Gast-Chefredakteur

Auf den ersten Seiten von Zeitschriften und Zeitungen gibt es derzeit ein häufig wiederkehrendes Foto. Es zeigt den Chefredakteur des Blattes mit einem Prominenten, dem die Produktion der Ausgabe übertragen worden ist. Stets sind diese Bilder im Büro des Chefs aufgenommen: Bob Geldof mit Kai Diekmann von Bild, Heidi Klum mit Peter Lewandowski von Gala, Bono mit Graydon Carter von der amerikanischen Vanity Fair. Die immer gleiche Wahl der Location – das geräumige Chefetagen-Büro mit voll verglasten Wänden – soll demonstrieren, wie weit die Übergabe der Kompetenzen geht. Die berühmten Gast-Chefredakteure sind tatsächlich ins Allerheiligste eingelassen worden, in jenen Raum, der sonst von Vorzimmern, Sekretärinnen, dauerhaft geschlossenen Türen abgeschottet ist. Sie haben den Schreibtisch des Verantwortlichen ganz buchstäblich eingenommen und dürfen nun machen, was sie wollen.In England und in den USA ist die Figur des »guest editor« immer wieder einmal aufgetaucht, in Deutschland, bis auf ein, zwei bei der taz und bei Bild, so gut wie nie. Vor einigen Wochen nun haben innerhalb kurzer Zeit gleich drei Prominente journalistische Ambitionen in deutschen Blättern entwickelt: Geldof und Grönemeyer (bei der deutschen Vanity Fair), um vor dem G8-Gipfel auf das Leid in Afrika aufmerksam zu machen, Klum ohne konkretes politisches Anliegen; ihr ging es eher darum, noch einmal für die Gewinnerin der abgelaufenen Germany’s Next Topmodel-Staffel zu werben. Der Gast-Chefredakteur ist also in Deutschland gerade eine beliebte Position. Welche Gründe könnte die Konjunktur dieses Rollenwechsels haben?Wenn man die betreffenden Ausgaben auf Spuren der neu eingesetzten Redaktionsleitung untersucht, zeigt sich bei allen dasselbe Bild. Der Gast-Chefredakteur tritt im Innern des Heftes nicht als Akteur in Erscheinung, weder als Autor noch als sichtbar eingreifender Redakteur, sondern bleibt wie üblich reiner Gegenstand der Geschichten. In Bild, in Gala, in Vanity Fair besteht der Hauptteil der Arbeit für die Prominenten darin, dem Blatt ein ungewöhnlich ausführliches Interview zu geben. In der Gala-Ausgabe ist diese Vorgehensweise noch konsequenter weitergeführt: Die festen Rubriken der Zeitschrift, wie etwa die Fotoserie aus verschiede-nen Lebensabschnitten eines Prominenten, werden zum Großteil mit Heidi Klum bestritten. Eines ist also am Prinzip des Gast-Chefredakteurs sofort ersichtlich: Es handelt sich um eine – kaum verschleierte – Fiktion, um eine durch das Schreibtischfoto oder die Übernahme des Editorials (wie bei Grönemeyer in der deutschen Vanity Fair) symbolisierte Positionierung ohne jeden redaktionellen Niederschlag.Die Frage stellt sich daher, warum diese inhaltlich wirkungslose Maßnahme von den Verlagen getroffen wird? Über den bloßen Werbeeffekt, die Entstehung einer Ausgabe mit notorischem »Kultstatus« hinaus, ist vielleicht eines zu bedenken: Der aufwendigen Inthronisation eines Gast-Chefredakteurs geht es ja um die Demonstration einer Tendenz: der zunehmenden Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Medien und ihren Sujets. Eines der wichtigsten Themen in Prognosen über die Zukunft des Journalismus ist bekanntlich das Problem, wie man im Zeitalter des Internets, der für jeden verfügbaren Blogs und Diskussionsforen, die Leser von Zeitungen und Magazinen stärker in das Blatt einbeziehen kann. Printmedien dürfen sich nicht mehr als elitäre, undurchdringliche Sphäre präsentieren, so der Tenor dieser Debatten, wenn sie ihre Leser nicht endgültig an die frei zugänglichen Schreibmilieus des Internets verlieren wollen. Rubriken wie der »Leserreporter« in Bild oder Blogger-Wettbewerbe in Jugendzeitschriften sind Indizien für diese Entwicklung. Der berühmte, aber berufsferne Gast ist ein geeignetes Vehikel, um diese neue Durchlässigkeit der Medien in den Blick zu rücken. Auch wenn der Pop- oder Fernsehstar nichts anderes macht, als das von einem Redakteur unter seinem Namen geschriebene Editorial abzunicken, ist er ein weiteres, aufmerksam registriertes Element der redaktionellen Öffnung.>