Die Gewissensfrage

"Ich bin im Moment etwas knapp bei Kasse, deswegen kaufe ich die billigsten Hosen und Blusen, die ich bekommen kann. Obwohl ich weiß, dass diese Sachen wahrscheinlich von Menschen hergestellt werden, die unter furchtbaren Bedingungen arbeiten müssen: Zwölfstundentage, Strafüberstunden und Ähnliches. Mache ich also gemeinsame Sache mit ihren Ausbeutern? Oder trage ich dazu bei, dass diese Menschen wenigstens ein bescheidenes Auskommen haben?" Diane O., Göttingen

Das Schwierige an Ihrer Frage ist, dass sie auf drei Ebenen spielt. Die erste betrifft ein allgemeines Problem der Globalisierung: Helfen wir den Menschen in ärmeren Ländern, indem wir ihnen Waren abkaufen, oder nutzen wir sie aus? In der Tat wäre es bedenklich, aus humanitären Erwägungen nichts mehr aus Gegenden zu kaufen, in denen es den Menschen schlecht geht.

Nur liegt hier ein Denkfehler: Die Alternative ist nicht, nichts mehr von dort zu erwerben, sondern Produkte, die an diesen Orten unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt wurden. Mit der zusätzlichen Anforderung, dass auch die Rohstoffe umweltgerecht produziert wurden und lange Transportwege das nicht wieder zunichtemachen. Hier wird es langsam kompliziert, denn auf der zweiten Ebene muss man feststellen, dass auch bei Mode ein höherer Preis nicht automatisch mit einer besseren Ökobilanz oder sozialeren Arbeitsbedingungen verknüpft ist. Andererseits braucht es keinen Rechenkünstler, um zu ahnen, wie wenig bei einem T-Shirt, das zwei oder drei Euro kostet, für die Näherinnen bleibt. Eine Gewähr bietet eigentlich nur Kleidung mit einem entsprechenden Zertifikat, was einen gewissen Rechercheaufwand bedeutet – und die Wahlmöglichkeiten stark einschränkt.

Damit wäre man bei der dritten Ebene: Die Modesoziologie unterscheidet bei Kleidung zwischen instrumentellen Funktionen, etwa Wärmeschutz und Bedeckung des Körpers, und sozialpsychologischen, wie Individualität, symbolhaftem Selbstausdruck oder sozialer Anlehnung. Während man Erstere mit politisch korrekter Kleidung problemlos erfüllen kann, wird es bei Letzteren wegen der geringeren Auswahl schwierig. Die Forderung, nur mehr ethisch korrekt zu kaufen, fällt deshalb bei Mode schwerer als etwa bei Biolebensmitteln. Dennoch darf der Preis allein kein Grund sein, sich seiner Verantwortung als Verbraucher zu entziehen.

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Quellen / Literatur:

Dirk Fischer/Christiane Wöhler, Mode, Design, Funktion und Ökologie, in: Ulf Schrader/Ursula Hansen (Hrsg.) Nachhaltiger Konsum, Forschung und Praxis im Dialog, Campus Verlag Frankfurt/Main 2001 S. 335-345

Jason Cox/Helga Dittmar, The Functions of Clothes and Clothing (Dis)Satisfaction: A Gender Analysis Among British Students, in: Jounral of Consumer Policy, Vol. 18, 1995, S. 237 -265

Friedemann W. Nerdinger/Lutz v. Rosenstiel, Psychologie der Mode, in: Arnold Hermanns/Wolfgang Schmitt/Urban Kilian Wißmeier (Hrsg.) Handbuch Mode-Marketing, Band 1, 2. Aufl. Frankfurt/Main 1999, S. 97-115

Sigrid Baringhorst/Veronika Kneip/Annegret März/Johanna Niesyto (Hrsg.) Politik mit dem Einkaufswagen, transcript Verlag, Bielefeld 2007

www.saubere-kleidung.de

www.nosweatapparel.de
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Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Straße 8, 81677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.

Illustration: Marc Herold