Viele kommen wegen der Frauen. Manche wegen Buddha. Oswald Hackl ist nach Thailand ausgewandert, weil er seine Ruhe haben wollte; eine gemütliche Rentenzeit als Bauer, nach 40 Jahren als LKW-Fahrer. Er mag es, an seinem eigenen Fischteich zu sitzen und zu angeln, mit nacktem Oberkörper, das ganze Jahr über bei konstanten 30 Grad. Er mag die Abgeschiedenheit seiner kleinen Farm im Nordosten des Landes, und sogar der Instant-Kaffee, den man hier trinkt, schmeckt ihm inzwischen. Manchmal stört es ihn, dass die Thailänder so selten grüßen, erzählt er. Und dass sein Sohn hier in der Schule gelernt hat, Österreich sei eine Walfangnation, findet er ärgerlich. Aber das sind Kleinigkeiten. Er selber grüße jetzt eben auch weniger als in Österreich.
Oswald Hackl auf seiner Grillenfarm
Allein: Ruhe hat der 65-jährige Hackl hier nicht gefunden. Im Gegenteil. Auch heute stoppt wieder eine Karawane aus Mini-Vans vor seinem Haus. Es steigen aus: Rund 20 Wissenschafter und Politiker aus Universitäten und Ministerien. Sie kommen nicht nur aus Thailand, heute sind unter anderem Abgesandte aus Sambia, Ägypten und Nigeria dabei. Die Besucher wollen, dass der ehemalige LKW-Fahrer aus Niederösterreich ihnen hilft, den Hunger in ihren Ländern zu bekämpfen. Mithilfe von Insekten.
Hackl züchtet Grillen. Erst hat er es ein paar Jahre lang mit Kühen probiert, aber seine Milchfarm machte zu viel Arbeit und warf zu wenig Geld ab. Seine Frau hatte dann vor sechs Jahren die Idee mit den Insekten: Grillen brauchen nicht viel Platz, sie sind sehr genügsam und gelten in Thailand als Delikatesse. Für Hackl ist seine Grillenzucht nicht mehr als eine bequeme und lukrative Einnahmequelle für den Ruhestand. Für die Vereinten Nationen hingegen ist sie ein möglicher Schlüssel zur Lösung des größten Problems der Menschheit. Im Jahr 2050 werden bis zu neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, der Proteinbedarf wird sich verdoppeln. Insekten enthalten viel Eiweiß. Man kann sie überall auf Welt einfach züchten. Für die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) sind sie die Nahrung der Zukunft.
Allein: Es gibt weltweit nur sehr wenige Bauern, die Erfahrung mit der kommerziellen Insektenzucht gesammelt haben. Und da kommt Oswald Hackl ins Spiel. Seine Farm ist ertragreich, lukrativ, und besteht schon seit sechs Jahren. Das perfekte Vorbild.
Forscherin Yupa auf Hackls Farm
Für ein Kilo Grillen-Ernte braucht man zwei Kilogramm Futter. Kühe sind fünfmal so hungrig. Schweine und Hühner fressen immer noch doppelt so viel. Insekten sind deshalb so genügsam, weil sie Kaltblüter sind und deswegen keine Energie für Körperwärme verbrauchen. Sie verursachen kaum Treibhausgase und brauchen sehr wenig Platz. Mittlerweile unterstützt auch die EU Forschungsprojekte zur Insektenzucht. Diesen Herbst hat die EU außerdem beschlossen, dass Insekten neben anderen neuen Lebensmitteln schneller zugelassen werden sollen. Voraussetzung für eine Genehmigung in Europa ist nun, dass die Insektenart in anderen Ländern bereits seit 25 Jahren verzehrt wird und dort keine negativen Folgen für die Gesundheit beobachtet wurden.
Und der Geschmack? Insektenfans sprechen von nussigen Noten, einer popcorn-artigen Konstistenz. Grillen schmecken wie eine Mischung aus Shrimps und Mandeln.
Wenige Meter vor Hackls Stall kann man sich kaum noch unterhalten: Die Tiere zirpen unentwegt. Es klingt genau wie auf einer Wiese an einem Sommerabend in Europa. Nur viel, viel lauter. Yupa führt die Gruppe in den Stall: Unter einem Wellblechdach haben die Hackls 150 Betonsteinbecken installiert, jeweils etwa so groß wie fünf Badewannen. In den Becken tummeln sich zwischen gestapelten Eierkartons zehntausende Grillen. Die Kartons sollen die Brutfläche vergrößern und dienen den Insekten als willkommenes Versteck. Am oberen Beckenrand ist Klebeband befestigt, damit die Insekten auf der glatten Seite abrutschen und nicht herauskrabbeln können.
Vor ein paar Tagen sind die Männchen geschlechtsreif geworden. Das erklärt das besonders laute Zirpen: Für die Weibchen sind die Gesänge das Signal zur Paarung, für Hackl sind sie das Zeichen, bald zu ernten. In den 24 Stunden nach der Paarung legen die Weibchen ihre Eier in kleine Erdschälchen ab, die in den Becken bereit stehen. Dann sammelt Hackl die Insekten ein - sie sind dann zwischen zwei und drei Zentimeter lang. In zehn Tagen schlüpft dann die nächste Generation, die nach etwa anderthalb Monaten wieder Eier legt und geerntet wird.
Die Forscherin kennt die Vorbehalte gut
Eine Mitarbeiterin zeigt den Besuchern, wie geerntet wird: Sie schüttet die Insekten aus den Eierkartons in einen großen Müllsack. Gleich danach werden sie in einem großen Topf abgekocht, das verlängert die Haltbarkeit. Die Wissenschafter und Beamten verfolgen die Führung mit einer Mischung aus Ekel und Interesse. Einer sammelt mit angewidertem Gesicht selber ein paar Grillen ein und wirft sie in den Plastiksack. Ein anderer filmt ihn dabei und stellt das Video sogleich auf Facebook.
Die Forscherin Yupa kennt die Vorbehalte und den Ekel gegenüber Insekten gut. Später, zurück an der Uni, zeigt sie ihren Gästen deshalb mittels Powerpoint-Präsentation, was man aus Insekten sonst noch machen kann: Insektensushi, kunstvoll garnierte Heuschrecken und Grillen, aber auch Insektenburger und Insektenchips. Die Chips gibt es in den Geschmacksrichtungen Sour Cream, mediterrane Kräuter und Cheese and Onion. An der Khon Kaen Universität wird ebenfalls mit neuen Verwendungsarten experimentiert: Im Kühlschrank von Yupos Büro liegen immer ein paar Tafeln Grillen-Schokolade und einige Packungen Heuschrecken-Cornflakes, die der Universität hergestellt werden. Die Tiere werden dazu gekocht, getrocknet und zermahlen. Das fertige Produkt erinnert nicht im Entferntesten an Insekten.
Grillenzüchter Hackl mag seine Tiere am liebsten unverarbeitet, nur scharf angeröstet und nicht gekocht. Mit einem kühlen Bier ist sein »Ungeziefer«, wie der die Tiere immer noch nennt, für Hackl der perfekte Nachmittagssnack. Ihn stören auch die Beine nicht, die gerne zwischen den Zähnen steckenbleiben. »Als ich die erste Grille gegessen habe, hat mich das an Chips erinnert«, sagt er. Dasselbe hat auch Angelina Jolie gesagt, nachdem sie im Kambdoscha-Urlaub eine Grille probiert hat. Hackl bevorzugt übrigens die Weibchen: Dank der Dutzenden Eiern in ihren Körpern würden die besonders schön knuspern. Ausgerechnet er hat aber seine Zweifel, ob Insekten zum Grundnahrungsmittel der Zukunft werden. Er sieht die Tiere eher als Delikatesse - weil ihm genau das am meisten Geld einbringt. »Das hat eine große Zukunft bei Nobel-Restaurants, weltweit. Die zahlen jeden Preis.« Doch auch in seiner Umgebung findet er zahlreiche Abnehmer. Neben den großen Geschäftskunden beliefert er viele Straßenstände in den umliegenden Dörfern und Städten - morgens fährt sein Sohn mit dem Moped auf die Märkte, um die Tiere zu verkaufen. Ein Kilo Grillen kostet hier mehr als ein Kilo Schweinefleisch. Die Thailänder braten sie in Öl mit Zitronengras und einer Gewürzmischung. Hackl selbst verlässt die Gegend nur selten, einmal die Woche, jeden Freitag, fährt er mit seiner Frau in die Stadt ins Steakhouse. Von Bangkok kennt er nur den Großen Palast und die österreichische Botschaft.
Der Geschmack von Insekten hänge übrigens vor allem von der Fütterung ab, erklärt Hackl. Jahrelang ernährten er und seine Frau ihre Grillen mit Kraftfutter, das auch in der Hühnermast eingesetzt wird. Inzwischen bekommen sie unter anderem Reishülsenmehl - dadurch würden sie neutraler schmecken. Außerdem füttert er Blätter der tropischen Nutzpflanze Maniok, die er selbst auf einer kleinen Plantage anbaut: zwei Pickup-Ladungen pro Tag, fast kostenlos. In ihrem kleinen Labor an der Uni experimentiert Yupa außerdem mit ausgepressten Kokusnussfleisch, einem Abfallprodukt aus der Nahrungsmittelindustrie »Das ist billig zu haben und gut für den Geschmack«, sagt Yupa. Es macht die Grillen süßer.
Genau wie bei der Fütterung wird auch bei der Haltung der Tiere noch experimentiert, weil die Erfahrungswerte fehlen. Vor ein paar Jahren etwa sind Hackls Grillen zu Tausenden an einer seltsamen Krankheit gestorben. Statt etwa 20.000 konnten er und seine Frau nur rund 2.000 Tiere pro Becken einsammeln. Kein Tierarzt wusste Rat. Mittlerweile streichen die Hackls alle drei Monate die Becken mit desinfizierendem Kalk ein, seitdem kommen wieder fast alle Tiere durch. Außerdem muss Hackl immer wieder neue Populationen einkreuzen, deren Eier er von anderen Züchtern in Thailand kauft. Zuvor sind Generationen an den Folgen der Inzucht gestorben. «Es geht viel daneben, aber wir lernen dazu”, sagt Hackl.
Von knapp vier Euro Umsatz pro Kilo bleibt ihm etwa ein Gewinn von rund 2,50 Euro. Mittlerweile produziert er rund 15 Tonnen Heuschrecken jährlich, das sind mehr als zehn Millionen Tiere. Während der Erntezeit beschäftigt er eine Handvoll Mitarbeiter. Damit gehört Hackls Farm zu den größeren Betrieben im Land. Und wegen der Kooperation mit der Uni ist sie auch eine Art Schaufenster für die Insektenzucht des Landes. Alle Gäste fahren nach wie vor an der Begrüßungstafel vorbei, die er vor 10 Jahren hier aufgestellt hat: »Hackl’s Dairyfarm«, Hackls Milchfarm, steht auf dem Holzschild. »Hier ist schon die ganze Welt gewesen«, sagt Hackl stolz.
Können sich die Gäste nach der Führung auf seiner Farm vorstellen, dass die Lebensmittelindustrie in Ihren Heimatländern auf Insektenzucht umsattelt? Mohamed El-Bosily, Beamter beim ägyptischen Landwirtschaftsministerium, sagt: »Niemals.« Sein Land sei im Umbruch, es werde bald aufwärts gehen, Modernisierung, Wohlstand, und dann Insekten? Das passe nicht zusammen. Gleich neben ihm steht Zaid Alwreikat, Beamter aus Jordanien. Er glaubt, der Verzehr von Insekten verstoße gegen den Islam. »In Jordanien sind Grillen höchstens als Fischfutter interessant«, sagt er. Immerhin: Der Beamte aus Nigeria gibt den Insekten eine Chance. Auch wenn er nicht gerade begeistert aussieht.
Yupa kennt diese Probleme: Nicht nur im Westen haben die Menschen keine Lust darauf, die sechsbeinigen Tiere zu essen. Auch in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern, wo Insekten tausende Jahre ein beliebtes Grundnahrungsmittel waren, gelten die Tiere heute als ekelhaft - vor allem in den Städten, wo sich die Essgewohnheiten jenen der Industriestaaten angleichen. Die Forscherin Yupa sieht ihre dringendste Aufgabe daher in einer guten Insekten-PR: »Für viele Menschen fühlt sich das an wie ein Schritt zurück. Wir müssen ihnen klar machen, dass es die Zukunft ist.
Eine der häufigsten Fragen, die ihre internationalen Gäste ihr stellen: Was, wenn die Tiere ausbrechen, über die Felder herfallen zu einer Plage werden könnten. Yupa winkt ab. »Wir hatten einmal zu viele Grashüpfer im Land«, sagt sie. »Die Behörden wollten Pestizide einsetzen. Aber ich habe ihnen geraten: ‚Sagt den Leuten, sie sollen die Tiere einfach essen‘. Das hat geholfen.«
Fotos: Adam Furgeson