Die Geschmacksspezialisten: Johan Langenbick (im gelben Pullover) vertritt seine Partner, den Tüftler Bernard Lahousse (Mitte) und den Küchenchef Peter Coucquyt, in der Öffentlichkeit.
Es war ein alltägliches Ereignis, das das Leben für Küchenchefs, Chocolatiers und Barkeeper verändern sollte: François Benzi stand im Garten, es war Sommer, der Jasmin duftete. Benzi arbeitet für ein Aromen- und Parfumunternehmen und hat eine sehr feine Nase, er schnupperte. Im Duft der Blüten glaubte er das Aroma von Leber auszumachen. Oder war es Leberpastete? François Benzi probierte es aus: Eines Abends servierte er Freunden Leberpastete mit Jasminblüten. Es schmeckte delikat.
Heston Blumenthal ist Koch in England, sein Restaurant heißt »The Fat Duck«, es hat drei Michelin-Sterne und wurde 2005 vom Restaurant Magazine zum besten Restaurant der Welt ernannt. Blumenthal versucht die Sinne seiner Gäste durch ungewöhnliche Kombinationen zu überraschen. Ein Renner dort seit vielen Jahren: Weiße Schokolade mit Kaviar. Ein anderer: Schokoladenmuffin mit Blauschimmelkäse. Dass diese eigentlich gegensätzlichen Zutaten zusammen gut schmeckten, hatte Blumenthal durch Probieren herausgefunden. Um dem Phänomen auf den Grund zu gehen, rief er in der Firma an, für die François Benzi arbeitet. Benzi erzählte Blumenthal von seiner Leberpastete mit Jasmin. Von da an ließ ihnen die Frage keine Ruhe, ob es mehr als Zufall ist, dass bestimmte Speisen zusammenpassen. Sie forschten und experimentierten und gelangten zu der Erkenntnis: Eine Zutat verträgt sich mit einer anderen, wenn beide dieselben Hauptaromakomponenten haben. Kaviar und Schokolade. Erdbeeren und Lammfleisch. Jakobsmuschel und Tomate. Es darf aber auch weniger gewagt kombiniert werden, beispielweise Austern mit Kiwi statt mit Zitrone, Feige mit Basilikum, Hummer mit Vanille und Kakaopulver.
Bernard Lahousse aus Belgien ist Tüftler und Agraringenieur und hat sich an der Universität vor allem mit Ernährung und Umwelt beschäftigt. Privat interessierte ihn die molekulare Küche: die Zusammensetzung von Aromen und wie man sie erfolgreich kombinieren kann. Als er 2007 auf die Erkenntnisse von Benzi und Blumenthal stieß, gründete er mit zwei Kollegen, die er aus Brügge kannte, eine Agentur, um sich fortan nur noch seiner wahren Leidenschaft zu widmen: dem Foodpairing.
Der Sitz der Agentur befindet sich in einem schick renovierten Backsteingebäude an der Stadtmauer von Brügge. An einem nebligen Vormittag sitzt Lahousse in seinem Küchenlabor und befüllt ein Röhrchen mit Pulver. »Probieren Sie das«, sagt er, »und halten Sie sich bitte die Nase zu dabei.« Zucker, meldet das Hirn, glasklar, von Geschmack und Konsistenz her. »Jetzt die Nase nicht mehr zuhalten«, sagt Lahousse, und es ist erstaunlich, wie zimtig der Zucker plötzlich schmeckt. Es war nicht zu erkennen, bei zugehaltener Nase, dass überhaupt Zimt im Zucker war.
Das Aroma, erklärt Lahousse, wird eben weniger von der Zunge erfasst als von der Nase. Darum schmeckt das Essen flach, wenn man schwer erkältet ist. Je sensibler eine Nase hingegen ist, desto mehr Aromen kann sie dechiffrieren. Ein Stück Obst, eine Sorte Gemüse, ein Rindersteak, eine Auster, ein Tropfen Rum oder Kaffee – jede Zutat enthält Hunderte Aromen. Diese destilliert Lahousse seit Jahren aus den Lebensmitteln heraus, um ihre verschiedenen Geschmacksstoffe zu bestimmen. Daraus erstellt er Diagramme, die aufzeigen, welche Aromen in einer Zutat enthalten sind. Diese Profile nennt er »Foodpairing Trees«, weil er Essenspaare zusammenbringt und die Illustrationen an Stammbäume erinnern.
Je verwandter sich zwei Aromen sind, desto kürzer ist der Zweig.
Die Bandbreite der Aromen in den einzelnen Lebensmitteln ist groß – in jeder Zutat finden sich bittere, süße, saure, salzige, blumige, fruchtige Komponenten. Einer von Lahousses Kollegen, der Küchenchef Peter Coucquyt, probiert dann auf der Basis der Foodpairing-Bäume aus, welche Rezepte man aus den Kombinationen kreieren kann.
Je verwandter sich zwei Aromen sind, desto kürzer ist der Zweig. Und desto besser passen die Zutaten auch zueinander, sagt Peter Coucquyt. Knusprige Hähnchenhaut auf Mousse au Chocolat zum Beispiel. Klingt vielleicht abschreckend, sieht aber nicht so aus, denn die Krümel auf der Schokolade sind nicht als Hähnchenhaut zu identifizieren. »Wenn man nicht weiß, woraus genau die Krümel auf der Mousse au Chocolat sind, mag man es sofort«, sagt Coucquyt. Foodpairing möchte den Geschmackshorizont erweitern. Und Anreize schaffen für eine vegetarische Küche. Denn wenn man Gemüse und Obst geschickt und gewagt kombiniert, wird ein Gericht spezieller. Aus Rücksicht auf die leer gefischten Meere fehlen im Lebensmittelregister der Agentur auch Heilbutt, Tunfisch und die Garnele.
Internationale Köche und auch Barkeeper jeden Ranges fanden die Ideen von Foodpairing von Anfang an inspirierend. Die Website foodpairing.be mit den Foodpairing-Bäumen ist für sie inzwischen ein unentbehrliches Werkzeug geworden, um neue Rezepte und Cocktails zu entwickeln. Und weil die Agentur nun mal in Belgien ihren Sitz hat, hat sich Lahousse mit besonderer Hingabe der Erforschung der Schokolade und ihrer Aromakomponenten gewidmet. Sein Wissen teilt er gern mit dem Schokoladenhersteller Dominique Persoone. Sein Unternehmen trägt den ganz und gar unbelgischen Namen »The Chocolate Line«, die Schokolade gibt es aber in einem sehr kleinen, sehr traditionellen Laden im Zentrum von Brügge zu kaufen. Das Sortiment geht so weit über Schokolade mit Chili hinaus, dass man fast misstrauisch wird: Schokolade mit Sojasauce, Sesam und Sancho-Pfeffer. Schokolade mit gebratenem Frühstücksspeck, Schokolade mit Coca-Cola, mit Basilikum, schwarzen Oliven, Tequila, getrockneter Tomate, Hanf, Tabak, Cabernet Sauvignon, Absinth oder Zwiebel.
Also wird probiert. Und tatsächlich schmecken manche dieser Pralinés fremd, aber nie schockierend. Sojasauce? Passt. Pfeffer sowieso. Tomate, Hanf, Absinth: interessant. Gar nicht mehr schokoladig sieht ein giftgrüner, quaderförmiger Brocken namens »Apero« aus: eine Ganache mit Wodka, Passionsfrucht, Limone. Aber was soll man sagen? Schmeckt ziemlich fein. Das finden offenbar auch die vielen Menschen, die geduldig Schlange stehen im kleinen Laden.
Ein weiterer Kumpel aus der kulinarischen Brügge-Connection ist Gert de Mangeleer, Küchenchef im »Hertog Jan«. Das Restaurant liegt etwas außerhalb von Brügge an einer Durchgangsstraße. Dort hat de Mangeleer, Jahrgang 1977, in fünf Jahren drei Michelin-Sterne erkocht. Auch er setzt auf ungewöhnliche Geschmackserlebnisse, besonders bei den Desserts und Douceurs: den Nachtischen und den Süßigkeiten. Auch er bietet vor allem Gemüsegänge an (das meiste davon wird im eigenen Garten angebaut) und Fisch und Fleisch nur in Häppchen.
Sechzehn junge Männer in Weiß, die auf wundersame Weise in der kleinen Küche des »Hertog Jan« Platz haben, zaubern dort: ein Soufflé aus Gänseleber, Lakritze und Coca-Cola mit einem Hauch Kümmel obendrauf; in Tomatenpulver gewälzte Avocadoschnitze mit Olivenöl – einfacher geht es kaum, farbenfroher und köstlicher auch nicht. Halbroher Lachs, eingewickelt in Spaghetti aus Salatgurke, dazu warme Champagnersahne. Ein hauchdünner Crêpe, gefüllt mit halbgefrorenen Litchis, Roten Beten und Rosengelee.
Gert de Mangeleer erzählt, dass Foodpairing ihn in seinen Kombinationen oft im Nachhinein bestätigt. Und dass die Diagramme einem Koch die Arbeit erleichtern. An einem seiner beliebtesten Nachtische, einer Schokoladenmousse mit Thymian und Blüten, hat de Mangeleer zehn Monate herumgetüftelt und dabei mehr nachgedacht und sich vorgestellt als herumprobiert. Wenn man nun einfach nachsehen kann, was sich mit der Schokoladenmousse wie verträgt und welche Aromen gar nicht darin vorkommen, ist das natürlich bequemer.
So kombiniert de Mangeleer zum Beispiel: Sauerampfer, Pistazie, grünen Tee und Basilikum – zu einem frischen, bittersüßen Dessert in den zartesten Grüntönen. Preiselbeere mit Joghurt und Mascarpone: Rot in Rot. Mandel, Kaffee, Bergamotte – Braun in Braun. Dazu süßer Portwein, köstlich.
Einen Tag mit der kulinarischen Brügge-Connection zu verbringen bedeutet auf der Skala von eins bis zehn: eine Elf.
Foto: Peter de Krom; Illustrationen: Mike Perry