Die Erschütterungen, die der Hurrikan Katrina in den USA hervorgerufen hat, werden vielleicht weniger in den Fernsehbildern von zerstörten Häusern und überfluteten Straßen im Gedächtnis bleiben: Solche Bilder haben auch Katastrophen geringeren Ausmaßes mit sich gebracht. Eher wirken sie fort in jenen Aufnahmen aus den Football-Stadien von New Orleans und Houston, die zu Sammelunterkünften umfunktioniert worden sind. Im Superdome, in dem an diesem Sonntag das erste Saisonheimspiel der New Orleans Saints hätte ausgetragen werden sollen, waren offenbar bis zu 60000 Menschen zusammengepfercht; im ausrangierten Astrodome und dem benachbarten, erst vor wenigen Jahren eröffneten Reliant Stadium in Houston wird eine ähnlich große Anzahl vorerst bis Jahresende untergebracht.Woran liegt es, dass die Bilder aus dem Innern dieser Hallen weiterhin eine solche Irritation hervorrufen; dass sie deutlicher als alles andere abzubilden scheinen, wie massiv die politische und symbolische Ordnung der USA aus den Fugen geraten ist? Zunächst ist die Umwandlung der größten Sportarenen zu beständigen Aufenthaltsorten mit der Verletzung ihrer Aura als unantastbare, nur für die Dauer des Spiels zugängliche Sphäre verbunden. Hans Ulrich Gumbrecht hat kürzlich in seinem Buch Lob des Sports von der »demonstrativen Geschlossenheit und Funktionslosigkeit« der Stadienkolosse zu einem Großteil der Zeit gesprochen, die das Ereignis am Spieltag umso stärker aufleuchten lassen. Im Football wird diese Inbesitznahme des Ortes durch die Mannschaften als ausgedehntes Ritual namens »taking the field« am Anfang der Partie inszeniert. Die Hallen, mit ihrer mächtigen Kuppel (»dome«) ohnehin als sakraler Raum gestaltet, sparen sich auf für den Feiertag des Spiels und es ist ein Zeichen des fundamentalen Ausnahmezustands, wenn dem nicht so ist. Über diese Profanierung der in den USA beinahe heiligen Orte hi-naus (das Super Bowl-Finale, bislang sechsmal im Superdome ausgetragen, ist vermutlich das wichtigste Kollektivereignis des Landes) verstört aber noch etwas anderes an den Aufnahmen. Es geht um die Kollision zweier Bilder von Menschenmengen, die zwar demselben Ort entstammen, aber unterschiedlicher nicht sein könnten. In voll besetzten Stadien ist gewöhnlich ein dichtes, zu einer Einheit verschmolzenes Publikum zu sehen, so homogen, dass es etwa im Fußball gern als »zwölfter Mann« bezeichnet wird. Die ersten Bilder aus New Orleans zeigten ebenso voll besetzte Ränge, aber wie zerfasert erschien diese Masse auf den Schalensitzen, durchbrochen von unzähligen Plastiktüten mit dem geretteten Hab und Gut. Außerdem waren die Blicke der Menschen nicht auf ein Ziel gerichtet: Wo im Stadion gewöhnlich alle auf dasselbe ausgeleuchtete Viereck des Rasens oder der Bühne schauen, wiesen die Augen der Flüchtlinge in die unterschiedlichsten Richtungen.Gerade an einem Ort, der wie kein zweiter auf die stimmige Choreografie der Menge abzielt – mit der Kanalisierung der Besucher in Fanblocks, mit der Übereinstimmung der Bekleidung und der Schlachtrufe –, wurde das zeitweise Kollabieren jeder Ordnung offenbar. Wobei sich die Konzentration gerade der ärmsten und vorwiegend schwarzen Flüchtlinge im Football-Stadion natürlich in eine befremdliche historische Tradition einreiht. Die Umfunktionierung von Sportstadien kann im 20. Jahrhundert als untrügliches Indiz für den politischen Ausnahmezustand eines Landes gewertet werden: Davon zeugen das Pariser Velodrom d’Hiver, in dem die Vichy-Behörden die Juden vor der Übergabe an die Deutschen sammelten, genauso wie die Fußballstadien in Santiago de Chile 1973 oder in Kabul zu Zeiten des Taliban-Regimes. Im Nachhinein wird die Zusammenballung im Superdome und Astrodome als einzig mögliche Unterbringung der mittellosen Bevölkerung von New Orleans dargestellt. Zumindest die Bilder aus dem massiv beschädigten Stadion von New Orleans lassen aber die Frage offen, ob es sich nicht genauso gut um eine Internierungs- wie um eine Hilfsmaßnahme gehandelt haben könnte.