Die Geburt kam schnell, sehr schnell. Mit einer Hand am Bauch mit der anderen ihr Smartphone umklammernd, stolperte die junge Frau in unser Krankenhaus. Die Strähnen hingen ihr ins Gesicht, sie war keine 25. Eine Hand auf die Liege gestützt, versuchte sie panisch ihren Freund zu erreichen. Es war drei Uhr nachts.
Er habe einfach weitergeschlafen, als sie ihm sagte, dass es jetzt wohl losgehe, keuchte sie schmerzverzerrt. Tief und fest. Sie habe ihn nicht wecken wollen. Ich nickte verständnisvoll. Aber ich nahm es mir selber nicht ab.
Irgendwann habe sie beschlossen, dann doch ins Krankenhaus zu gehen, notfalls alleine. Eine gute Entscheidung, denn lang würde das hier nicht mehr dauern: Der Muttermund war schon acht Zentimeter geöffnet, das Köpfchen tief im Becken, als wir schließlich im Kreißsaal ankamen.
Ihr Handy drückte sie an die Brust, als wäre es ein Stück Treibgut in tosender See. Dann hielt sie es mit dem Mikrofon in Richtung Mund und sprach eine Audio-Nachricht ein »Schatz, wenn du das hörst, das ist kein Fehlalarm, es geht jetzt echt los, komm vorbei...« Ich hörte nach den Herztönen, die auf dem Display des CTGs aufleuchteten, sie schrieb eine Whatsapp. Ich brachte ihr etwas zu trinken, sie tippte wieder eine Nachricht. Die Wehenpausen, die viele Frauen herbeisehnen, um kurz Kraft zu sammeln, nutzte sie, um weitere Updates in die Daten-Einbahnstraße zu ihrem Freund zu schicken.
Manche meinen, nichts hätte Geburten so verändert wie der Wunsch-Kaiserschnitt oder die PDA. Ich finde: Smartphones kommen auf Platz 3. Und im Falle der jungen Frau war das ja sogar verständlich. Während sie tapfer Wehe um Wehe verarbeitete, schlief ihr Typ seelenruhig zuhause.
Sonst sind es oft die Väter, die im Kreißsaal ihr Handy nicht aus der Hand legen. Vor allem wenn die Wartezeit vorbei und das Baby geboren ist: So viele von ihnen sehen ihr Kind erstmal durchs Display. Obwohl sie nur einen Meter von ihm entfernt sind! Ich stehe dann oft ungläubig daneben: Da werden Dutzende Bilder und Videos gemacht, bevor die Väter überhaupt erstmal ihr Baby anfassen. Oder zumindest genau betrachten – ohne Display dazwischen. Vielleicht ist das Festhalten an der Technik auch ein Schutz davor, überwältigt zu werden, denke ich immer. Eine Antwort auf die Frage: Wohin mit den Händen und vor allem den Gefühlen.
Doch das soll keine Handyschelte an die Väter werden: Das Handykabel ist die Nabelschnur aller werdenden Eltern. Nicht auszudenken, wenn jetzt der Akku leer würde! Ein Gerät – das von Vater oder Mutter – hängt im Kreißssaal eigentlich immer aus der Steckdose. Wir geben den Frauen ja vorher eine Liste, was sie zur Geburt ins Krankenhaus mitbringen sollen. Ladekabel steht weit oben. Es ist unsere Form der Drama-Prävention.
Apropos Drama: Immer öfter werden jetzt auch Filme gemacht. Die Geburtshelfer, also die Ärzte, wir Hebammen und Pflegekräfte, werden dann automatisch zum Cast dieses großen Abenteuerepos, das im Kreißsaal gedreht wird. Nur dass sich die Regisseure am Set oft manchmal absichtlich sehr unauffällig verhalten. Einmal hat mich ein werdender Vater heimlich gefilmt, wie ich gerade ein Fachgespräch mit einer Kollegin führte. Es kam mir vor, wie eine schlechte Investigativreportage bei RTL II. Als wollte er alles dokumentieren für den Fall, dass doch etwas schief läuft und er Beweise sammelt. Ob er das bei seinem Steuerberater auch macht? Als würde auf uns, die da arbeiten, nicht schon genug Druck lasten.
Aber die moderne Technik kann auch Vorteile haben. Bei der letzen EM kam es zu einer Geburt während eines wichtigen Deutschlandspiels. Die werdende Mutter war ganz aufgelöst, weil wir »alle« jetzt »ihretwegen« das Spiel nicht schauen könnten. Der Mann fing dann mit ihrem Einverständnis an, das Spiel auf seinem Tablet zu streamen und ihr und mir hinzuhalten. Die Frau hat ihre Wehen dann im Angesicht von Basti Schweinsteiger und Manu Neuer veratmet. Ich weiß von dem Spiel nur noch: Das Pressing war super.
Weniger lustig sind die Businesseltern. Wenn die Männer für Stunden hinter einer Zeitung oder in irgendwelchen Akten verschwinden, während ihre Frau stöhnt und hechelt, das geht ja noch. Aber ich habe es schon auch erlebt, dass die Frau während der Geburt versucht, extra leise zu sein, weil der Mann gerade ein wichtiges geschäftliches Telefonat führt, bis ich ihn dann rausgebeten habe. Es gibt Frauen, die überspielen so ein Verhalten und sagen: »Ach, mich beruhigt das, wenn mein Mann mit etwas anderem beschäftigt ist, als mit der Öffnung meines Muttermundes«, aber oft spüre ich auch: Das tut jetzt weh. Und: Solche Verletzungen heilen nur schwer.
Eine andere Frau schrieb mal »kurz noch zwei Arbeitsmails«, mitten unter der Geburt, sie hatte gerade eine PDA bekommen. Da frage ich mich als Hebamme schon, wann genau der Punkt kommt, wo das Kind die Priorität im Leben wird. Ob überhaupt. Oder zumindest die Geburt für diesen Moment.
Die junge Frau, die mutterseelenalleine bei uns war, hielt sich immer noch an ihrem Smartphone fest, als nach nur einer halben Stunde die Presswehen einsetzten. Weiß traten ihre Fingerknöchel hervor. »Ich muss drückeeeeeeeeeen«, schrie sie. Nur wenig später hielt sie ihr Baby auf dem Arm, die Nabelschnur pulsierte noch, und sie machte, jetzt erleichtert lächelnd, ein Foto – das sie natürlich sofort per Whatsapp an ihren Freund schickte.
»Sie haben es auch ohne ihn geschafft«, sagte ich zu ihr. Sie war stolz und glücklich, und ich war es angesichts dieses fabelhaften rosa Bündels in ihrem Arm auch. Eine Träne war gerade dabei, sich in meine Augen zu schleichen, als ein Handyklingeln diesen feierlichen Moment unterbrach. Ich wollte schon schimpfen: Jetzt ist aber mal genug. Doch es war mein eigenes. Die Kollegin war dran: »Wir holen Frühstück. Cappuccino und Käsebrötchen?«