Die Zentrale der Firma Recompose in Kent südlich von Seattle, Washington, wirkt von außen wie eine gewöhnliche Lagerhalle, aber innen wie eine futuristische Kunstinstallation – dank einer glänzend weißen Stahlwand mit wabenartigen Buchten. »Wie ein Raumschiff, aber gleichzeitig wie ein Waldboden«, so beschreibt Gründerin Katrina Spade ihre ungewöhnliche Erfinding. Das Greenhouse, wie Spade diesen Betrieb nennt, ist das Herzstück der »Bestattungsrevolution«, die Spade ausgerufen hat. Sie hat darin seit Anfang Januar diesen Jahres bereits mehr als 100 Tote kompostiert, als erste Bestatterin in den Vereinigten Staaten.
Wegen Covid ist das Greenhouse derzeit nicht für Besucher geöffnet, aber in einem Video zeigt Spade zusammen mit der Bestsellerautorin und Bestatterin Caitlin Doughty, wie die Idee funktioniert. Doughty legt sich auf ein Bett aus Holzchips, damit Spade demonstrieren kann, wie sie die Kompostierung vorbereitet. Sie breitet ein leichtes Baumwolltuch über Doughtys Körper und sprenkelt dann Stroh, Alfalfa und Holzchips darüber. Wäre das keine Demo für ein Video, wäre der nächste Schritt, Doughtys Körper in einen der sechzehn zweieinhalb Meter langen Metallzylinder in der Stahlwand zu schieben, wo Bakterien den Körper innerhalb eines Monats so zersetzen, dass nur zwei Schubkarren voll Humus überbleiben.
Die natürlich vorhandenen Mikroben auf unserer Haut, in unserem Körper und dem Pflanzenmaterial reichen zur Kompostierung. Sie generieren genügend Wärme, über 60 Grad Celsius, um Viren wie Corona und andere Pathogene abzutöten. Das einzige, was Spade im Greenhouse zusätzlich von außen zuführt, ist Sauerstoff. Die Zylinder drehen sich mit ihrem Inhalt langsam um sich selbst, damit der Sauerstoff alle Körperteile erreicht. Sogar die Knochen verwesen innerhalb von vier Wochen. Anschließend trocknet die Erde einen weiteren Monat lang in einem Spezialbehälter, und dort werden auch Fremdkörper, etwa künstliche Hüftgelenke, von Hand aussortiert.
Man kann diese neuartige Bestattungsmethode umgangssprachlich Kompostieren nennen, aber der Fachbegriff lautet »natürliche organische Reduktion« (NOR). Sowohl Spade als auch Doughty sind Teil der »Death Positive«-Bewegung, die das Ziel hat, den Tod als natürlichen Teil des Lebens zu betrachten. Spade hat dazu das gemeinnützige »Urban Death Project« gegründet und Doughty »The Order of the Good Death« in Los Angeles, eine Gemeinschaft von Bestattungsunternehmern, Professoren und Künstlern, die nach eigenem Bekunden »neue Wege erfoschen, um unsere Gesellschaft mit ihrer Todesphobie auf ihre unvermeidliche Sterblichkeit vorzubereiten.« Beide entsprechen mit ihrer quirligen, humorvollen und lebenslustigen Art so gar nicht dem Klischee vom ernsten Bestatter im schwarzen Anzug, aber dem Tod zollen sie durchaus Respekt, nur auf eine ungewohnt fröhliche Weise.
Spade ist eigentlich Architektin, aber als sie ihre beiden Kinder beim Spielen beobachtete, ging ihr auf einmal die Frage durch den Kopf: »Was würden meine nächsten Angehörigen wohl nach meinem Tod mit meinem Körper machen?« Spade, eine lebhafte, drahtige Frau mit blauen Augen und kurzen braunen Haaren mit Undercut, wuchs »in einer Arztfamilie auf, und es war recht normal, beim Abendessen über den Tod und das Sterben zu sprechen«, erzählt sie in ihrem TED talk. Auch sie nahm ursprünglich an, Feuerbestattung sei eine nachhaltige Bestattungsform. Dann fand sie heraus, »dass Feuerbestattungen in den USA gigantische 600 Millionen Pfund Kohlendioxid in die Atmosphäre schicken. Die grässliche Wahrheit ist, dass wir mit unserer allerletzten Handlung auf Erden genau das tun, was die meisten von uns am wenigsten wollen: diesen Planeten vergiften.« Während Spade nach Alternativen suchte, bekam sie einen Anruf von einer Freundin mit der Info, dass amerikanische Landwirte verstorbene Tiere seit Jahrzehnten kompostieren, »und mir ging ein Licht auf.«
In Deutschland herrscht bekanntlich Friedhofspflicht. Anders als in Amerika darf man hier nicht einmal die Asche eines Verstorbenen mit nach Hause nehmen. Mit diesen strengen Regeln sind allerdings immer mehr Deutsche unzufrieden. Seit private Anbieter die Baumbestattung eingeführt haben, steigt die Nachfrage nach Naturbestattungen kontinuierlich.
In den USA setzt die Bestattungsindustrie unglaubliche 20 Milliarden Dollar im Jahr um, mehr als etwa die gesamte Musikindustrie auf der ganzen Welt. In Deutschland wie in Amerika wählen inzwischen mehr als die Hälfte der Menschen die Feuerbestattung. Dabei werden allerdings fossile Brennstoffe verfeuert und Kohlendioxid wird freigesetzt. Auch die zweithäufigste Bestattungsart, die Beerdigung, ist vor allem in Amerika ziemlich giftig, denn wegen der häufig praktizierten Aufbahrung im offenen Sarg werden dort die meisten Leichen einbalsamiert. Klingt harmlos, dabei wird den Toten dort Formaldehyd in die Venen gespritzt. »Wir begraben jedes Jahr soviel Metall in amerikanischen Friedhöfen, dass wir davon eine Golden-Gate-Brücke bauen könnten, genug Holz für den Bau von 1800 Einfamilienhäusern und soviel Formaldehyd-Lösung, dass sie acht olympische Schwimmbecken füllen könnte«, so fasst Spade ihre Recherchen zusammen.
Aber vielleicht noch wichtiger als der ökologische Aspekt ist Spade der Wunsch, »unsere natürliche Verbindung mit dem natürlichen Lebenskreislauf zu stärken. Es kommt mir vor, als hätten wir mit unserer Todesverleugnung einen Status Quo geschaffen und akzeptiert, der soviel Distanz wie nur irgendwie möglich zwischen uns und der Natur herstellt. Unsere Bestattungspraktiken sind darauf angelegt, den natürlichen Prozess, der nach dem Tod passiert, hinauszuzögern«.
Das grünste Begräbnis wäre, Tote einfach in einem Leintuch oder einer biologisch abbaubaren Hülle zu vergraben und auf natürlichem Weg verwesen zu lassen. So haben es viele Kulturen über Jahrtausende praktiziert. Aber dem steht nicht nur die Rechtsprechung im Weg, das ist wegen Platzmangels auch praktisch vor allem für Stadtbewohner kaum möglich: Land ist knapp, und selbst die wenigen Baumbestattungsorte, die es inzwischen auch in Deutschland gibt, sind schwer zu finden. »In manchen Städten kriegt man keinen Platz, egal wieviel Geld man hat«, weiß Spade.
Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, was mit Ihrem Körper nach Ihrem Tod geschehen soll?
Washington erlaubte 2020 als erster US-Staat das Kompostieren von Verstorbenen; Oregon und Colorado folgten. Aktivisten waren sich sicher, dass auch Hawaii und Kalifornien die neue Bestattungsform erlauben würden, aber herkömmliche Bestatter und die katholische Kirche, die NOR für pietätlos hält, protestierten. Die katholische Kirche spricht sich auch gegen das Verstreuen von Asche aus.
Das Greenhouse ist, so beteuern zumindest die Betreiber, erstaunlich geruchlos. »Es riecht erdig, wie in einem Garten«, sagt Anna Swenson, eine Mitarbeiterin von Recompose. Das liegt nicht nur am ausgeklügelten Filtersystem. »Die Wahrheit ist, dass die Natur wirklich sehr, sehr gut darin ist, Tod zu bewältigen«, sagt Spade. »Das haben wir doch alle schon gesehen. Wenn organisches Material in der Natur stirbt, wird es von Mikroben und Bakterien in nährstoffhaltige Erde zersetzt. Damit schließt sich der Lebenszyklus. In der Natur schafft der Tod neues Leben.« Nach Angaben von Recompose spart das Kompostieren pro Person etwa eine metrische Tonne CO2.
Die Nachfrage für die neue Bestattungsalternative scheint sehr groß zu sein. Seit Spade das Greenhouse im Dezember 2020 eröffnete, ist es ausgebucht. Zu den Kunden zählen ungewöhnlich viele Ärzte, Künstler und Menschen, die die Natur lieben. Der Bauer Amigo Bob Cantisano zum Beispiel war ein Pionier der Biolandwirtschaft und legte sich mit der »Pestizid-Mafia« an. Vor seinem Krebstod befragte er Katrina Spade ausführlich, wie gut sie über das Kompostieren Bescheid wusste, und sie bestand den Test.
Wegen der Pandemie musste Spade ihre ursprüngliche Vision einer großen, lichtdurchfüllten Trauerstätte, in der Familien ihre Verstorbenen liebevoll in den Kompost verabschieden, verschieben. Aber wegen der großen Nachfrage eröffnet sie bald ein größeres Greenhouse mit 50 Plätzen nahe Seattle und nächstes Jahr eins in Colorado. Der Preis von 5500 Dollar, etwa 5000 Euro, beinhaltet den Transport aus umliegenden Gemeinden und ist billiger als die durchschnittliche konventionelle Bestattung.
Der Kompost wird auf Coli-Bakterien, Blei, Quecksilber und ähnliche Stoffe getestet, bevor er in Gärten oder Parks ausgestreut werden darf. Selbst wenn ein Mensch vielleicht wegen einer Chemotherapie voll Chemie steckte, werden die meisten Schadstoffe durch den Kompostierprozess neutralisiert. Lynne Carpenter-Boggs, Humus-Spezialistin an der Washington State University, begleitet Recompose wissenschaftlich und bescheinigt, dass die Erde »sauber, nährstoffhaltig und geruchlos« ist, und »alle Richtlinien erfüllt, was Pathogene und Verunreinigungen betrifft.«
Viele Familien nehmen eine Handvoll Erde in einem speziellen Behälter mit nach Hause und legen damit vielleicht eine besondere Ecke im Garten an. Aber bei einer Bauernfamilie mit viel Land wie den Cantisanos fuhr Amigo Bobs Ehefrau Jenifer mit einem Kleinlaster vor und brachte die gesamtee Lastwagenladung mit nach Hause, um darauf Bäume zu pflanzen. Viele Familien spenden die Erde aber auch an das Remember Land, ein Wiederaufforstungsprojekt auf indigenem Land im südwestlichen Washington.
Selbst Spade dachte übrigens, »menschlicher Kompost sei der beste Kompost«. Aber Carpenter-Boggs sagte ihr die Wahrheit: »Es ist guter Kompost, aber es ist nur Kompost. Da ist nichts Besonderes an diesem organischen Material, nur weil es von Menschen stammt.« Vielleicht macht Recompose damit genau das, wovor sich die meisten fürchten: Es erinnert uns daran, dass wir am Ende auch nur Erde sind.