Supermärkte haben einen Nachteil: Wenn man Zeit hat hinzugehen, haben alle anderen auch gerade Zeit. Und sich auf engstem Raum um Nahrung balgen zu müssen fördert archaische Verhaltensmuster zutage, die man längst überwunden wähnte. Wer die Kultur für einen dünnen Firnis hält, welcher das Beuteverhalten unserer Keulen schwingenden Vorfahren nur mühsam bedeckt, findet sich hier bestätigt.Die Fähigkeit, eine herannahende Kassiererin bereits aus den Augenwinkeln zu erkennen, führt beim durchschnittlichen Wartenden zu nervösem Fußscharren; seinen Vorfahren war diese Anspannung sicherlich beim Finden und Erlegen großer Beutetiere von Nutzen. Der starre Blick, mit dem der Wettlauf einsetzt, sobald sich die erspähte Kassenkraft kurz vor dem Ziel befindet, galt früher dem gerade erlegten Tapir; diese gesteigerte Aufmerksamkeit sollte sicherstellen, dass kein Säbelzahntiger ihn in letzter Sekunde davonschleppte. Und schließlich das kurze Augenaufblitzen in Richtung auf die Zurückgebliebenen, wenn die eigenen Waren als Erste das Band berühren – ganz offensichtlich kann nur schier übermenschliche Anstrengung das Bedürfnis unterdrücken, den Triumph mit einem Urschrei und lautem Brusttrommeln zu feiern. Liebe Supermarktkunden, seit ein paar Millionen Generationen kreisen keine Flugsau-rier mehr über den Wartenden, man muss sich nicht möglichst schnell in Sicherheit bringen. Die portionierte und folienverpackte Beute reicht für alle. Der persönliche Vorteil ist nicht mehr überlebensentscheidend; das Prinzip »Survival of the Fastest« hat seine Berechtigung verloren. Auch nur halbwegs zivilisierte Menschen verständigen sich deshalb in so einer Situation kurz und lassen den vor, der am längsten wartet.
Die Gewissensfrage
»Im Supermarkt sind nur wenige Kassen besetzt, deswegen bilden sich lange Schlangen. Schließlich kommt eine weitere Kassiererin. Nun stürzen sich oft die Kunden, die zuletzt gekommen sind, an die neu eröffnete Kasse, um dort die Ersten zu sein. Ich fühle mich oft als die Dumme, wenn ich sehe, dass Kunden, die hinter mir gewartet hatten, nun vor mir das Geschäft verlassen. Wie sehen Sie dieses kleine Problem?« CAROLIN M., FÜRTH