Der Prozess der Globalisierung scheint auf der Ebene des Designs ein Prozess der Skandinavisierung zu sein. Je einheitlicher die Welt wird, desto schwedischer sieht sie aus. Betrachten wir unsere Kleidung, unsere Wohnungseinrichtung: H&M und Ikea finden sich mittlerweile an jedem Körper, in jedem Zimmer zwischen New York und Moskau, London und Riad. Wobei das Bemerkenswerte an diesen allgegenwärtigen Produkten vor allem eines ist: dass sie keinerlei Züge jenes Landes tragen, aus dem sie kommen. Was wäre das Schwedische an einer H&M-Jacke, an einem Klippan-Sofa? Der Siegeszug beider Unternehmen verdankt sich offenbar der Kombination zweier Faktoren: der Absenz regionaler Eigenheiten bei optimaler Vereinbarkeit mit allen anderen Regionen. Dieses Land hat kaum Lokal-, aber ein Übermaß an Globalkolorit.Dass Schweden in ästhetischem Sinne keine Nation, sondern eher eine Verdichtung der Welt im Ganzen ist, bestätigt auch seine Popkultur. Bereits in den siebziger Jahren nahmen Abba – neben den Beatles die erfolgreichste Band aller Zeiten – eine ganz ähnliche Funktion ein wie heute H&M oder Ikea. Ihre Musik war so omnipräsent wie geografisch unbestimmbar. Lieferte der Sound jeder amerikanischen oder britischen Band einen Hinweis auf ihre Herkunft, gaben die Abba-Songs allenfalls zu verstehen, dass hier die verschiedensten Bestandteile auf vollendete Weise zusammengefügt waren. Und genau darin besteht das Erfolgsprinzip schwedischer Erzeugnisse: in einem Zweischritt, den man »kopieren und popularisieren« nennen könnte. Die Abba-Gründer Björn Ulvaeus und Benny Andersson sprechen freimütig davon, dass sie sich am Ende der sechziger Jahre in Ermangelung einer schwedischen Pop-Tradition bei amerikanischen Folksängern bedienten; die Designer von H&M werden Saison für Saison mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden allein von den Ideen der großen Designer profitieren: Epigonalität steht also vielleicht am Anfang der Ästhetik Schwedens – die Einflüsse werden jedoch so lange bearbeitet und für einen größeren Markt zugänglich gemacht, dass kein klares Vorbild mehr zu erkennen ist. Der aggressive Expansionsdrang schwedischer Unternehmen – »Wir schauen immer, welche Länder wir noch erobern können«, sagte der langjährige H&M-Chef Stefan Persson kürzlich – steht in merkwürdigem Kontrast zur politischen Tradition des Landes. Die Zurückhaltung Schwedens ist sprichwörtlich. Seit 1814 hat das Land keinen Krieg mehr geführt; im Ersten und Zweiten Weltkrieg verhielt es sich weit gehend neutral und trat später auch nicht in die Nato ein. Dieser Politik entgegengesetzt ist jedoch in jüngerer Zeit eine Art Imperialismus der Kulturerzeugnisse, allerdings in diskreter Weise, die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nichts mit dem offensichtlicheren und stärker kritisierten der USA zu tun hat. Doch eine kleine Zeitungsmeldung wie die vor zwei Wochen, dass Ikea-Gründer Ingvar Kamprad Bill Gates als reichsten Mann der Welt abgelöst hat, kündet von dem anhaltenden Erfolg dieses Unterfangens.Wenn man sich fragt, warum ausgerechnet ein kleines Land wie Schweden zum Fabrikanten des Weltgeschmacks geworden ist, muss man noch einmal auf seine politische Geschichte zurückkommen. Schweden markiert auf der Karte der Ideologien und Auseinandersetzungen seit langer Zeit eine leere Stelle; seine fortgesetzte Passivität hat das Land auch im Bereich des Ästhetischen und Kulturellen im Lauf der Zeit mehr und mehr neutralisiert. Doch genau aus diesem Grund – weil Schweden nicht »gefüllt« war mit Bedeutungen, Codes und Weltanschauungen – hatte es die besten Voraussetzungen, mit seinen Erzeugnissen globale Bedeutung zu erlangen. Länder mit aktiverer Kulturgeschichte wären dazu nicht in der Lage gewesen. Der weiße Fleck Schweden dagegen kann Dinge herstellen, die keinerlei nationale Codierung tragen. Abba-Songs, Ikea-Möbel und H&M-Kleidungsstücke sind eine Art ästhetisches Esperanto: Zeichen, die jeder verstehen kann, aber niemand überliefert bekommen hat.