Bei Ihrer Frage musste ich an die Mini Playback Show denken. Bei dieser TV-Sendung traten Kinder, als Schlagerinterpreten verkleidet, zu Playbackmusik auf. Die Sendung war in den Neunzigern ein Quotenhit und heftig umstritten, hauptsächlich wegen der Sexualisierung der Kinder, die so freizügig wie die Originale kostümiert wurden.
Daneben gab es aber auch einen weiteren Kritikpunkt: Obwohl es den Kindern sichtlich Spaß machte, sich zu verkleiden und aufzutreten, würden sie im Endeffekt instrumentalisiert; die Programmmacher benutzten sie als Mittel zur Quote und die Eltern wollten sie auf der Mattscheibe sehen. Und hier sehe ich die Parallele: Natürlich bereitet es Kindern Freude, Flugblätter zu verteilen oder gar mit Transparenten durch die Straßen zu ziehen. Wenn sie aber nicht wissen, wofür genau sie demonstrieren, oder die Bedeutung nicht verstehen, macht man sie zum »Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen«, wie Kant formuliert.
Wahrscheinlich würde die Behauptung genügen, dann könne man ihnen einen Spielkameraden kaufen, um Mädchen und Jungen freiwillig und mit voller Überzeugung für die Legalisierung des Kinderhandels vor dem Justizministerium aufmarschieren zu lassen.
Nun liegt es hier tatsächlich auch im Interesse der Kinder, die Straße nicht zu öffnen; zudem haben Untersuchungen gezeigt, dass es die Moralentwicklung von Kindern und Jugendlichen fördert, wenn sie früh an demokratischen Prozessen teilnehmen.
Man muss also abwägen oder eine Abgrenzung finden. Die würde ich dort ansiedeln, wo die beteiligten Kinder das Thema so weit verstehen, dass sie eine eigene, autonome Entscheidung treffen können, ob sie sich engagieren wollen oder nicht; teilnehmen eben und nicht nur mitlaufen. Solange sie das noch nicht können, dienen sie in erster Linie als lebende Transparente.
Illustration: Jens Bonnke