht bedenkt, dass man für eine Äußerung wie die, unter Syrern und Russlanddeutschen gebe es ein »Nehmer-Gen«, in Teufels Küche kommen kann, weil es tatsächlich pauschalisiert-abwertend klingt, dann haben einen rasch alle möglichen Schlausprecher am Wickel, von der Staatssekretärin über den SPD-Gesundheitsexperten und eine Ministerin bis hin zur Kanzlerin. (»Manchmal rutscht mir ein Satz raus, wo ich hinterher denke: ups, zack«, hat er dazu später gesagt, da müsse man nicht gleich eine Nazi-Sache draus machen. Aber da waren viele schon mit was anderem beschäftigt.)
Von jenen Sachverständigen nicht zu reden, die den ganzen Tag vor ihrem Computer lungern, um jede Gelegenheit zu nutzen, Andersdenkende mit Verwünschungen zu bedenken, statt sich selbst um die Probleme draußen vor der Tür zu kümmern oder wenigstens um die eigenen.
Und jene Rundumkommentatoren wollen wir nicht vergessen, die heute die Jerusalem-Frage so kundig zu behandeln wissen, wie sie es gestern mit der Dieselproblematik taten: Die schreiben, an den Tafeln gehe es halt um die Folgen des Komplettversagens unseres Sozialstaates. (Darunter macht es der Schlausprecher ja nicht.)
Sartor sagt, über Staatsversagen könne man nicht sprechen. Denn von der Grundsicherung in Deutschland könne einer leben, vielleicht nicht gut, aber er komme zurecht. Deswegen heiße sie ja auch Grundversorgung und nicht Vollversorgung; mancher arbeitende Mensch habe nicht mehr Geld als ein Sozialhilfeempfänger.
Niemand muss hierzulande verhungern – ist das so wenig? Ist es zu wenig in einem reichen Land? Ich weiß es nicht. Ich wollte nur sagen, dass ich es nicht mag, wenn in Zeiten wie diesen Schlausprecher dumm daherreden über jene, die einfach die Arbeit machen, während wir die Freizeit genießen, die sie auch haben könnten.